Dokumente aus einer alten Epoche

Landwirt Lorenz Pralle aus Leverdingen ist  Eigentümer einer geschichtsträchigen, über 100 Jahre alten Hundehütte in Mittelstendorf. Foto: vo

Landwirt Lorenz Pralle aus Leverdingen ist Eigentümer einer geschichtsträchigen, über 100 Jahre alten Hundehütte in Mittelstendorf. Foto: vo

Die markante Hundehütte mitten auf dem Hof in der Soltauer Ortschaft Mittelstendorf und einen ihrer Bewohner hat Lorenz Pralle noch von den Besuchen bei seiner Tante Gertrud Fedeler in Erinnerung, den Schäferhund, der bei jedem Fremden schnell und aggressiv anschlug. Das war schließlich sein Auftrag. Jahrzehnte später wurde Pralle selbst Eigentümer der wetterfesten, aus Backstein gemauerten Hütte. Er hat die Hofstelle an der Landesstraße 163 mit den dazugehörigen Flächen von seiner Tante Gertrud Fedeler erworben, die jetzt im emsländischen Papenburg lebt. Die Ländereien beackert der Landwirt von seinem Betrieb in der Neuenkirchener Ortschaft Leverdingen aus selbst, die Wohnungen auf der Hofstelle hat er vermietet. Dafür waren umfangreiche Aufräum- und Umbauarbeiten erforderlich, in deren Zuge Pralle einiges über das Anwesen, seine früheren Bewohner und auch über die Hundehütte und ihre Geschichte erfuhr.

Beim Ausräumen des Bauernhauses brachten einige überraschende Entdeckungen, zum Beispiel einen Tresor und den dazu passenden Schlüssel, was natürlich Neugierde und wohl auch Erwartungen weckte. Doch statt Schmuck oder andere Pretiosen fand er im Safe nur Hinterlassenschaften der Vorbesitzer, unter anderem eine Kladde mit persönlichen Aufzeichnungen von Fedelers Großvater Wilhelm Elling. Dieser hatte Tagebuch geführt, über Jahre seine Erinnerungen und Gedanken akribisch niedergeschrieben – in der in der Anfang des 19. Jahrhunderts gebräuchlichen geschwungenen Schreibschrift, die zu entziffern heutzutage kaum noch jemand in der Lage ist. Glücklicherweise war Pralles im April dieses Jahres verstorbener Vater der altdeutschen Schreibweise mächtig. Richard Pralle arbeitete den schriftlichen Nachlass des Altvorderen in mühevoller Kleinarbeit auf und fertigte mit der Schreibmaschine eine Übersetzung lateinischer Schrift an und förderte so ein persönlich gefärbtes Protokoll ans Tageslicht, das zugleich ein Stück Zeitgeschichte widerspiegelt.

Im Ersten Weltkrieg vier Jahre an der Front

Demnach war Elling im Ersten Weltkrieg als Soldat vier Jahre im Fronteinsatz und zum Ende des vierjährigen Gemetzels vor seiner Rückkehr in die Lüneburger Heide bei einer Einheit im Harz stationiert. Aus seiner Verachtung über diejenigen, die sich nach seiner Überzeugung in der Etappe weggeduckt hatten, machte er keinen Hehl: „Schreibstubenfritzen, Feldwebelputzer, Burschen, Ausbildungspersonal und sonstige Drückeberger, die es verstanden, durch Schmieren u.s.w. in Goslar den Krieg zu verleben.“ Immerhin: „Von Goslar wurde ich viel beurlaubt. Denn zu Hause war ja nur ein alter Knecht und 2 Kriegsgefangene, 1 Russe und 1 Franzose namens Achilles-Gerdes. Letzterer war Maurer von Beruf. Ein Andenken an ihn ist die jetzt noch noch stehende Hundehütte.“

Ein folgender Eintrag befasst sich mit den politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen während des Übergangs vom Kaiserreich zur ersten deutschen Demokratie, geschrieben in einem sarkastisch-ironischen Ton, der vermuten lässt, dass Wilhelm Elling kein Freund dieser neuen Staatsform war – eine zu jener Zeit weitverbreitete Haltung, die ein Grund für das Scheitern der Weimarer Republik und das Entstehen der Nazi-Diktatur war: „Im November brach dann die glorreiche Revolution aus. Obwohl Deutschland mit Waffen nicht unter zu kriegen war, mußte doch der Schandfriede von Versailles unterzeichnet werden.“ Und später: „Die Folgen der Revolution und des verlorenen Krieges machten sich als dann bemerkbar. Die Inflation begann, die Mark entwertete sich von Tag zu Tag, erst ganz allmählich. Hernach ging es mit Riesenschritten bis November 1923, wo die Friedensmark 1 Billion Papiermark wert war. Der Geldwert richtet sich von jetzt ab alles nach dem Dollarstand.“ Mit einer ebenfalls erhalten gebliebenen Sammlung von Geldnoten dokumentiert Elling den rasanten Verfall der Währung.

Das war alles einmal. Die Weimarer Republik und das darauf folgende Dritte Reich sind längst Geschichte. Die in jener Zeit entstandene Hundehütte gibt es dagegen immer noch, zwar von Moos überwuchert, angesichts ihres Alters von über 100 Jahren in einem passablen Zustand – im Gegensatz zu etlichen erst viel später entstandenen Bauten.