ICE-Klimadebatte: Alt gegen Jung, Stadt gegen Land

Beim Protest rund um die geplante ICE-Trasse gibt es auch ein Für und Wider zwischen den Generationen.

Seit Fridays for Future (FFF) lautstark für den Neubau einer ICE-Trasse zwischen Hamburg und Hannover kämpft, verlagert sich die Diskussion. Ging es zuvor vor allem um Fahrzeiten und Transportkapazitäten, rückt nun die Klimabilanz des Ausbau-Konzepts Alpha E beziehungsweise eines Neubaus in den Fokus. Die Klimajugend setzt auf eine neue Trasse als großen Wurf und mächtiges Zeichen für eine Verkehrswende, die sich was traut und auch gegen Widerstände durchgesetzt wird. Der arrivierte, organisierte Naturschutz, vertreten vor allem durch Nabu und BUND, favorisiert dagegen den behutsameren bestandsnahen Aus- und Neubau. Es ist auch ein Konflikt der Generationen sowie zwischen Stadt und Land. Lässt sich der Riss im regionalen umwelt- und klimabewegten Milieu noch kitten?

Beziehungsstatus: Es ist kompliziert. FFF wirft dem örtlichen SPD-Politiker und Alpha-E-Streiter Lars Klingbeil vor, sich einer Diskussion auf Augenhöhe mit jungen Klimaaktivisten zu verweigern (BZ vom 19. August). Gleichzeitig wirft die Kommunikationsstrategie der Klimaschutzgruppe selbst Fragen auf. Man würde gerne auf der großen Bühne ein prestigeträchtiges Streitgespräch mit dem SPD-Vorsitzenden führen, dazu hat FFF Klingbeil öffentlichkeitswirksam herausgefordert. Das inhaltliche Gespräch mit Bürgerinitiativen und Naturschutzorganisationen, die sich für Alpha E engagieren und tief im Thema stecken, wird dagegen vermieden. Man vertrete eine andere Position, heißt es lapidar vom FFF-Sprecher Kay Rabe von Kühlewein. Im fachlichen Austausch stehe man nicht. Kontaktversuche von Initiativen aus dem Landkreis Harburg liefen nach BZ-Informationen ins Leere.

Einen unorthodoxen Dialogversuch gab es am Rande der FFF-Demo in Lüneburg am 11. August. BUND-Mitglied Eckehard Niemann vom Projektbeirat Alpha E mischte sich unter das junge Volk und verbreitete ein Flugblatt, gerichtet an die „Lieben Freundinnen und Mitstreiterinnen von Fridays for Future“. Die freundliche Ansprache ist keine Ironie. Der ehemalige Greenpeace-Aktivist Niemann unterstützt FFF schon lange, „als wesentlichen Hoffnungsträger für eine klimaverträgliche, lebenswerte und gerechte Zukunft“, wie er schreibt. Doch beim Thema Neubaustrecke wähnt der Pensionär den Nachwuchs auf dem falschen Dampfer beziehungsweise der falschen Lok. Im Flugblatt begründet er seine Haltung. Die Antwort, die er von FFF erhielt, löst Verärgerung aus, auch im Heidekreis.

Kritik an Fridays for Future

„Bitte informiert Euch. Der vom Schienenforum eingesetzte Projektbeirat Alpha E würde sich auf ein Treffen mit Euch freuen“ – so endet ein Flugblatt, das Eckehard Niemann vom Projektbeirat Alpha E während der Klima-Demo von Fridays for Future (FFF) in Lüneburg an junge Protestler verteilte. Der leicht oberlehrerhafte Ton des Pensionärs ist einerseits bezeichnend für eine Kommunikation zwischen den Generationen, die oft nicht auf Augenhöhe stattfindet. Andererseits sorgen FFF Niedersachsen und Hamburg mit jüngsten Verlautbarungen selbst dafür, dass unter denjenigen, die sich schon länger und intensiv mit dem norddeutschen Schienenfernverkehr beschäftigen, der Eindruck verbreitet ist, dass es sich die Klimajugend bei der Abwägung zwischen Neubau und Ausbau zu einfach macht – indem sie einfach das übernimmt, was die Deutsche Bahn sagt. „Die lassen sich instrumentalisieren“, bringt es Jörg Eggers, Soltauer Sprecher der Bürgerinitiative Unsynn, hart auf den Punkt.

Im Flugblatt wird den Aktivisten nicht abgesprochen, mit besten Absichten zu agieren. „Vermutlich meinen diese Gegner* innen von Alpha E, dass ‚So viel Bahn-Bau wie möglich‘ der Verlagerung von Verkehren von der Straße auf die Schiene und dem Klima nütze“, schreibt Ex-Greenpeace-Aktivist Niemann. Doch das sei falsch. Das Schreiben führt die bekannten Argumente gegen einen Neubau auf, etwa dass Alpha E „dem naturschutzgesetzlichen Bündelungsgebot der Verkehrswege“ entspreche, während eine neue Trasse nur zu einem kleineren Teil tatsächlich entlang der A7 verlaufen würde. „Landschaften und Orte werden weiter zerschnitten und versiegelt.“

Die Antwort, die Niemann auf seine provokante Flugblatt-Aktion erhielt, ist vor allem wegen des Verfassers interessant. Sie stammt nicht von einer Aktivistin oder einem Aktivisten, sondern vom pensionierten Bahnplaner und Ingenieur Dr. Rudolf Breimeier. „Hier verbreitet sich ein ehemaliger Verkehrsplaner in der Rolle eines Ghostwriters für Fridays for Future“, schimpft der grüne Lokalpolitiker und Soltauer Ratsherr Dietrich Wiedemann. Von einem „Klüngel“ spricht Unsynn-Sprecher Christoph Renken und redet sich in Rage. Der schnell arrogant wirkende Stil von FFF, der Diskussion mit lokalen Bürgerinitiativen auszuweichen, löst etwas aus. „Die sitzen in ihrer Blase“, sagt Wiedemann. „Die kommen alle aus dem städtischen Umfeld“, bemerkt Eggers. Für die Perspektive von Menschen, die im ländlichen Raum entlang der geplanten Neubaustreckenvarianten leben, würde sich bei denen niemand interessieren. Kritik aus dieser Richtung werde pauschal als „Not-in-my-Backyard“-Egoismus abgetan, greift Eggers eine von FFF gegenüber dem SPD-Politiker Lars Klingbeil verwendete Formulierung auf.

Trotz Verstimmtheit gibt es Gesprächsbereitschaft

Man werde als Bürgerinitiative Unsynn noch offiziell Stellung zu FFF beziehen, kündigen Eggers und Renken an. Bei aller Verstimmtheit sei man doch gesprächsbereit. „Unser Angebot steht“, erklärt Renken. Ob sich FFF darauf einlassen werden? „Ich rechne nicht damit“, sagt der BI-Sprecher. Wiedemann hadert derweil mit den Teilen seiner Partei, die sich mehr oder weniger klar vom ursprünglichen Alpha-E-Konsens entfernt haben. Er konfrontiert etwa den bahnpolitischen Sprecher der grünen Bundestagsfraktion und Neubau-Befürworter Matthias Gastel mit Themen, über die dieser „nicht gerne nachdenken“ wolle. Zum Beispiel die Moorflächen, die von einem Trassenneubau direkt betroffen wären. Eggers kommt auf fünf solche Flächen. Wiedemann sieht harte innerparteiliche Auseinandersetzungen aufziehen, scheut diese aber nicht. „Wo gehobelt wird, fallen auch Spähne“, sagt der erfahrene Lokalpolitiker. Und mit Blick auf seinen Parteifreund Gastel: „Solchen Leuten entgegenzutreten ist Basisdemokratie.“

Wiedemann ärgert sich auch darüber, dass mithilfe von FFF der Eindruck entstehe, dass es bei der Abwägung der Bahn zwischen einer Neubaustrecke und Alpha E zentral um Klimaschutz gegangen sei. Unter Verweis auf das Methodenhandbuch zum Bundesverkehrswegeplan 2030 verweist er diese Deutung ins Reich der Wunschträume. Realität sei, dass in die Kosten-Nutzen-Analyse ganz überwiegend monetäre Aspekte eingestellt würden. „Das führt dazu, dass man Bodenpreise für Forstflächen in der Heide in den Vergleich zu Parzellen an der Bahntrasse in Lüneburg stellt, die auf dem Grundstücksmarkt hundertfach mehr Geld kosten.“

Andre Ricci