Ende der Impf-Priorisierung bringt weitere Probleme

Apothekerin Tanja Inselmann ist verärgert über Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Die Chefin der Löwen-Apotheke in Soltau kann nicht verstehen, warum jetzt die Impfpriorisierung aufgehoben wurde, obwohl nicht genug Impfstoff zur Verfügung steht. Foto: at

Apothekerin Tanja Inselmann ist verärgert über Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Die Chefin der Löwen-Apotheke in Soltau kann nicht verstehen, warum jetzt die Impfpriorisierung aufgehoben wurde, obwohl nicht genug Impfstoff zur Verfügung steht. Foto: at

Auf völliges Unverständnis trifft im Heidekreis das Ende der Impfpriorisierung. Seit Montag soll sich jeder ab zwölf Jahren impfen lassen können. „Das ist eine Verdummung der Bevölkerung, die Aufhebung ist Blödsinn“, sagt Allgemeinmediziner Peter Rebhan.

Der Soltauer Arzt hat in seiner Praxis noch nicht einmal die bisherigen Impflisten abgearbeitet, es fehle an Impfstoff. Manchmal habe die Doppelpraxis 100 Dosen in der Woche zur Verfügung, manchmal nur zehn: „Und jetzt sitzen uns die Patienten im Nacken und denken, sie können sich Impfstoff und Termin aussuchen. Sie fühlen sich noch mehr im Recht.“

Erbost ist auch Apothekerin Tanja Inselmann. Die Chefin der Löwen-Apotheke bestellt den Impfstoff für vier Arztpraxen in Soltau. Woche für Woche erfährt sie somit hautnah die Diskrepanz zwischen Ankündigung und Auslieferung. Vor drei Wochen sollte der Impfstoff von Johnson und Johnson unbegrenzt bestellt werden können, jetzt gebe es nur die Hälfte vom ursprünglichen Ansatz. In der vergangenen Woche sei die Astra-Zeneca-Lieferung erheblich verspätet gekommen, diese Woche gebe es für die Erstimpfungen gar keine Dosen.

Jens Spahn in der Kritik

Für Inselmann ist die Aufhebung der Priorisierung einzig politisch gewollt. „Die Freigabe wird auf dem Rücken der Arztpraxen ausgetragen.“ Da verhalte sich Gesundheitsminister Jens Spahn einfach unfair, weil Wahlkampf sei. Dabei müsste die Politik bei der Wahrheit bleiben und Verantwortung übernehmen: „Das kreide ich ihm an.“ Persönlich koste sie die Situation viel Kraft. „Das kann ich nicht abschütteln, das tut mir so leid für die Arztpraxen.“

An sich als sinnvoll schätzt die Kassenärztliche Vereinigung (KVN) die Aufhebung der Impfpriorisierung ein. Aber auch der Verband weiß, dass es an Impfstoff fehlt, um den Bedarf an Impfterminen in den Praxen zu decken – was sich nun noch verschärfen könnte. Die KVN appelliert daher an Impfwillige, nicht alle auf einmal in den nächsten Tagen in den Praxen anzurufen.

„Wir müssen erst noch die Kranken impfen“, sagt auch Mediziner Rebhan, der im Altkreis Soltau auch Vorsitzender des Ärztevereins ist. Es gebe viele auch unter 70 Jahren, die nicht gesund seien. Auf seinen Listen stünden zudem noch Menschen, die in Altenheimen, Schulen, in der Pflege oder in Arztpraxen arbeiteten. „Am besten kann der Arzt über die Priorisierung entscheiden“, sagt Rebhan.

In seiner Praxis sei eine Vollzeitkraft täglich der Impf-Koordination beschäftigt. Vor allem auch, weil ein Viertel der Patienten unverschämt reagiere und „uns belagert“. Im Moment werde täglich zwischen 11.30 und 13 Uhr geimpft, jüngere Patienten würden zunächst bis Ende Juni vertröstet.

KVN empfiehlt Impfung erst ab 16 Jahren

Ab 12 Jahren kann man sich seit Montag um einen Corona-Impftermin bemühen. Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) spricht allerdings von Impfwilligen erst ab 16 Jahren. Impfungen für Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren sollten mit dem Kinder- oder Hausarzt vorab besprochen werden.

Im Gebiet der KVN-Bezirksstelle Verden mit den Landkreisen Diepholz, Heidekreis, Nienburg, Rotenburg und Verden impfen rund 200 Ärztinnen und Ärzte. Das sind hauptsächlich Hausärzte, aber auch einige Fachärzte. Über den Einsatz von Betriebsärzten hat die KVN noch keine Erkenntnisse.