Schülerbeförderung: Ärger um 15 Meter

Google-Maps misst von Straßenkante zu Straßenkante - die letzten Meter hatte der Landkreis für einen Schulweg offensichtlich zunächst “geschlabbert”. Doch es geht um mehr als um 15 Meter Differenz. Foto: bk

Google-Maps misst von Straßenkante zu Straßenkante - die letzten Meter hatte der Landkreis für einen Schulweg offensichtlich zunächst “geschlabbert”. Doch es geht um mehr als um 15 Meter Differenz. Foto: bk

Jonathan ist in die siebte Klasse des Soltauer Gymnasiums gekommen. Der lernbegierige Junge steigt jeden Tag gerne in den Bus, um aus dem Soltauer Vorort Tiegen zumSchulgebäudekomplex an der Waterloostraße zu kommen. Bislang durfte der Schüler den öffentlichen Personennahverkehr umsonst benutzen. Doch das wollte die Kreisverwaltung jetzt zunächst unterbinden, bis sich die Böhme-Zeitung mit dem Fall befasst und für Klarheit gesorgt hat.

Kreistag findet kilometerlange Schulwege zumutbar

Um Schülerinnen und Schülern wie Jonathan die weiten Wege zu erleichtern, die Eltern von kostspieligen Beförderungsfahrkarten zu entlasten, hat der Kreistag des Heidekreises eine „Satzung für die Schülerbeförderung“ erlassen. Diese Satzung befreit nicht alle Schüler gleichermaßen von den Fahrtkosten, sondern legt fest, für welchen Schüler eine Beförderung bezahlt wird. So dürfen Schüler bis zur vierten Klasse eine kostenfreie Beförderung dann beanspruchen, wenn der Schulweg eine Strecke von zwei Kilometern überschreitet. Mädchen und Jungen an weiterführenden Schulen, Klasse fünf und sechs, traut der Kreistag schon mehr zu. Solchen Schülern ist der Satzungslage nach zuzumuten, eine Strecke von 3,5 Kilometern zu Fuss oder mit dem Rad zurückzulegen.

Doch Jonathan ist gerade in die 7. Klasse gekommen. Schülern wie ihm traut der Kreistag zu, auch Strecken von 4,5 Kilometern selbst zurücklegen zu können. Jonathans Ranzen wiegt satte acht Kilogramm. Das war vorher kaum anders, wie Eltern auch schon von Grundschülern wissen, wenn sie ihrem Nachwuchs das schwere Gepäck mit dem Lehrmaterial auf den Rücken schnallen und sie zur Tür rausschieben. Jonathans Herausforderung besteht aber darin, dass er selbstverständlich die lange Strecke zwischen der vor den Toren der Stadt gelegenen Ortschaft Tiegen und der Schule nicht zu Fuss zurücklegen kann. Der Landkreis befand aber, die Strecke sei nicht länger als 4,5 Kilometer, dem Jungen daher ein eigenständiges Anreisen zur Schule oder den Eltern ein kostspielige Monatskarte zuzumuten. „Am Geld liegt es nicht“, macht Jonathans Vater, der pensionierte Chefarzt Dr. Wolfram Franz, deutlich. Leisten könne man sich Fahrkarte schon. „Es gibt aber Eltern, die vielleicht in einer ähnlichen Situation stecken und sich das eben nicht leisten können.“ Zudem sei die Strecke nicht korrekt bemessen.

Landeselternrat fordert kostenfreien Schülerverkehr

Der erste Kritikpunkt des Soltauers richtet sich an den Kreistag, der für die Schülerbeförderungssatzung verantwortlich zeichnet. Darauf verweist gegenüber der Böhme-Zeitung auch die Kreisverwaltung. Doch der Landeselternrat Niedersachsen (LER) sieht hier auch die Landesregierung in der Pflicht und bemüht sich seit Jahren um eine Förderung der Schülerbeförderung. Es sei nicht hinnehmbar, „dass Eltern sich die Kosten für Schülerfahrkarten regelrecht absparen müssen, weil es eben nicht gelingt, die Kosten ohne Weiteres finanzieren zu können“, so der LER bereits 2019. Dabei haben CDU und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart, für die Träger des Schülerverkehrs geeignete Modelle für attraktiven ÖPNV zu entwickeln und stufenweise den kostenfreien Schülerverkehr auch für den Sekundarbereich II einzuführen. Getan hat sich seither nicht viel.

„Die Ermessensspielräume haben dazu geführt, dass Schüler in der Region Hannover kostenfrei fahren im Heidekreis und andernorts aber nicht“, hält Michael Guder, Vorsitzender des Landeselternrats die Forderungen der Institution nach Änderung aufrecht. „Schüler müssen generell kostenfrei zu ihren Bildungseinrichtungen fahren können, das gebietet die Garantie auf gleichwertige Bildungschancen.“ Die Finanzierung sollte aus Sicht des LER kein Argument sein, da mit einer landesweit einheitlichen Lösung auch Bürokratie und Verwaltungskosten entfielen.

Kreis beharrt zunächst auf korrekte Berechnung

Einstweilen bleibt es allerdings bei dabei, dass der Landkreis die Schülerbeförderung stemmen und finanzieren muss, der Kreistag eine Regelung beschlossen hat, die im Zweifel zwischen Nachbarskindern differenziert, je nachdem wie nah sie an der Schule wohnen. Der Landkreis Heidekreis hatte Jonathans kostenfreie Schülebeförderung zunächst abgelehnt, weil er nicht weiter als 4,5 Kilometer von der Schule entfernt wohne. Es werde „mit dem geografischen Informationssystem (GIS) metergenau nachgemessen“, beharrt die Kreisverwaltung zunächst auf ihren Ergebnissen und verweist lakonisch darauf, dass ja „eine rechtliche Überprüfung (Klage) nach einem Ablehnungsbescheid möglich“ sei.

Laut der ersten Entfernungsangabe von Google-Map wohnt Jonathan tatsächlich exakt 4,5 Kilometer von der Schule entfernt. Eigentlich zu wenig laut Satzung. Doch ein genauer Blick in die Satzung zeigt auch, dass der Schulweg definiert wird als derjenige Weg, den der Schüler zwischen der Haustür und der nächstgelegenen, regelmäßig geöffneten Schultüre zurücklegen muss. Google-Map misst grundsätzlich von Straßenkante zu Straßenkante.

Böhme-Zeitung rechnet nach, Kreis gesteht Fehler ein

Die Böhme-Zeitung hat deshalb Jonathans Weg genau nachgemessen. Allein der Weg von der Haustür zur Straßenkante sind bereits 32 Meter, der Weg zwischen Straßenkante Waterloostraße zur ersten Schultür weitere 14 Meter, zum Haupteingang sogar noch weiter. Doch Google-Map erlaubt noch eine weitere Kontrollüberprüfung. Indem nämlich der detaillierte Weg zwischen Start- und Zielpunkt geöffnet und die einzelnen Teilabschnitte des Weges mit Längenangaben angezeigt werden. Die BZ hat diese Teilabschnitte summiert und kommt auf 4515 Meter, also 15 Meter mehr als 4,5 Kilometer. Nachdem die BZ der Kreisverwaltung den Nachweis zur eigenen Messung noch einmal vorhält, gibt die Kreisverwaltung nach. „Nach nochmaliger Überprüfung sind die Voraussetzungen erfüllt, und die Fahrkarte wird bezahlt“, erklärt Sandra Michaelis für den Heidekreis. Jonathan hat bereits seine vorläufige Fahrkarte erhalten, darf wieder kostenfrei den Schulbus nutzen.

Doch sowohl Jonathans Eltern als auch der Landeselternrat wollen mehr, wünschen sich eine Regelung für gleichberechtigte Bildungschancen - im Idealfall den freien ÖPNV für alle Schülerinnen und Schüler. Denn: Hätte Jonathan zwei Häuser weiter westlich gewohnt, müsste er zwar dieselbe Haltestelle nutzen wie sein reales Ich, allerdings für die Nutzung des Busses bezahlen.