Soltauer Druckkammer lässt Long-Covid-Patienten hoffen

Im Druckkammerzentrum Niedersachsen in Soltau behandelt Dr. Claus Müller-Kortkamp seit einigen Monaten auch Patienten, die unter den Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung leiden. Foto: at

Bis zu 20 Prozent der Patienten klagen nach einer überstandenen Covid-19-Infektion über lang anhaltende Symptome. Die Muskeln versagen den Dienst, die Erschöpfung ist groß, Patienten berichten von einem Nebel im Kopf, von Konzentrationsstörungen. Sie können nicht richtig sehen, nicht lesen, sich nichts merken. Viele haben auch ein Mix aus verschiedenen Einschränkungen.

Gute Erfahrungen mit einer Behandlung zumindest zum kognitiven Bereich, der die geistige Leistungsfähigkeit hat Dr. Claus Müller-Kortkamp gesammelt. Patienten im niedrigen zweistelligen Bereich wurden mit einer hyperbaren Sauerstofftherapie in der Druckkammer, die zu seiner HNO-Praxis an der Seilerstraße in Soltau gehört, behandelt. Eine Wunderheilung für Long-Covid-Patienten, so sagt er aber auch, sei nicht zu erwarten.

Doch einige Patienten hätten eine deutliche Symptomverbesserung nach der Sauerstoffüberdrucktherapie gezeigt. Das erzählt auch Sina Mahlstedt aus Delmenhorst der Böhme-Zeitung. Zu Beginn habe sie kaum zwei Seiten in ihrem Buch geschafft, am Ende dann die 90 Minuten der Therapiezeit lesen können. Nach den insgesamt zehn Fahrten sei es ihr deutlich besser gegangen. Allerdings: Seit dem Versuch, Ende 2021 wieder in den Beruf zu starten, sei die Erschöpfung zurück. „Es geht mir nicht mehr so schlecht wie vorher, aber gut ist es noch lange nicht.“

In einem ARD-Beitrag von Dr. Eckart von Hirschhausen schilderte zudem der 43-jährige John seine Erfahrungen mit der Druckkammerbehandlung. Er war der siebente Patient deutschlandweit und der erste in Soltau, der in der Druckkammer mit Sauerstoff auf Long-Covid behandelt wurde: „Ich fühlte mich wie neu geboren.“

Müller-Kortkamp, auch Vorsitzender des Verbands deutscher Druckkammerzentren, betreibt die Soltauer Anlage seit vielen Jahren auch aus Überzeugung. 17 Zentren gibt es in Deutschland, eine, die Soltauer, in Niedersachsen.

Sie wird eingesetzt zur Behandlung von Wundheilungsstörungen, bei Knochenerkrankungen, bei Bestrahlungsspätfolgen nach einer Krebserkrankung, Tinnitus, aber auch bei postviralen Syndromen wie dem Epstein-Barr-Virus oder dem Dengue-Fieber und eben einer Covid-19-Infektion. Es geht darum, die Zellen besser mit Sauerstoff zu versorgen, Schäden darin zu reparieren, im Gehirn dazu beitragen, dass sich Gefäße neu bilden.

Müller-Kortkamp rechnet deutschlandweit mit 250000 bis 1,5 Millionen Patienten, die von Long Covid betroffen sind. „Und das sind vorzugsweise jüngere Erwerbstätige zwischen Mitte 30 und Mitte 50.“ Unter anderem die ARD-Fernsehsendung habe ein großes Echo ausgelöst und damit eine Vielzahl an Anfragen an seine Praxis.

Nur für wenige Patienten würden die Kosten übernommen. So hat auch der Patient John seine Behandlung selbst finanziert. Eine Studie über die Wirkung bei Long Covid könnte da vielleicht ein Hebel sein, hofft der Soltauer Arzt. Doch die Fördermittel dafür fehlten, einen Investor hat er noch nicht gefunden.

Keine Wunder, aber eine Chance

Am 8. Dezember 2020 erhielt Sina Mahlstedt die Diagnose: Corona positiv. Erst hatte sie Kopfschmerzen, war müde, später bekam sie eine Woche lang Gliederschmerzen, so heftig, wie sie sie selbst bei einer schlimmsten Grippe nie erlebt hatte. Und danach – das ahnte sie damals noch nicht – sollte es für die Delmenhorsterin nie wieder so werden wie vor der Diagnose. Jedenfalls bis heute nicht.

Bei Facebook schreibt die 40-Jährige: „Was würde ich dafür geben, mein altes Leben zurückzubekommen.“ Damals, als sie erkrankte, gab es noch keinen Impfstoff, und so rät sie jetzt allen: „Nehmt Corona ernst, lasst euch impfen und boostern.“

Mit Herzbeschwerden begann ihr Post-Covid-Leidensweg. Auf dem Sofa zu liegen war kein Problem, der Gang zur Toilette schon. Dabei, so erzählt Mahlstedt es der Böhme-Zeitung, sei sie fit und sportlich gewesen, habe keine Vorerkrankung gehabt.

Große Hoffnungen hat die Mutter dreier Kinder in die Sauerstoffüberdrucktherapie gesetzt. „Es war während der Zeit super“, wurde sie auch nicht enttäuscht. Zehnmal fuhr sie in der Soltauer Druckkammer gefühlt in die Tiefe von 14 Metern. 90 Minuten atmete sie unter den veränderten Druckbedingungen reinen Sauerstoff ein. Der Sauerstoffschub bewirkte eine deutliche Verbesserung.

Mit dem Erfolg der Therapie wollte sie auch wieder ins Arbeitsleben starten. Von der Arbeit auf einer Palliativstation war sie zu einem sanften Start an einen Schreibtisch gewechselt, für nur vier Stunden täglich. Der Arbeitsversuch ein Jahr nach ihrer Covid-Erkrankung scheiterte. „Ich konnte den Alltag wieder nicht mehr bewältigen, der Mantel der Erschöpfung hatte sich wieder über mich gelegt“, erzählt sie. Sie sei schnell erschöpft, habe Taubheitsgefühle, Ganzkörperschmerzen. Inzwischen habe sie sich zwar etwas erholt, könne wieder Auto fahren, sei „alltagstauglich mit Pausen“, aber nicht arbeitsfähig.

Ihre Erfahrungen decken sich mit denen, die Dr. Claus Müller-Kortkamp gemacht hat. Mit der Therapie in seiner Druckkammer gibt es hauptsächlich zu geistigen, zu kognitiven Einschränkungen nach einer Covid-19-Infektion Erfolge. Brainfog, Gehirnnebel, so bezeichnen die Patienten das Gefühl, das viele monatelang nach der Erkrankung quält. Das Sehen ist wie in einem dichten Nebel eingeschränkt, wie auch die Konzentration, die Merkfähigkeit, das Erfassen von Texten, das Schreiben.

So schildern es auch Dr. Brigitte Standke, eine Radiologin aus Varel, und der Unternehmer Thomas Thielen aus Leverkusen in einer ZDF-Dokumentation. Beide waren selbstständig und nach einer Corona-Infektion und den Folgen nicht mehr arbeitsfähig. Nach der Sauerstoffdrucktherapie in Soltau ging es für beide wieder bergauf. J

a, viele Patienten seien nach den Medienberichten über die Erfolge der Druckkammer-Therapie fast euphorisch: „Sie empfehlen es als Wundertherapie“, sagt Müller-Kortkamp. Deutliche Symptomverbesserungen stellt auch er fest. Aber als Wunder bezeichnet er die Behandlung nicht, aber als Chance.

Die Idee für die Sauerstoffüberdruckbehandlung stammt ursprünglich aus der Rehaklinik in Heiligendamm. Laut Müller-Kortkamp versuchten sich zunächst die Druckkammer-Kollegen in Wiesbaden an der experimentellen Therapie. Mittlerweile gebe es vermehrt Erfahrungen und durch Fernsehberichte ein enormes Echo.

Auch Patientin Mahlstedt erklärt, dass sich der Nebel im Kopf zum Teil gelichtet habe. Dennoch fühle sie sich weiterhin erschöpft und kraftlos. Aktuell macht sie sich nun auf einen Diagnosemarathon, hat Termine in einer Spezialambulanz in Hannover, bei einem Neurologen, in einem MRT-Zentrum in Frankfurt. „Wir suchen nach den Ursachen.“ Und im schlimmsten Fall, so sagt sie, könnte ihre Long-Covid-Erkrankung als chronisches Fatigue-Syndrom, das Müdigkeit und Erschöpfung beschreibt, eingeordnet werden.

Bei Mahlstedt hat die Berufsgenossenschaft die Kosten der Druckkammer-Behandlung übernommen. Viele Krankenkassen lehnen dagegen die Kostenübernahme ab. Die meisten Patienten bezahlten daher selbst. Bis zu 3000 Euro kostet die Therapie.

Wie 14 Meter tief zu tauchen

HBO, die hyperbare Oxygenisierung, bedeutet Sauerstoffüberdrucktherapie. Dafür wird der Druck in der Kammer in Soltau so weit erhöht, dass er im Fall von Long-Covid-Patienten beispielsweise einer Meerestiefe von 14 Metern (2,4 bar) entspricht. Zwölf Plätze gibt es in der Druckkammer in Soltau. Die Patienten atmen dort unter dem erhöhten Druck über eine Maske reinen Sauerstoff ein. Bis zu 15 Sitzungen über 90 Minuten sind für diese Erkrankung vorgesehen. Insgesamt sei jeden Tag Betrieb, manchmal auch am Wochenende, erklärt Dr. Claus Müller-Kortkamp. Die Anlage wird zudem bei Tauchunfällen und bei Rauchgasvergiftungen eingesetzt. „Die Therapie ist seit 40 Jahren erprobt“, so der Arzt.