„Druck zu machen, bleibt wichtig“

Bunter Protest: Am 25. März demonstrierte Fridays for Future in Soltau und an vielen anderen Orten für Klimagerechtigkeit und gegen den Krieg in der Ukraine. Foto: at

Die Fridays-for-Future-Bewegung gehört im Heidekreis inzwischen zu den etablierten zivilgesellschaftlichen Akteuren. Sprecher der Soltauer FFF-Ortsgruppe ist Ole Henner Maaß. Der 26-Jährige wuchs in der Böhme-Stadt auf und absolvierte hier eine Ausbildung zum Erzieher. Aktuell studiert er Sozialwissenschaften in Erlangen. Die BZ sprach mit ihm über sein Engagement, den Zusammenhang zwischen Klimakrise und Friedenspolitik und die Kunst, auch in schwierigen Zeiten nicht zu resignieren.

Wie kamen Sie zur Klimaschutzbewegung Fridays for Future (FFF)?

Ole Henner Maaß: Ich bin an meinem Studienort Erlangen bei Greenpeace aktiv und wollte mich auch in meiner Heimat Soltau engagieren. Anfangs dachte ich daran, hier eine Greenpeace-Gruppe zu gründen. Aber vorhandene Strukturen zu nutzen ist oft besser. Daher schloss ich mich vor etwa einem Jahr der bereits bestehenden Soltauer Ortsgruppe von FFF an. Im Konzept von FFF, mit offenen Demonstrationen alle zum Mitmachen einzuladen, finde ich mich sehr gut wieder. Demonstrationen sind ein gutes Mittel, um sich friedlich und dennoch laut und sichtbar für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit einzusetzen.

An der jüngsten FFF-Demo für Klimaschutz und Frieden in Soltau beteiligten sich allerdings nur etwa 80 Personen. Sind Sie mit der Resonanz unzufrieden?

Veranstalter und Presse vermelden bei Demonstrationen immer unterschiedliche Teilnehmerzahlen (lacht). 80 bis zeitweise um die 100 Teilnehmende kommt aber auch nach unserer Beobachtung so ungefähr hin. Unsere Veranstaltung im September wurde noch von etwa 300 Leuten besucht. Natürlich fragen wir uns, was der Grund für diesen Rückgang ist und wie wir noch mehr Menschen erreichen können. Wir haben das in der Gruppe diskutiert und sind zum Ergebnis gekommen, dass wir den Zusammenhang zwischen Klimaschutz und Frieden, der uns offensichtlich erschien, vielleicht nicht verständlich genug kommuniziert haben. Und auch der Regierungswechsel mag eine gewisse Rolle gespielt haben. Die Grünen sind Teil der Bundesregierung und Olaf Scholz hat sich zum Klimakanzler erklärt. Manche mögen denken, es läuft nun von selbst in die richtige Richtung. Wichtig ist aber, dass jede einzelne Person, die in Soltau demonstriert hat, ein wichtiges Zeichen für Klimagerechtigkeit und auch für Frieden gesetzt hat.

Auch Angela Merkel ist als Klimakanzlerin gestartet...

Vielleicht möchte man das auch einfach glauben. Aber Druck ist wichtig, und wir arbeiten kontinuierlich daran, mehr Menschen zu erreichen und für den Klimaschutz zu motivieren. Die letzte Demo wurde sehr kurzfristig organisiert und wir haben später erfahren, dass viele Schülerinnen und Schüler gar nicht mitbekommen hatten, dass was stattfindet. Auch daraus lernen wir. Dass es in Soltau und Umgebung grundsätzlich genügend Menschen gibt, die Klimapolitik als ein wichtiges Anliegen begreifen, steht für mich außer Frage.

Der Krieg ist das Top-Thema, die schrecklichen Bilder aus der Ukraine bewegen die Menschen sehr. Betreibt die FFF-Bewegung nicht schlicht Trittbrettfahrerei, wenn sie Friedens- und Klimapolitik miteinander vermischt?

Frieden und Klimaschutz gehen Hand in Hand. Bereits heute finden weltweit Verteilungskämpfe um knapper werdende Ressourcen statt. Kriege werden vor allem um Erdöl geführt, auch andere Bodenschätze und Wasser spielen eine wichtige Rolle. Fruchtbares Ackerland wird angesichts des Bevölkerungswachstums und des Klimawandels immer knapper und begehrter.

In der Ukraine geht es Russland aber um andere Dinge.

Aber denken Sie an Kriege weltweit, zum Beispiel die Golfkriege, die Ölkriege gewesen sind. Vielen Menschen ist nicht klar, wie eng Frieden und Klimaschutz miteinander verzahnt sind. Jedes Engagement für lokalere und erneuerbare Energie bedeutet, sich gegen die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und anderen Ländern zu stellen. Im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen ist es bei erneuerbaren Energien weniger wahrscheinlich, dass sie zu geopolitischen Machtkämpfen oder Ungleichheit führen, da ihre Infrastruktur das Potenzial hat, weitgehend lokalisiert zu sein. Jedem ist klar, dass Deutschland in der aktuellen Situation den Krieg in der Ukraine durch Öl- und Gasimporte aus Russland quasi mitfinanziert. Wir beliefern einerseits die Ukraine mit Waffen, gleichzeitig aber mittelbar auch Russland, weil wir dem Land finanzielle Mittel für Krieg und Rüstung zur Verfügung stellen. Das kann doch niemand richtig finden.

FFF fordert einen sofortigen Importstopp für russisches Öl und Gas. Das sehen laut einer von der Böhme-Zeitung mit anderen niedersächsischen Tageszeitungen in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage rund 55 Prozent der Niedersachsen ebenso. Die Frage ist, wie die nationale Energieversorgung ohne Russland-Importe sichergestellt werden kann. In der Umfrage sprechen sich 70 Prozent dafür aus, Atomenergie länger als geplant zu nutzen. Eigentlich soll der Atomausstieg in Deutschland Ende des Jahres abgeschlossen sein. Brauchen wir den Ausstieg aus dem Ausstieg?

Das wird im Moment oft angesprochen, ich bin in verschiedenen Kontexten damit konfrontiert. Allgemein lässt sich sagen, dass Atomkraft nicht nachhaltig ist und daher auf keinem Fall eine Energieform der Zukunft sein kann. Vor allem das Problem der Endlagerung verbrauchter Brennelemente steht dem entgegen. Allein in Deutschland entstehen im Jahr schätzungsweise 150 Tonnen hochradioaktiver Müll. Wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen. Es gibt in Deutschland keinen Ort, an dem wir das sicher und dauerhaft lagern können. Ein Wiedereinstieg in die Kernenergie wäre daher nicht hilfreich.

Aber vielleicht eine Restlaufzeitverlängerung für die drei noch in Betrieb befindlichen deutschen Atomkraftwerke?

Auch Atomenergie ist nicht CO2-neutral. Treibhausgase entstehen vor und nach der Stromproduktion, beim Bau und Rückbau von Atomkraftwerken, beim Uranabbau und bei der Endlagerung. Das muss einem bewusst sein. Um den Kohleverbrauch zu reduzieren, wäre eine zeitlich begrenzte Laufzeitverlängerung im jetzigen politischen Kontext eventuell trotzdem vertretbar. Kernkraft darf aber unbedingt nur als Übergangslösung gelten und ist natürlich mit einem enormen Risiko verbunden. Die Zukunft sind erneuerbare Energien.

Müssten beim Wegfall russischer Importe weitere Tabus fallen? Durch Fracking ließen sich bislang unerschlossene niedersächsische Erdgasvorkommen ausbeuten. Und der Bau von Flüssiggas-Terminals für Gasimporte per Schiff aus Katar und den USA wird ausgerechnet vom grünen Klimaminister Robert Habeck vorangetrieben.

Als Aktivist sehe ich meine Rolle darin, über die Folgen bestimmter Energieformen aufzuklären. Fracking ist ebenso wie Flüssiggas im Grundsatz abzulehnen. Ich möchte nicht Pest und Cholera gegeneinander abwiegen, auch wenn das eine oder andere eventuell für eine begrenzte Zeit genutzt werden muss. Mir ist wichtig, dass darüber der absolut wichtige Ausbau der Erneuerbaren nicht vernachlässigt und verlangsamt wird. Ich sehe die Gefahr, dass man jetzt zum Beispiel Flüssiggas importiert oder Fracking-Gas fördert und dann ein falsches Entweder-oder-Denken einsetzt. Es muss auf jedem Fall gleichzeitig und massiv in den Ausbau von Windenergie investiert werden. Mir ist klar, dass im Moment die Verteidigung von Werten und Menschenrechten in der Ukraine stark im Fokus stehen, ich teile das. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass auch der Klimawandel bereits heute konkrete Opfer fordert und es mehrere Kriege auf der Welt gibt. Betroffen sind vor allem marginalisierte und arme Menschen. Das steht uns nicht so vor Augen wie die Situation in der Ukraine. Aber auch das passiert genau jetzt und ist eine große humanitäre Krise.

Es gibt neben FFF inzwischen weitere Klimagruppen, und die protestieren in den großen Städten nicht immer nur friedlich. Radikalisiert sich ein Teil der Bewegung?

Ich freue mich über die Differenzierung in Ihrer Frage. Vielen sind die Unterschiede gar nicht klar. Ich wurde schon als Straßenblockierer beschimpft, obwohl ich sowas entschieden ablehne. Es macht einen großen Unterschied, ob ich von meinem Versammlungsrecht Gebrauch mache oder mich von einer Autobahnbrücke abseile und damit andere gefährde. Eine friedliche Demo lenkt die Aufmerksamkeit auf das Anliegen, und darauf sollte es ankommen. Sonst wird am Ende nur über die Legitimität des Protests diskutiert. Das sehen die meisten Menschen, die ich aus meinem Umfeld kenne, genauso.

Ein Merkmal von FFF ist das niedrige Durchschnittsalter der Aktivisten. Ist der Konflikt um Klimaschutz ein Generationskonflikt?

Ich registriere auf FFF-Demos auch ältere Menschen, gerade in Soltau. Es geht weniger ums Alter als darum, die Klimakrise anzuerkennen. Das ist eine Frage von Bildung und der Fähigkeit, Informationsquellen in ihrer Glaubwürdigkeit einschätzen zu können.

Die Klimakrise ist eine gigantische globale Herausforderung. Wie kann man da verhindern zu resignieren? Glauben Sie, dass das Zwei-Grad-Ziel der UN überhaupt noch erreichbar ist?

Ich meine, dass auch das 1,5-Grad-Ziel noch erreichbar ist. Das sagt auch der Weltklimarat. Wir müssen alles geben, um dem Ziel so nah wie möglich zu kommen. Mir hilft es, im Kontakt mit anderen ganz unmittelbar zu erfahren, dass es viele Menschen gibt, die es genauso sehen. Daher mein Appell: Engagieren Sie sich, engagiere Dich. Es gibt viele Beispiele, die mir Mut machen, auch im Heidekreis. Zum Beispiel organisiert das Soltauer Kinder- und Jugendzentrum (Youze) ganz aktuell zum Earth-Overshoot-Day eine Nachhaltigkeitswoche mit vegetarischem Kochen, einer Kleidertausch-Party und weiteren Aktionen.

Solche Aktionen propagieren Mäßigung: Weniger Fleisch, weniger Konsum. Sind die fetten Jahre vorbei, müssen wir uns in eine Verzichtsgesellschaft verwandeln?

Ich glaube der Frage liegt ein falscher Freiheitsbegriff zugrunde. Wenn Freiheit bedeuten soll, dass wenige Menschen auf Kosten vieler alles ohne Einschränkungen tun dürfen, so wäre das eine sehr traurige Definition. Wir in Deutschland gehören zu den reichsten vier Prozent der Weltbevölkerung. Wir sollten nicht von Verzicht reden, weil das unverhältnismäßig wäre. Es geht bei uns eher um Veränderung und die Entdeckung neuer Dinge.