„Kinder stellen Fragen, die sich Erwachsene nicht trauen“

Vorsicht, Stolperfalle: Im Parcours aus Schulbänken, Fußmatten und Brettern können die Fünftklässler den Alltag eines blinden Menschen nacherleben

Vorsicht, Stolperfalle: Im Parcours aus Schulbänken, Fußmatten und Brettern können die Fünftklässler den Alltag eines blinden Menschen nacherleben

Steffen Zellfelder von der Christoffel-Blindenmission besuchte 2019 die KGS Schneverdingen. Die BZ sprach mit ihm über den oft etwas verkrampften Umgang der Gesellschaft mit blinden und sehbehinderten Menschen — und die frische Unbefangenheit, mit der Kinder an das Thema herangehen.

Die Christoffel-Blindenmission ist vor allem als Organisation der Entwicklungshilfe bekannt. Mit welcher Intention gehen Sie hier in Deutschland an die Schulen?

Steffen Zellfelder: Es geht uns darum, Kindern Einblicke in die Erfahrungswelten von Blinden und sehbehinderten Menschen zu verschaffen und auch darum, Befremdungshürden abzubauen. Menschen mit Behinderungen werden oft ausgelassen, das ist meisten gar nicht böse gemeint. Diese Exklusion hat oft mit Ängsten zu tun, in ein Fettnäpfchen zu treten. Wenn Sie beispielsweise mit einem blinden Menschen essen gehen, dann kann es passieren, dass die Bedienung Sie fragt, was ihre Begleitung essen möchte. Dabei ist dieser Mensch blind und nicht stumm oder taub.

Wieso wenden Sie sich mit Ihrer Aufklärungsarbeit gerade an Kinder?

Um sie zu sensibilisieren, bevor sie dieses Befremden entwickeln können. Kinder sind generell noch sehr offen und haben wenig Berührungsängste. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, ihnen den Alltag von blinden Menschen nahezubringen. Man kann viel erzählen, aber wenn man Information an Erfahrung koppeln kann, dann bleibt das besser hängen.

Neben den praktischen Erlebnissen gibt es auch die Fragerunde mit Ihrem blinden Kollegen Dirk Graf-Frömke. Dort ging es durchaus direkt zu.

Kinder trauen sich, Fragen zu stellen, die sich Erwachsenen nicht trauen, zum Beispiel, was Dirk nachts mit seinen Glasaugen macht oder wie diese sich anfühlen. Sie haben keine Angst, damit in ein Fettnäpfchen zu treten. Und sie lernen schnell. Anfangs nehmen sie noch die Hände hoch, weil sie es gewohnt sind, sich zu melden. Wenn Dirk dann sagt: „Ich kann euch leider nicht sehen“, fühlen sie sich nicht ertappt, sondern rufen ihre nächste Frage einfach rein.

Das Thema Inklusion wird im Zusammenhang mit Schule oft etwas verkürzt verstanden und gilt bei vielen Eltern und Lehrern als negativ besetzt.

Das ist richtig, es gibt ja auch den Begriff der „Inklusion mit der Brechstange“.

Arbeiten Sie auch dagegen an?

Ja, denn Inklusion wird tatsächlich oft falsch assoziiert. Inklusion bedeutet ganz einfach, dass alle dazugehören.

Wie wichtig ist eine langfristige Zusammenarbeit mit der KGS Schneverdingen für Sie?

Das freut uns natürlich. Wir haben hier ein sehr positives Feedback bekommen, von den Lehrern, den Schülern und auch vom Schulleiter. An einer Schule wie der KGS mit Inklusionsbeauftragter und einer Projektwoche zum Thema ist die Zusammenarbeit für uns einfach. Ansonsten ist es nicht so leicht, Schulen für unsere Begegnungsarbeit zu finden, was sehr schade ist. Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Schulen an uns wenden, zumal unser Angebot ja kostenlos ist. Diese Bewusstseinsbildung ist für Kinder so wichtig. Sie gehen nicht nur zur Schule, um Mathe zu lernen.