Viel Bewegung in Sachen Dethlinger Teich

Ein Mitarbeiter des Landkreises (links) erklärt dem Landtagsabgeordneten Lutz Winkelmann am Dethlinger Teich das Messverfahren.

Plötzlich wird Lutz Winkelmann ganz ruhig. In Gedanken ist der CDU-Landtagsabgeordnete wieder in den Munsteraner Ratssitzungen von früher. „Diese Ohnmacht“, sagt Winkelmann, und legt seine Gabel neben den Teller. „Die war wirklich schlimm.“ Ohnmacht gegenüber lethargischen Behörden, Ohnmacht gegenüber unverständlichen chemischen Analysen, Ohnmacht gegenüber der Vergangenheit, die Munster vor Augen hält, dass „das Gift schon seit Jahrzehnten in euren Böden ist – und da wird es auch noch Jahrzehnte bleiben“.

Doch Winkelmann fühlt sich herausgefordert. Als Waldbesitzer, als Politiker, als Sohn eines früheren Munsteraner Bügermeisters, als Rechtsanwalt und – nicht zuletzt – als Mensch. Zielgerichtet nimmt der Hobbymusiker die Gabel wieder auf und dirigiert seine Solo-Sinfonie vom forte zum fortissimo: „Seit Jahren spielen wir dasselbe Spiel: Jede der beteiligten Behörden erklärt sich für nicht zuständig. Das ist nicht akzeptabel.“ An den umliegenden Tischen im Restaurant Steinhof wird es ruhig. Die Gäste hören interessiert zu.

Bürgermeisterin Christina Fleckenstein (SPD) war Anfang des Jahres alles andere als begeistert von der BZ-Recherche und deren Folgen. Verständlich: Es gibt schönere Willkommensgeschenke zum Amtsantritt als Arsen und Giftgas. Doch Fleckenstein hat sich eingearbeitet. Hat Unterlagen gewälzt, Kollegen befragt und den Kontakt zu Verantwortlichen auf Bundesund Kreisebene gesucht.

Denn schon vergangenes Jahr hatte die Bürgermeisterin eingeräumt: Die Stadtverwaltung war nicht engagiert genug. Sicher wäre es ein feiner Zug gewesen, wenn der Heidekreis Munster informiert hätte, dass er den Dethlinger Teich nicht mehr überwacht. Die Stadt hat allerdings auch nicht nachgefragt. Das soll nicht nochmal passieren, hat sich Fleckenstein vorgenommen.

Im sanierten Bürgermeisterbüro – helle Farben, harmonische Wandbilder – sitzen Fleckenstein und ihr Erster Stadtrat Rudolf Horst angespannt, aber freundlich in ihren Stühlen. Beziehungsstatus zur Presse: Es ist kompliziert. Denn es schlagen zwei Herzen in der Brust der Bürgermeisterin. Selbstverständlich wolle auch sie, dass der gefährliche Müll der Vergangenheit die Gegenwart ihrer Bürger nicht bedroht.

Gleichzeitig habe sie weder das Geld, noch das Personal, das Problem allein zu lösen. Und in Sachen Tourismus, Steuereinnahmen und Stadtentwicklung wäre es auch ganz nett, wenn Munster nicht allzu prominent wird mit seinem unrühmlichen Titel „C-Waffen-Hauptstadt Deutschlands“.

Doch die Anspannung lässt schnell nach. Beflügelt von ungesüßtem Brennesseltee – zwei Liter trinkt sie davon an guten Tagen – macht die Bürgermeisterin ihrem Unmut Luft: „Wir, die Bürger von Munster, sind diejenigen, die direkt von den Auswirkungen der Altlasten betroffen sind. Und wir haben am wenigsten zu sagen.“ Um das zu ändern, gebe es nun einen runden Tisch, an dem außer Stadt, Landkreis, Stadtwerken und Wehrwissenschaftlichem Institut auch Vertreter des BundeswehrDienstleistungszentrums, des staatlichen Baumanagements, der Gesellschaft zur Entsorgung chemischer Kampfstoffe und Rüstungsaltlasten (Geka) und der Oberfinanzdirektion des Landes sitzen.

Zweimal habe man sich getroffen, im Frühjahr soll es die nächste Sitzung geben. Damit erfüllt Fleckenstein unter anderem die Forderungen des Stadtrats, der im März eine Resolution beschlossen hat. Darin fordert er mehr Austausch zwischen den Behörden und kontinuierliche Bürgerinformation.

„Der öffentliche Druck hat die Beteiligten sensibilisiert“, sagt Fleckenstein. „Wir sitzen jetzt alle wieder an einem Tisch und reden strukturierter miteinander.“ Auch darüber, welche Auswirkungen das verseuchte Grundwasser in Munster-Nord auf das städtische Trinkwasser hat.

Im April wurden in einer Messstelle nahe der Grundwassersanierungsanlage erhöhte Schadstoffwerte gefunden. Die Stadt hat daraufhin fünf neue Messstellen und drei neue Förderbrunnen gebohrt. „Das müssen wir im Auge behalten“, sagt die Bürgermeisterin.

Unverzichtbar für die Sanierung des riesigen Areals auf dem Truppenübungsplatz ist die Geka, in deren Anlagen kontaminierte Erde im Schichtbetrieb rund um die Uhr gewaschen wird. Geschäftsführer Frank Lorkowski koordiniert die Arbeiten dort seit Frühjahr. Der Regierungsdirektor, exzellent sitzender Anzug, hochwertige Schuhe, gekonnt gebundene Krawatte, sagt bescheiden: „Ich bin in diesem Spiel der Müllmann.“

Erfolgreiches Verfahren

Was die Räumexperten ihm auf den Hof stellten, das recycele er. Lorkowski lächelt selten, aber berührend. Er ist Verwalter, kein Initiator. Ob er mit Vorschlägen zur Beschleunigung der Sanierung beitragen kann? „Das ist nicht meine Aufgabe“, sagt er. Den Sanierungsplan erstellt das Staatliche Baumanagement, eine Landesbehörde. „Die Erfahrung zeigt: Dieses Verfahren läuft erfolgreich“, sagt der Geka-Chef. „Wir sind ein Betrieb, der kontinuierlich seinen Auftrag erfüllt. Und wir unterstützen mit fachlichem Rat – wenn wir gefragt werden.“

Der Leiter des Staatlichen Baumanagements Lüneburger Heide in Munster, Wilhelm Wickbold, steht vor einem anderen Problem: Er hat nicht genügend Zeit zum Räumen. Denn seine Arbeiter können auf dem Platz nur dann nach Blindgängern oder verseuchten Stellen suchen, wenn die Bundeswehr nicht schießt – und die Vögel nicht brüten.

Von 45 Flächen, insgesamt 883 Hektar, sind bislang vier saniert (221 Hektar). Dieses Jahr sollen weitere 66 Hektar freigegeben werden, auf denen die Räumkräfte keine Verunreinigungen gefunden haben. Wie es mit den restlichen Flächen weitergehen soll, erarbeiten die Planer im Baumanagement gerade. Geld hat Wickbold noch: Aus einem Sieben-MillionenEuro-Topf sind noch etwa zwei bis drei Millionen übrig, berichtet er. Ob Wickbold allerdings weitere zivile Räumdienste beauftragen kann, muss er mit der Bundeswehr verhandeln.

Das Thema ist auf jeden Fall im Verteidigungsministerium angekommen, wie ein Schreiben von Ministerin Ursula von der Leyen, das dieser Zeitung vorliegt, belegt. Doch bislang sieht es schlecht aus: „Eine Erweiterung der schießfreien Zeit ist nicht geplant, da sonst der Ausbildungsbedarf der Streitkräfte nicht mehr in ausreichendem Maß gedeckt werden kann“, teilt ein BundeswehrSprecher auf Anfrage mit.

Klar ist: Die Sanierungsarbeiten in Munster-Nord werden noch weit bis nach 2017, wenn der Flächensanierungsplan ausläuft, dauern. Der Kommandeur des Truppenübungsplatzes, Oberst Jörg Wiederhold, rechnet mit mindestens 20 Jahren – eine Einschätzung, die Wickbold teilt.

Bomben rosten bis heute vor sich hin

Seit Jahrzehnten versuchen Verantwortliche aus Stadt, Kreis, Land, Bund und vielen Unterbehörden, in Munster die Reste jahrelanger C-Waffen-Produktion in den Weltkriegen und stümperhafter Entsorgung danach zu sanieren. Dabei gibt es zwei Schwerpunkte: Zum einen Teile des Truppenübungsplatzes MunsterNord, wo jahrelang Giftgas versprüht wurde, um es zu testen. Zudem schleuderte eine verheerende Explosion 1919 tausende Granaten kilometerweit über den Platz.

Den Rest gaben dem verseuchten Gebiet nach dem Krieg alliierte und schließlich niedersächsische Räumkommandos, die Waffenbestände verbrannten, sprengten oder vergruben. Auch im sogenannten Dethlinger Teich, einem alten Tagebauloch, dem zweiten Altlastenschwerpunkt der Region. Dort liegen die Granaten, Bomben und Zünder bis heute, rosten vor sich hin, setzen ihr Gift frei und bedrohen das Grundwasser.

Eine dicke Schlammschicht auf dem Grund des Teichs verhindert bislang, dass das Arsen sowie Schwefelverbindungen aus den Kampfstoffen massiv ins Grundwasser laufen. Doch wie lange diese Schicht noch dichthält, ist unklar. Zudem spült das Grundwasser auch von oben durch diesen Topf voll giftiger Suppe und läuft an dessen Rückseite schadstoffbelastet hinaus. Eine im Januar erschienene BZ-Recherche zeigte, dass der Landkreis das belastete Wasser seit Jahren nicht mehr untersucht und darüber die Stadtverwaltung nicht informierte hatte.

Auf dem Truppenübungsplatz filtert eine Sanierungsanlage seit Jahren rund 500 Kilogramm Arsen aus dem Grundwasser, zudem hunderte Kilo weiterer schädlicher Stoffe. Die Räumund Sanierungsarbeiten auf dem Areal laufen schleppend.

Böhme-Zeitung