Altlasten rosten unkontrolliert vor sich hin

Ein Kampfmittelräumer nimmt am Truppenübungsplatz Munster-Nord eine Bodenprobe, die anschließend auf gefährliche Stoffe untersucht wird (gestellte Szene). Foto: juw

Wie viele Löcher mit vergrabener C-WaffenMunition, Flaschen flüssigen Giftgases oder anderer Altlasten seine Soldaten noch auf dem Übungsplatz finden – Oberst Jörg Wiederhold, der Kommandeur des Platzes, wagt keine Schätzung. Seine Kampfmittelbeseitiger suchen den Boden systematisch mit Sonden nach Metall ab. Erst, wenn die Granaten geräumt wurden, kann die Erde ausgehoben und saniert werden.

Dabei finden sie Munition mit Lungen-, Hautund Nervenkampfstoffen, die in der Geka vernichtet werden. Für den Oberst ist es „eine ganz normale Infrastrukturmaßnahme“, die nach Einschätzung seiner Experten noch bis zu 30 Jahren dauern wird. Von Hand können die Räumtrupps zwar ganzjährig arbeiten – mit schwerem Gerät allerdings nur, wenn auf dem Platz nicht geübt wird. Und wenn nicht Brutund Setzzeit der Vögel ist. 2013 waren das gerade mal zehn Wochen.

So lange der kontaminierte Boden nicht gereinigt ist, wird sein Gift weiter ins Grundwasser sickern, was bei den Behörden seit Jahren bekannt ist. Die damals CDU-geführte Bundesregierung schreibt schon 1995 in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen-Fraktion: „In einem vom Land Niedersachsen eingeholten Gutachten zum Truppenübungsplatz Munster-Nord wurden in Grundwassermessstellen lokale Arsenkonzentrationen bis zu 10,8 Milligramm pro Liter ausgewiesen.“ Das bedeutet eine mehr als tausendfache Überschreitung des Grenzwerts.

Dennoch dauert es bis 1999, bis auf einem der am stärksten belasteten Areale eine Grundwassersanierungsanlage ihre Arbeit aufnimmt. Betrieben wird sie vom Bundeswehrdienstleistungszentrum. Auf etwa einem Quadratkilometer Fläche werden 1,4 Millionen Kubikmeter Wasser aus 25 Brunnen gereinigt. Dabei hat die Anlage nach Angaben des Verteidigungsministeriums bislang mehr als zwölf Tonnen zum Teil hochtoxische Schadstoffe herausgefiltert. 700 000 Euro kostet der Betrieb der Anlage jedes Jahr.

Der Dethlinger Teich ist mit einem feinen, wasserundurchlässigen Schlamm, dem Kieselgur, umgeben. Bei starkem Regen fließt Wasser von links in den Teich und tritt nach rechts kontaminiert wieder aus, gleich einer überlaufenden Tasse. Rund um den Teich sind Probebrunnen angelegt (die Grafik zeigt nur zwei), die nicht mehr zur Kontrolle genutzt werden. Grafik: Landkreis

Dass kontaminiertes Grundwasser ins Trinkwasser gelangt, schließt Karsten Heine, Altlastenexperte bei der Oberfinanzdirektion Niedersachsen, aus. „Zudem wird das Trinkwasser bei den Stadtwerken genau auf Schadstoffe untersucht“, sagt Heine. Ein externes Labor hat im Auftrag der Stadtwerke Munster-Bispingen Trinkwasser des Kindergartens Lebenshaus Munster untersucht. Im Prüfbericht heißt es, der Arsenwert liege bei unter 0,5 Mikrogramm pro Liter. Nach Angaben der Stadtwerke treffe das auch auf das Rohwasser sowie übrige Probenentnahmen zu. Der Arsen-Grenzwert liegt bei zehn Mikrogramm pro Liter.

Christine Meyer-Dittrich hat in solche Aussagen wenig Vertrauen. Die 54-Jährige fordert, dass die Altlasten heute, beinahe ein Jahrhundert nach Beginn der C-Waffen-Produktion, endlich aus dem Heideboden verschwinden. Nicht nur in Munster-Nord.

Die kämpferische Frau läuft über den Feldweg von der Bundesstraße 71 zum ehemaligen Dethlinger Teich, einem Tagebauloch, das voller chemischer Altlasten ist. Meyer-Dittrich hat Dietrich Wiedemann mitgebracht, der für die Grünen im Kreistag des Heidekreises sitzt. Er hat damals bei der Bürgerinitiative gegen Rüstungsaltlasten mitgemacht.

„Betreten verboten“

Jetzt laufen sie an den Feldern vorbei, die direkt an den Dethlinger Teich grenzen. Auf ihm wächst ein Wäldchen. Von weitem deutet nichts darauf hin, was sich unter der Erde verbirgt. Als Meyer-Dittrich und Wiedemann näherkommen, sehen sie eine notdürftige Absperrung: An ein paar Holzpfählen ist ein grüner Draht befestigt, der den Teich provisorisch einzäunt. Auf den Pfosten sind – kaum postkartengroß – Metallschilder aufgenagelt. „Sprengstoff – Lebensgefahr – Betreten verboten“ steht darauf.

Rund um den Teich ragen armdicke Metallrohre aus dem Boden. Dort können die Behörden Proben des Grundwassers entnehmen, um es auf Giftstoffe zu untersuchen. Immer wieder werden sie fündig: Der Arsenwert liegt an manchen Tagen bis zu 45 Mal höher als der Grenzwert. Die Konzentration für Schwefelverbindungen ist bis zu zehnmal höher als erlaubt.

Wiedemann beugt sich zu einer Metallstange, die eines der Metallrohre umgibt und hält sich daran fest. Der kühle Edelstahl ist etwas Greifbares – ganz anders als die Bedrohung durch die C-Waffen-Altlasten, die vor ihm in der Erde liegen. „Wir haben die Stadt Munster früher mal nach der Arsen-Belastung des Grundwassers gefragt“, erinnert sich der Grünen-Politiker. „Damals haben sie uns mit einer Strafanzeige gedroht. Das wollten sie nicht hören.“ Zu groß sei die Sorge gewesen, die Stadt müsse für die Sanierung selbst Geld in die Hand nehmen.

Wiedemann geht es wie Meyer-Dittrich: Das frustrierende Klein-Klein zwischen den Behörden, ausbleibende Erfolge und die Gleichgültigkeit der meisten Munsteraner haben ihn zermürbt. Die Sanierung des Dethlinger Teichs ist schon lange kein Thema mehr für ihn.

„Sie müssen sich den Teich wie eine schiefe Tasse vorstellen“, sagt Friedrich-Wilhelm Otte, der im Heidekreis für Altlasten zuständig ist. „Unten ist sie dicht, aber oben läuft Wasser rein, das dann verschmutzt überläuft.“ Wie viele C-WaffenAltlasten genau dort liegen, ist unklar. „Es handelt sich um eine nicht kalkulierbare Masse Kampfstoff“, sagt Otte.

In einer Auflistung der Stadt Munster von 1982 ist von hunderten Bomben, Zündern, Munition, Fässern mit Giftstoffen und Granaten die Rede, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg versenkt und danach mit Betonschutt und Erde überdeckt wurden. Der Fachjournalist Andreas Oberholz geht von 200 000 bis 400 000 Zündladungen, 3000 Kampfstoffgranaten, 300 Bomben und 400 Fässern aus.

Bis 2008 entnahm das Wehrwissenschaftliche Institut Proben des Grundwassers rund um den Teich. Doch das wurde der Bundeswehr zu teuer. Das Verteidigungsministerium fühlt sich dafür nicht zuständig, schreibt auf Anfrage gar, ihm liegen zum Dethlinger Teich „keine Informationen vor“. Seitdem wird der Bereich um die gefährliche Altlasten nicht mehr regelmäßig untersucht.

Der Dethlinger Teich

Der sogenannte Dethlinger Teich war früher ein kleiner Tagebau. Dort wurde Kieselgur gewonnen, ein feiner Schlamm, der unter anderem zum Filtern von Bier, als Anstrich oder in Papier benutzt wurde. Als das Kieselgur-Vorkommen erschöpft war, wurde der Abbau eingestellt, und die große Grube, die sich auf einer Fläche von rund 7000 Quadratmetern erstreckt, lief voll Wasser. In diesen Teich warfen im Zweiten Weltkrieg deutsche Truppen oder Arbeiter Kampfmittel, wahrscheinlich Abfälle oder mangelhafte Chargen aus der nahen Waffenproduktion.

Nach dem Krieg versenkten die Briten Munition aus den Lagern der Umgebung in dem Teich; wahrscheinlich vor allem defekte Bomben und Granaten, die nicht an die Ostsee transportiert werden konnte, wo die Alliierten große Mengen deutscher C-Waffen und konventioneller Munition ins Meer warfen.

Weil die Munsteraner Bürger nach dem Krieg auf der Suche nach Metall auch in der gefährlichen Giftbrühe des Teichs fischten, wurde er mit Bauschutt der nahegelegenen Munitionsanstalt Oerrel und Mutterboden abgedeckt. In einem Schreiben der Stadt Munster heißt es, der Teich sei 25 Meter tief. Wissenschaftler des HelmholtzZentrums für Umweltforschung Leipzig gehen heute von einer maximalen Tiefe von zehn Metern aus. Heute ist das Areal mit Bäumen bewachsen.

Altlasten in Niedersachsen

Niedersachsen ist von Rüstungsaltlasten besonders betroffen, denn Diktator Adolf Hitler erklärte diese Region in den letzten Kriegsmonaten zum Rückzugsgebiet. Von 1989 bis 1997 ließ das niedersächsische Umweltministerium die Gefährdung erstmals systematisch abschätzen. 181 Standorte wurden als Rüstungsaltlasten eingestuft. Die Broschüre „Gefährdungsabschätzung von Rüstungsaltlasten in Niedersachsen – Vorläufiger Abschlussbericht“ kann beim niedersächsischen Umweltministeriumbestelltwerden. Die Studie wurde aus Geldmangel 1997 eingestellt, obwohl die Forscher bei den meisten Fundstellen weitere Untersuchungen empfohlen hatten. Eine 75-seitige Liste der Rüstungsaltlasten kann von dieser Internetseite heruntergeladen werden: http://bit.ly/1pFtbbx. Das niedersächsische Umweltportal bietet eine Karte mit den betroffenen Standorten an: http://bit.ly/1FIMZii.

Böhme-Zeitung