Corona: Lässt der Bund seine Soldaten im Stich?

Im Feldlager im malischen Koulikoro brach Corona aus, die beengte Situation der Soldaten aus verschiedenen Nationen macht Abstandhalten schwierig.

Im Feldlager im malischen Koulikoro brach Corona aus, die beengte Situation der Soldaten aus verschiedenen Nationen macht Abstandhalten schwierig.

Der Auslandseinsatz des Oberstleutnants der Reserve in Mali verlief anders als geplant. Nach nur vier Wochen musste der Mann aus dem Heidekreis wegen einer Corona-Infektion im Patiententransport-Airbus der Bundeswehr die Heimreise antreten. Es folgten fünf Tage im Krankenhaus und 13 Tage Hotel-Quarantäne. Am 15. Oktober ging es für ihn zurück ins Einsatzgebiet.

Für die Auslandseinsätze der Bundeswehr stellt die Pandemie eine zusätzliche Herausforderung dar. Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums bestätigt gegenüber der Böhme-Zeitung 261 im Auslandseinsatz infizierte Soldatinnen und Soldaten, davon mehr als die Hälfte (157) im Einsatzgebiet Westafrika. „Das Wohl aller Angehörigen der Bundeswehr hat für uns höchste Priorität, auch und insbesondere in der aktuellen Corona-Pandemie“, so die Sprecherin. Doch daran gibt es Zweifel. „Die Bundeswehr leidet in vielen Bereichen unter der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit“, klagt der Bundeswehrangehörige aus dem Heidekreis.

Antrag auf Anerkennung eines Einsatzunfalls abgelehnt

Denn im auffallenden Kontrast zur kostenintensiven Rückführung positiv getesteter Soldaten nach Deutschland zögert die Bundeswehr bei der Anerkennung von Corona-Infektionen als Einsatzunfälle. Den entsprechenden Antrag des Reserveleutnants hat das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr abgelehnt. Begründung: Es ließe sich nicht genau feststellen, in welcher Situation es zur Ansteckung kam. Dabei ist eigentlich klar, dass sie sich im Camp ereignet haben muss: Vor einem Auslandseinsatz durchlaufen Soldaten in Deutschland eine Quarantäne, ohne negativen Coronatest tritt keiner seine Reise an.

Das Verfahren ist nicht abgeschlossen, der 42-jährige Reservist hat Widerspruch eingelegt. Aufgrund des milden Verlaufs seiner Infektion hätte eine endgültige Ablehnung wohl keine negativen Auswirkungen für ihn, es sei denn, es treten Spätfolgen der Erkrankung auf. Aber es gibt schon heute Soldaten, für die es um sehr viel geht.

Zwei Soldaten pro Wohncontainer

Im Feldlager in Koulikoro ist es eng. Im Regelfall teilen sich zwei Soldaten einen Wohncontainer. Unter den Bedingungen der Corona-Pandemie ein Risiko. Und tatsächlich brach im Camp Corona aus. Der Oberstleutnant der Reserve aus dem Bundeswehr-Dienstleistungszentrum Munster wurde nach seiner Infektion ausgeflogen. Kein Einzelfall. Positiv auf das Coronavirus getestete Soldaten würden „aus den Einsatzgebieten in die Heimat zurückgeführt, unabhängig davon, ob sie symptomatisch sind“, erklärt eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums.

Solche Abgänge erschweren die Aufrechterhaltung des Feldlagers. Die Bundeswehr braucht Nachschub. Leute wie Volker Koberstein. Der Oberfeldwebel der Reserve aus dem Fränkischen trat seinen Flug ins ferne Einsatzgebiet am 24. September an und fand ein vom Virus gezeichnetes Lager vor. Etliche Bundeswehrangehörige befanden sich in Isolation. „Ohne Übergabe konnte keiner von uns etwas tun“, berichtet er von erzwungener Untätigkeit. Der 52-Jährige bezog einen Wohncontainer, in dem bereits ein weiterer Soldat wohnte. Dieser sei infiziert gewesen, ohne es zu wissen, so Koberstein. Er selbst habe sein positives Testergebnis zusammen mit dem Stubenkameraden, der zu diesem Zeitpunkt schon seit rund zwei Monaten im Camp stationiert gewesen sei, am 4. Oktober mitgeteilt bekommen. Was folgte, war ein Albtraum.

Wahnsinnige Schmerzen in der Lunge

Koberstein, beim Dienstantritt in Koulikoro nach eignen Angaben „topfit“, durchlitt einen schweren Krankheitsverlauf. „Ich hatte wahnsinnige Schmerzen in der Lunge“, berichtet er. Im Koblenzer Zentralkrankenhaus der Bundeswehr kam er an die Sauerstoffmaschine. Inzwischen ist er wieder zu Hause, aber nicht gesund. „Meine kognitiven Fähigkeiten lassen zu wünschen übrig, meine rechte Körperhälfte ist angeschlagen, die Gesichtshälfte taub.“ Seine Lunge erfülle nur noch 40 Prozent ihrer ursprünglichen Funktion. Sein Wehrdienstverhältnis ist aufgelöst, ein im November gestellter Antrag auf Anerkennung eines Einsatzunfalls nicht beschieden. Das könnte bedeuten, dass er als Zivilist Erwerbsminderungsrente beantragen muss. Er würde zum Sozialfall. „Ich glaube aber schon, dass die Bundeswehr meinen Fall anerkennen wird“, sagt er. In diese Richtung ließe sich auch die Sprecherin des Verteidigungsministeriums interpretieren, die versichert: Betroffenen werde geholfen und bestehenden Versorgungsansprüchen „Geltung verschafft“. Falsche Bewertungen werde man „schnellstmöglich korrigieren“, deutet sie Neubewertungen an.

„Bundeswehr agiert wie ein Versicherungskonzern"

Koberstein fragt sich, warum er zusammen mit einem offenbar ungetesteten Soldaten in eine Stube gelegt wurde. Für ihn sei das fahrlässige Körperverletzung. Bereits in Mali habe er Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Vom Arbeitgeber Bundeswehr ist er bitter enttäuscht. Sein glimpflicher davongekommener Kamerad aus dem Heidekreis bringt es so auf den Punkt: „In den Broschüren der Bundeswehr wird die Fürsorge in jedem zweiten Satz hervorgehoben. Wenn man sie dann wirklich mal benötigt, agiert die Bundeswehr nicht anders als ein Versicherungskonzern.“