Ukraine: Kriegsgeneration durchlebt schlimme Erinnerungen

Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Kurt Palis hat den Krieg noch sehr genau in Erinnerung und befürchtet das Schlimmste im Ukraine-Konflikt. Foto: bk

Der russische Angriff auf die Ukraine wühlt die Welt auf, besondere Emotionalität hat der Krieg auf die Erlebnisgeneration des Zweiten Weltkriegs.

Ostpreuße hat die Bombardierung Preußisch Eylaus noch vor Augen

Gerhard Neumann aus Bad Fallingbostel zeigt sich im Gespräch mit der Böhme-Zeitung über den Ukraine-Krieg sehr aufgewühlt. „Da kann man nicht ruhig bleiben, wenn man die Angriffe auf die Ukraine, die Zerstörung, sieht“, sagt der 83-Jährige. Er habe die Bombardierung der ostpreußischen Stadt Preußisch Eylau noch vor Augen. Seine Familie hatte im masurischen Ortelsburg einen Hof. Die Familie war mit der Wehrmacht nach Norden gezogen, wurde von der Front überrollt und musste zurück nach Ortelsburg. „Als wir auf unseren Hof kamen, waren die Polen bereits da. Bis 1954 musste die Familie in Polen bleiben, kam dann in die DDR, wo die Familie noch im selben Jahr Republikflucht über Berlin-Marienfelde beging. Neumann landete 1978 im Heidekreis.„Das ist nicht angenehm.“ Neumann fürchtet, dass Putin den Krieg auf den Westen ausweitet. Das Gespräch über seine Kriegserlebnisse und die aktuellen Ereignisse mag der Ostpreuße nicht lange führen, zu belastend sind die Erinnerungen an Krieg, Flucht und Vertreibung.

Kurt Palis: Ehrenamt im Königsberger Gebiet ruht

Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Kurt Palis hat als 7-Jähriger die Flucht aus Ostpreußen miterleben müssen. Als Parlamentarier war er in Kiew und hat mit anderen Politikern auf den Frieden angestoßen und darauf, dass das Land nie wieder einen Krieg erleben müsse. Der Krieg erschüttert Palis tief. „Ich werde an die Bilder erinnert, die nie ganz verschwunden sind: Tote, Bomben, ins Eis auf dem Haff eingebrochene Fahrzeuge“, sagt Palis. Sein Engagement in der russischen Exklave Königsberg (Kaliningradskaja Oblast) ruht, „da kommt man jetzt auch nicht mehr rein“.

Von Putins Krieg erwartet Palis nichts Gutes. „Ich fürchte, dass es schlimm ausgeht, weil Putin nicht mehr zurückkann.“ Wichtig sei für seine Partei, dass jetzt Altkanzler Gerhard Schröder sich endlich positioniere.

Schlesier hat Todesmärsche miterlebt

Auch Dietrich Breuer hat den Krieg noch sehr lebendig in Erinnerung. Der 1936 im schlesischen Kreis Schweidnitz im Kirchdorf Großrosen geborene Munsteraner hat bewusst zwei Todesmärsche von jüdischen Frauen aus dem KZ Großrosen miterlebt. Die KZ-Häftlinge mussten direkt vor seinem Heimathaus vorbeimarschieren, die Mutter hatte versucht, den Frauen Brot zu geben. 1945 musste der damals Neunjährige mit seiner Familie Schlesien verlassen. Zu dem gegenwärtigen Eigentümer seines Heimathauses hat Breuer ein gutes Verhältnis. „Wir haben auf dem Grundstück meinen 70. Geburtstag mit Sekt aus Pappbechern begangen“, hat der Vertriebene eine positive Erinnerung an die Heimat.

Dem gegenwärtigen Krieg in der Ukraine begegnet Breuer allerdings mit unguten Gefühlen. Sein Vater ist am 21. März 1942 bei Charkow gefallen, liegt dort begraben. Die heute zweitgrößte ukrainische Stadt ist zurzeit schwer umkämpft. Ukrainer verteidigen sie gegen russische Invasoren. „Das bestehen natürlich emotionale Bindungen“, berichtet Breuer. Zudem fahre seine Nichte seit vielen Jahren mit Hilfstransporten in die Ukraine, berichtet er. Der Krieg hinterlässt Breuer fassungslos. „Wer hätte sich das träumen lassen? Ich nicht.“

Die 1937 in Schneverdingen geborene Adeltraud Lemke denkt besonders an den Hunger während der Kriegsjahre und im ersten Nachkriegswinter. „Das ist fürchterlich, wer glaubt dieser Putin eigentlich, wer er ist?“, ist sie vor allem zornig.

Russlanddeutsche lehnen Krieg ab, sind aber gespalten

Die Schneverdingerin Emma Dorn ist mit Jahrgang 1942 zu jung, um sich an den Zweiten Weltkrieg zu erinnern, hat aber als Deutsche aus Russland, deren Familienwurzeln im ukrainischen Wolhynien liegen, ebenfalls eine emotionale Bindung sowohl an Russland als auch in die Ukraine. Ihre Kindheit als Deutsche in Russland sei hart gewesen, sie sei mit ihrer Familie entwurzelt worden, erst durch die SS ins Deutsche Reich zur Einbürgerung, dann von den Sowjets bis nach Kasachstan. Die älteren Geschwister hätten als Deutsche unter unbarmherzigen Verhältnissen Zwangsarbeit leisten müssen. Die Familie war lange Zeit dem Tod näher als dem Leben. Noch gegen Ende der Sowjetzeit sei sie von russischen Frauen als Faschistin tituliert worden, weil sie mit Familienangehörigen auf der Straße Deutsch gesprochen habe. Den Krieg in der Ukraine findet Emma Dorn schlimm, nennt ihn einen Bruderkrieg. „Die Ukrainer sind ja auch mit den Russen gemischt, sie leben miteinander“, berichtet Dorn, die noch heute Familienangehörige in Russland und in der Ukraine hat. Ihre Nichte lebt mit ihrer Familie bei Kiew. Sie habe jetzt ihre Kinder nach Tschechien in Sicherheit gebracht und habe sich mit ihrem Mann freiwillig als Verteidiger der Heimat gemeldet. „Es ist doch klar, dass sich Russen in der Ukraine an die Gesetze ihres Landes halten müssen“, hat sie wenig Verständnis für die Autonomiebestrebungen im Donbass. In Dorns Familie sind die Meinungen zu dem Krieg durchaus unterschiedlich. Eine ältere Schwester von Dorn, die in Naumburg lebe, schimpfe auf die Nichte, weil die Russen ihrer Ansicht nach zu Recht im Donbass eingriffen.

So wie die Ansichten der russlanddeutschen Familie Dorn hinter den verschiedenen Seiten der Kriegsgegner stehen, ist es wohl auch in der ganzen Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, in der sich viele Menschen der Kriegsgeneration organisiert haben. Lilli Bischoff reagiert zumindest zurückweisend auf die Anfrage der Böhme-Zeitung, wie die Landsmannschaft zu Putins Invasion in die Ukraine steht. „Wir sind für den Frieden, äußern uns nicht zum Krieg selbst“, will die niedersächsische Landesvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen aus Russland keine Position pro oder contra Putins Krieg abgeben. In der Landsmannschaft gebe es dazu durchaus unterschiedliche Meinungen, bestätigt sie. Man habe Freunde und Familien sowohl in Russland als auch in der Ukraine. Bischoff selbst ist noch zu Zeiten der Sowjetunion nach Deutschland gekommen, kennt noch den Kalten Krieg. „Wichtig sind die Menschen, die unter diesem Krieg leiden, sie stehen für uns im Vordergrund.“