„Wie die entspannende Zigarette“

Faszinierend und bedrohlich: Feuer ist ein mächtiges Tatmittel, das schnell außer Kontrolle geraten kann.

Diplom-Psychologin Michaela Schätz verfügt über langjährige Erfahrung in der forensischen Behandlungsarbeit mit Brandstiftern sowie Gewalt- und Sexualstraftätern. Als Referentin des Zentrums für Kriminologie und Polizeiforschung im rheinland-pfälzischen Kaisersesch bietet sie Fortbildungen unter anderem zur deliktsorientierten Arbeit mit Brandstiftern und zu kriminalpsychologischen Aspekten nichtmonetärer Motive bei Brandstiftern an. Ein BZ-Gespräch über die Faszination von Feuer und Brandlegungen als Mittel zum Abbau innerer Spannungen.

Frau Schätz, Sie haben sich als Psychologin intensiv mit Brandstiftern beschäftigt. Wie kam es dazu?

Ich fing 2001 an, mit psychisch kranken und suchtkranken Tätern im Maßregelvollzug zu arbeiten. Die Station war auf Sexualstraftäter ausgerichtet, doch es gab dort auch einige Brandstifter. Für die war das hergebrachte Behandlungskonzept unpassend, sodass ihnen unter meiner Leitung ein eigenes, deliktspezifisches Gruppenangebot gemacht wurde. Das war faszinierend, ich habe in der Arbeit mit diesen Männern viel gelernt. Der Deliktsbereich hat mich nie wieder losgelassen. Brandstifter stellen im Maßregel- und Strafvollzug eine sehr kleine Gruppe dar. Das liegt auch an der geringen Aufklärungsquote bei Brandstiftungen. Etwa die Hälfte der Fälle bleibt unaufgeklärt. Seit einigen Jahren bin ich im Strafvollzug und nur noch diagnostisch tätig. Als Leiterin der Einweisungsabteilung des geschlossenen Berliner Männervollzugs sehe ich aber weiterhin die im Zusammenhang mit Bränden inhaftierten Täter und habe mit ihnen zu tun.

Arbeiteten Sie überwiegend mit Brandstiftern, die ihre Taten aus einem inneren Motiv heraus begangen?

Ja, genau. Ausschließlich sogar.

Gerade bei diesen Tätern fragt man sich: Was haben die von ihren sinnlos erscheinenden Taten? Existiert eine spezielle Tätertypologie?

Es wurde vergeblich versucht, Tätertypologien für diesen Deliktsbereich zu entwickeln. Sie finden bei Brandstiftern nichts, was Sie nicht auch bei anderen Straftätern finden. Empirisch belegt ist, dass Brandstiftungen oft eine Phase großer Anspannung der Täter vorausgeht. Mit der Brandlegung löst sich das, die Täter erlangen eine Verbesserung ihres inneren Zustands. Das wirkt wie die entspannende Zigarette bei einem Raucher. Es geht dabei unmittelbar um den Akt des Brandlegens. Meist wissen die Täter nicht, wem sie mit ihrer Tat Schaden zufügen. Das spielt für Serienbrandstifter in der Regel keine Rolle. Rachemotive gegen konkrete Personen sind die Ausnahme.

Aus welchem sozialen Milieus stammen die meisten Brandstifter?

Sie wachsen oft unter schwierigen Sozialisationsbedingungen auf, man findet oft eine Reihe psychosozialer Belastungsfaktoren. Sie leben häufig in sozial schwachen, randständigen Milieus. Manche haben keinen Schulabschluss und große Probleme bei der beruflichen Integration. Unter den Tätern befinden sich überdurchschnittlich viele Heranwachsende und intelligenzgeminderte Personen. Menschen mit großen inneren Konflikten, die mit Niederlagen, Frust und Zurückweisung schlecht umgehen können. Die gehören eher zu den Schwächeren und kommen nicht mit ihren Gefühlen klar. Das erzeugt diesen wahnsinnigen inneren Druck, die Anspannung, die sich dann in der Tat entlädt. Oft liegt dem ein schon als Kind erlerntes Verhaltensmuster zugrunde. Brandlegung wird als befreiend empfunden. „Da ist mir ein Stein vom Herzen gefallen“, sagen Täter schon mal. „Da habe ich mich endlich einmal entspannen können“. Ein gesunder Mann geht in Stresssituationen vielleicht eine Runde Joggen oder ein Bier trinken, um Stress abzubauen. Solche Strategien stehen dem Brandstifter nicht zur Verfügung.

„Das Feuerwehrmotiv ist bei Brandstiftungen vielfach belegt"

Sie beschreiben ein suchtähnliches Verhalten. Ist der typische Brandstifter ein Serientäter?

Die Rückfallgefahr ist groß. Besonders bei Tätern, die verhaltensauffällig sind. Ebenfalls stark rückfallgefährdet sind diejenigen, die durch ihre Tat Anerkennung suchen. Da kommt der Feuerwehrmann ins Spiel, der Brände legt, um sie als Held zu löschen.

Dieses Klischee stimmt also?

Das sogenannte Feuerwehrmotiv ist bei Brandstiftungen vielfach belegt. Hintergrund ist die Faszination von Feuer. Die liegt in uns und kann zum Eintritt in die Feuerwehr wie auch zur Brandstiftung motivieren. Es gibt immer mal wieder aktive Feuerwehrleute als Täter. In meiner Behandlungsarbeit im Maßregelvollzug bin ich gescheiterten Feuerwehrmännern begegnet. Die sind bei der Freiwilligen Feuerwehr rausgeflogen, oft weil sie Probleme mit Autoritäten und Disziplin hatten. Der Feuerwehrdienst erfordert die Bereitschaft, zugewiesene Aufgaben zu erledigen. Diese Männer wollten aber nicht Putzdienste übernehmen oder nach einem Verkehrsunfall die Scherben von der Straße fegen. Die sahen sich als Helden auf dem Löschfahrzeug. Erwartung und Realität klafften auseinander. Nach ihrem Scheitern in der Feuerwehr blieben sie im Thema. Sie hatten schon einiges über Brände gelernt und beschäftigten sich weiter damit. Sie probierten vieles aus. Wie sich Brände verzögern und beschleunigen lassen, wie Elektrizität genutzt werden kann. Mich hat immer wieder fasziniert, was für ein unglaubliches Fachwissen Brandstifter haben.

Im Heidekreis legte der mutmaßlich gleiche Täter mehrmals Brände an einem ganz bestimmten Ort. Was lässt sich daraus ableiten?

Brandstifter unterscheiden sich in ihren Tathandlungen, es gibt unterschiedliche Cluster. Bei denjenigen, die immer im gleichen Bezirk, in dem sie sich gut auskennen, unterwegs sind, handelt es sich oft um jüngere Täter. Die begehen ihre Taten oft spontan, als Reaktion auf eine konkrete Stimmung. Wenn auf dem gleichen Gelände mehrmals Brände gelegt werden, gibt das der Polizei zusätzliche Ermittlungsansätze. Welchen besonderen Bezug hat der Täter zum Tatort? Auch Psychologen können daraus etwas ableiten. Aber bis die Tat aufgeklärt ist und man sich den Täter anschauen kann, bleiben alle Hypothesen spekulativ.

Gibt es bei Brandserien ein typisches Muster? Steigern sich die Taten?

Wenn das geschieht, kann das für einen narzisstischen Täter sprechen. Er will sich mit den Bränden aufwerten, ihm kommt es darauf an, Reaktionen auszulösen. Auch in der Presse. Werden Objekte und Schäden größer, bleibt die Aufmerksamkeit bestehen oder steigert sich. Aber auch bei den Tätern, die mit Brandstiftungen innere Spannungen abbauen, können sich die Taten steigern, oder die Abstände zwischen ihnen verkürzen. Das kann passieren, wenn die Lebenssituation des Täters sich durch neue Ereignisse weiter verschlechtert. Oder sich die ursprünglichen Probleme, die durch die Brandlegungen ja nicht gelöst worden sind, vergrößern. Andererseits kann bei diesen Tätern eine Serie durch verbesserte Lebensumstände unterbrochen werden, etwa wenn sie eine Arbeit oder Freundin finden. Doch sobald die Umstände sich erneut verschlechtern, droht der Rückfall.

Wie kann deliktsorientierte Täterarbeit dieses Rückfallrisiko minimieren?

Indem sie sich auf die Defizite fokussiert, die den Taten zugrunde liegen. Ziele können sein, besser mit Kritik umzugehen, sich klarer auszudrücken, Dinge anzusprechen und einzufordern. Typisch ist, dass es in den Tätern brodelt, sie sich aber nichts anmerken lassen. Das muss durchbrochen werden, damit der Druck nicht immer weiter steigt. Wichtig ist darüber hinaus ressourcenorientiertes Arbeiten. Das kann bedeuten, einen Schulabschluss oder eine Ausbildung nachzuholen. Oder an der eigenen Beziehungsfähigkeit zu arbeiten. Eines muss man klar sagen: Behandelte Täter haben ein geringeres Risiko, erneut Straftaten zu begehen.

Feuer ist ein mächtiges Element...

Sehr mächtig sogar. Brandstifter nehmen oft gar nicht wahr, wie viel Schrecken sie verbreiten, wie sehr sie Menschen Angst einjagen. Sie unterschätzen auch den wirtschaftlichen Schaden, den sie anrichten. Manche begehen nur eine einzige Tat und sind danach ein Leben lang verschuldet. Es ist daher ein weiteres Ziel in der Arbeit mit Brandstiftern, ein Bewusstsein für die verheerenden Tatfolgen zu entwickeln, um einen Schutz vor Deliktrückfällen aufzubauen.