Balanceakt der Landwirte auf der Grünen Woche

Im „Bürgermeisterzimmer“ (von links): Andre Brunemund vom Verein „Eure Landwirte – Echt grün“, Landvolk-Kreisvorsitzender Henrik Rump und Kreislandvolk-Geschäftsführer Henning Jensen. Foto: ari

Es gibt sie noch, die gute Stimmung unter Landwirten. In der Niedersachsenhalle auf der Grünen Woche in Berlin, der wichtigsten internationalen Messe für Landwirtschaft, Ernährung und Gartenbau, herrscht Ausgelassenheit – auch am Stand, an dem Walsroder Schnuckenbräu und Eierlikör aus dem Aller-Leine-Tal kredenzt wird. Trecker-Demos und Agrardiesel-Frust scheinen weit weg zu sein. Der Eindruck ist nicht ganz falsch. Aber auch nicht komplett richtig.

„Berlin ist Folklore“, sagt Henrik Rump. „Auf der Grünen Woche geht es vor allem um Essen und Trinken, das war immer so.“ Rump, seit November Vorsitzender des Kreislandvolksverbands Lüneburger Heide, kennt das Messegeschehen seit Jahren. Ist in diesem Jahr wirklich alles so wie immer? Nicht ganz, so Rump mit Blick auf den Teil der Messe, der sich eher im Hintergrund abspielt. Denn wenn die Grüne Woche um 18 Uhr ihre Tore fürs breite Publikum schließt, gehen nicht alle Lichter aus. Dann begegnen sich auf Veranstaltungen wie dem Niedersachsenabend mit Ministerpräsident Stephan Weil und Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte Politik und Verbände. „Die Empfänge für die Vertreter der Politik sind kühler als sonst“, sagt Rump, „es gibt weniger Applaus.“ Die Branche sei verärgert, „und das sollen die Politiker auch spüren“. Gibt es keine weiteren Zugeständnisse, werde der Protest weitergehen, so der Verbandsvorsitzende aus der Samtgemeinde Schwarmstedt. Die Resonanz sei positiv, freut er sich über Unterstützung auch aus landwirtschaftsfernen Milieus.

Um diese geht es an den Messeständen. Die Grüne Woche bietet der Landwirtschaft die seltene Gelegenheit, mit großstädtischen Konsumenten ins Gespräch zu kommen. Die konventionelle Landwirtschaft und die in Niedersachsen stark vertretene Nutztierhaltung haben – nicht nur, aber auch – ein Imageproblem. Der Kreislandvolkverband trat daher vor rund zwei Jahren dem Verein „Eure Landwirte – Echt Grün“ bei, der sich um Öffentlichkeitsarbeit vor allem in den sozialen Medien kümmert. Auch der Gemeinschaftsstand 113 in der Messehalle 20, an dem sich die Vertreter aus dem Heidekreis präsentieren, trägt das Vereinslogo. Die Landwirtschaft produziert nicht nur Nahrungsmittel, sondern oft auch schöne Motive – Tiere und Pflanzen, Kinder auf dem Bauernhof oder auch mal ein kantig-freundlicher Landwirt in Gummistiefeln und mit Hosenträgern an der Schlabberjeans. Um Politik gehe es bei den bunten Posts nie, sagt Vereinsgeschäftsführer André Brunemund.

Am Stand „Eure Landwirte – Echt Grün“ in der Niedersachsenhalle herrscht an diesem Morgen reger Andrang. Auf dem Programm steht ein „Come Together“ mit Wirtschaftsvertretern aus dem Heidekreis. Trotz des Bahnstreiks haben einige den Weg in die Hauptstadt und zur Internationalen Grünen Woche (IGW) gefunden. Man zieht sich ins kleine „Bürgermeisterzimmer“ zurück. Auf einer populären Publikumsmesse wie der IGW herrscht immer viel Trubel, da kann eine geschlossene Tür nicht schaden. Auch wenn die Wände wie aus Pappe sind und der provisorische Raum oben offen ist. Kaum hat das Treffen begonnen, setzt eine Blaskapelle ein und beschallt die ganze Halle. Henning Jessen, Geschäftsführer des Kreislandvolkverbands Lüneburger Heide, passt die Lautstärke seiner Begrüßung den veränderten Bedingungen an.

Es geht in der kleinen Runde um das Image der Landwirtschaft und die Chance, sich im Internet und eben auch hier auf der Grünen Woche positiv und modern zu präsentieren. Mit Andre Brunemund ist in Berlin ein Experte auf diesem Gebiet mit am Start. Als Geschäftsführer des Vereins „Eure Landwirte – Echt grün“ trägt er Verantwortung dafür, wie sich das niedersächsische Landvolk in den sozialen Medien und auf Veranstaltungen präsentiert. Die Vereinsarbeit wird durch Mitgliedsbeiträge aus den Landvolk-Kassen finanziert. Sein Verein verstehe sich als „Brückenbauer zwischen Landwirten und Verbrauchern“, sagt Brunemund. Mit einer Roadshow tourt der Verein durch Niedersachsen und versucht, das Thema Landwirtschaft auf spaßig-interaktive Weise zu vermitteln. Die elektronische Quiz-Wand, die dabei zum Einsatz kommt, steht jetzt am IGW-Stand des Vereins.

„Niedersachen – Das schmeckt uns"

Der gemütliche Teil wird eingeleitet, indem zum Schnuckenbräu Eierlikör gereicht wird. Natürlich alles im Heidekreis produziert. Das Hallenmotto „Niedersachsen – Das schmeckt uns“ ist durchaus wörtlich zu verstehen. Auch Gerhard Schwetje, Präsident der niedersächsischen Landwirtschaftskammer, schaut kurz ins Bürgermeisterzimmer rein und kostet die alkoholische Spezialität aus dem Aller-Leine-Tal, die es übrigens in zwei Farben gibt. Der rote schmeckt nach Erdbeere. Überhaupt findet man auf dem weitläufigen Messegelände viele überraschende Alkoholvarianten. Das Angebot reicht von Spargellikör über Birkensaft-Sekt bis zum Granatapfelwein. Nicht auf der Messe zu finden sei dagegen der Bauernprotest, sagt Henrik Rump, der neue Vorsitzende des Landvolkreisverbands Lüneburger Heide. Hat er recht?

Ein schneller Rundgang ohne Anspruch auf Vollständigkeit bestätigt die These. Das beherrschende tagespolitische Thema der Agrarpolitik scheint auf der Grünen Woche tatsächlich überhaupt keine Rolle zu spielen. Nicht einmal an den Ständen des Bundestages und der EU-Kommission. Ohne Plan führt der intuitive Rundgang nach einer Weile an den Stand der Mongolei, wo Socken aus Yakwolle zum Kauf angeboten werden. Sich thematisch und geografisch noch weiter vom Thema Agrardieselsubvention zu entfernen, ist kaum möglich. Der Rundgang ist beendet.

LandwirtschaftAndre Ricci