Landratskandidat macht bei Behördenskandal nicht die beste Figur

Herausforderer: Jens Grote will der nächste Landrat des Heidekreises werden.

Herausforderer: Jens Grote will der nächste Landrat des Heidekreises werden.

Der hundertfache Sozialbetrug von Migranten vornehmlich aus dem Sudan mit Mehrfachidentitäten 2015/2016 an der Landesaufnahmebehörde (LAB) Braunschweig war ein Behördenskandal, der bundesweit durch die Medien ging, bis heute noch nicht ganz aufgearbeitet ist und in dem auch der Bewerber um das Landratsamt, Jens Grote (52), als oberster Behördenleiter am Rande eine Rolle gespielt hat. Auch im Heidekreis wurde gegen 42 Sudanesen ermittelt (BZ vom 23. Februar 2017). Dass dies bei der offiziellen Vorstellung Grotes als Wunschkandidat eines Parteienbündnisses aus SPD, CDU und Bündnis90/Grüne mit keinem Wort zur Sprache gekommen ist, ist ein Säumnis. Allein die AfD-Fraktion sprach aus, dass sie damit ein Problem hat.

Behördenleiter versuchen zu vertuschen

Die BZ hat die Ereignisse noch einmal neu recherchiert: 2015 nutzten wohl hunderte Migranten, vornehmlich Sudanesen, die chaotischen Verhältnisse in den Erstaufnahmezentren und zogen mit mehreren Identitäten durch das Land, um sich an mehreren Sozialleistungen auszahlen zu lassen. Im Schnitt hatte jeder Täter drei bis vier Identitäten. Eine lukrative Einnahmequelle für die Betrüger, die inzwischen allerdings durch neue Absicherungsmechanismen zum Erliegen gekommen ist.

Der systematische Betrug fiel Nadia N., einer Mitarbeiterin der LAB Braunschweig auf. Sie meldete im 2015 insgesamt mehr als 500 Fälle. Der Leiter der LAB, inzwischen nicht mehr im Dienst, und seine Stellvertreterin, wollten offensichtlich verhindern, dass die Vorfälle der Polizei zur Anzeige gebracht werden und wiesen die Mitarbeiterin an, die gesammelten Akten ins Archiv zu bringen. Nadia N. dagegen meldet – nach einer schlaflosen Nacht, wie sie dem Norddeutschen Rundfunk später erzählt – die Vorfälle dann doch der Polizei. Die Staatsanwaltschaft nimmt 2016 die Ermittlungen auf – und Nadia N., die für ihr konsequentes Handeln von den Lesern der Braunschweiger Zeitung als „Braunschweigerin des Jahres“ geehrt worden ist, wird von der Behörde entlassen.

Als die versuchte Vertuschungsaktion Anfang 2017 öffentlich bekannt wird und über mehrere Monate ein bundesweites Medienecho erzeugt, ist Jens Grote – der für diese Vorfälle selbst keine Verantwortung trägt – inzwischen Präsident des LAB Niedersachsen und damit Chef des Braunschweiger Behördenleiters und dessen Stellvertreterin. Noch im Januar 2017 muss Grote das politische und mediale Desaster managen. Zu diesem Zeitpunkt verfolgte eine eigens eingesetzte Sonderkommission „Soko Zerm“ 300 Verdachtsfälle mit einer geschätzten Schadenshöhe von 3 bis 5 Millionen Euro. Einige der Betrugsfälle wurden mit Freiheitsstrafen zur Bewährung und Geldstrafen zügig zur Verurteilung gebracht, in anderen Fällen dauert es länger.

Jens Grote muss das politische Desaster managen

Zum eigentlichen Problem für Grote wird Anfang 2017 allerdings das Verhalten des Braunschweiger Untergebenen und seiner Stellvertreterin. Vor dem LAB Braunschweig bauen sich in dieser Phase die Fernsehkameras zu einem medialen Gewitter auf, die Presse versucht jede Information zu erlangen, die es rund um die Vorfälle gibt. Das Vertrauen in die Amtsführung der Behörde und das Ansehen der Landesregierung stehen auf dem Spiel. Der Shitstorm im Internet gegen die Verwaltung wird zur zusätzlichen, kaum kontrollierbaren Herausforderung.

Am Rande einer Landtagssitzung berichtet LAB-Präsident Grote noch Anfang 2017 über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Braunschweiger Behördenleiter, das aber aufgrund der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ruhe. Auf die Frage, weshalb der Behördenleiter nicht zumindest vom Dienst suspendiert worden sei, antwortete Grote wörtlich: „Dafür sehe ich überhaupt keinen Anlass.“ Grote hatte im Innenausschuss des Niedersächsischen Landtags seinen Behördenleiter zusätzlich in Schutz genommen, von Überlastung der Behörde gesprochen. Der Braunschweiger Behördenleiter habe aus Angst vor Rassismusvorwürfen nicht gegen die Sudanesen vorgehen wollen.

Vertrauen in Behörde gerät ins Wanken

Solche Aussagen sind eine Steilvorlage für die Opposition im Parlament. „Recht und Gesetz werden untergepflügt“, wettert etwa der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stefan Birkner. Und mit Blick auf die entlassene LAB-Mitarbeiterin Nadia N. kritisiert CDU- Fraktionsvize Editha Lohberg, scharf: „So geht man mit Menschen nicht um.“

Neben der politischen Arena im Rampenlicht der Medien verfolgt im Hintergrund die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gegen Grotes Mitarbeiter konsequent, wenn auch der Einfachheit halber nur wegen der versuchten Vertuschung von neun Betrugsfällen mit einem Betrugsschaden in Höhe von rund 108000 Euro. Sie beantragt Strafbefehle über 10800 Euro gegen den Behördenleiter und 9000 Euro gegen seine Stellvertreterin wegen der versuchten Vertuschung des Sozialleistungsbetrugs. Das Amtsgericht Braunschweig sieht in dem Verhalten der Behördenleiter jedoch keine Straftaten, lehnt die Strafbefehle im November 2020 ab. Das Landgericht Braunschweig stimmt in der nächsten Instanz der Staatsanwaltschaft indessen zu und hat gerade erst, am 28. Januar 2021, das Verfahren an das Amtsgericht zurückverwiesen. Das Gericht soll nun neu entscheiden. Das Landgericht sehe deutliche Hinweise auf den hinreichenden Tatverdacht gegen die beiden Behördenleiter, wie ein Sprecher des Gerichts gegenüber der Böhme-Zeitung mitteilt.

Heute ist der Braunschweiger Behördenleiter nicht mehr im Amt. Wann genau er gegangen ist oder gehen musste, konnte die BZ bis Redaktionsschluss nicht ermitteln. Eine Anfrage an Jens Grote, auch dazu, wie er heute zu der Entscheidung steht, den Behördenleiter nicht suspendiert zu haben, beantwortet dieser in seiner Funktion als Behördenleiter mit der lapidaren Feststellung, dass es sich um ein laufendes Verfahren handele. Als Landratskandidat beziehe er dazu keine Stellung.

LandratBernhard Knapstein