Die Kirche und die Frage nach dem Krieg

Die Taube als Friedensbringer ist ein wichtiges Symboltier der Bibel – so rein und unschuldig wie sie ist die Kirche nicht

Dass Bernd Rosner in seiner neuen Heimat inzwischen auch mental angekommen ist, merkt man, wenn man ihn auf den Gefechtslärm anspricht. Es donnert, auf dem nahen Truppenübungsplatz finden an diesem Vormittag mal wieder Schießübungen statt. „Ach, das ist doch noch gar nichts“, sagt Rosner mit der Souveränität eines echten Munsteraners.

Der 42-jährige Schwabe lebt seit rund vier Monaten in der Stadt, er ist jetzt Militärpfarrer der evangelisch-lutherischen Militärkirchengemeinde St. Stephanus, ein Beamter auf Zeit im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Auf sechs Jahre ist sein Dienst ausgelegt, Verlängerung nicht ausgeschlossen.

Rosner tritt sein Amt in unruhigen Zeiten an. Der Angriffskrieg auf die Ukraine hat manche Gewissheiten erschüttert, in der Politik, aber auch unter Christen. Als Rosner vor einem Jahr seine Bewerbungsunterlagen abschickte, mochten viele trotz aller Vorzeichen noch nicht daran glauben, dass es einen Krieg geben könnte mitten in Europa. Als er im März zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, lag der Einmarsch russischer Truppen ins Nachbarland zwei Wochen zurück. Rosner hatte Lust auf die neue berufliche Herausforderung, aber die neue Weltlage ließ ihn kurz zweifeln. „Ich musste noch einmal nachdenken“, sagt Rosner. „Das ist jetzt schon eine andere Kategorie.“

Mit Fragen von Krieg und Frieden haben sich Christen immer beschäftigt, aber die unzähligen Papiere zur Friedensethik der evangelischen Kirche in Deutschland waren in den vergangenen Jahrzehnten stets eher theoretischer Natur. Bewährt sich das in Friedenszeiten erarbeitete Leitbild vom „gerechten Frieden“ jetzt, im kriegerischen Ernstfall? Auf der 13. EKD-Synode vergangenen Monat in Magdeburg äußerten Gläubige offen Zweifel daran. Uneinigkeit herrschte in der Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine und der Bewertung pazifistischer Positionen. Im Rahmen einer Friedenswerkstatt will die Evangelische Kirche jetzt ihre Friedensethik überarbeiten und weiterentwickeln. In einer ersten Stufe sollen dazu rund 30 Expertinnen und Experten angehört werden.

Rosner sieht die Verteidigung der Ukraine als gerechten Krieg, hat in seiner kurzen Zeit als Militärpfarrer aber bereits am eigenen Leib erfahren müssen, wie angeheizt der innerchristliche Diskurs ist. Beim Lily-Marleen-Tag im September in Munster wurde er von einem erbosten Christen verbal hart angegangen und beschimpft. Der Mann warf der Kirche vor, sich nicht entschieden genug für den Frieden zu engagieren und Waffenlieferungen zu unterstützen, die unchristlich seien.

Gerechter Frieden statt gerechter Krieg

Frieden und Kirche, das gehört zusammen. Und der Krieg? Er wird von den beiden großen Kirchen in Deutschland begrifflich inzwischen gerne umschifft. Die Lehre vom gerechten Krieg ist dem Leitmotiv des gerechten Friedens gewichen. Aber wenn es nur die Wahl gibt zwischen einem ungerechten Frieden oder einem Krieg zur Erlangung von Gerechtigkeit? Die Friedensethik entkommt dem Krieg nicht. Munster ist ein guter Ort, um über solche Fragen zu sinnieren. „Wer aber den Frieden will, der Rede vom Krieg“, steht seit 2016 in großen Lettern an der Fassade des Panzermuseums. Ein Zitat des Philosophen Walter Benjamin (1892 bis 1940), das aktueller kaum sein könnte.

Über den Krieg zu reden, gehört nun auch zu den Aufgaben von Rosner. Der evangelische Theologe hat seinen Posten als Pfarrer in der deutsch-tschechischen Grenzstadt Furth im Wald eingetauscht gegen eine Anstellung als Militärseelsorger. Er steht nun Militärangehörigen und ihren Familien zur Seite, wird die Truppe 2025 für vier Monate auf Auslandseinsatz begleiten.

Mit den spezifischen Problemen von Menschen, die ihren Dienst für den Staat verrichten und dabei Aufgaben übernehmen, die ethische Fragen aufwerfen, kennt der Geistliche sich bereits aus: Seine Arbeit in der Grenzregion brachte ihn mit Bundespolizisten in Kontakt, die unter anderem damit zu tun haben, arme Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben abzuschieben, zurück ins Elend. Was ist richtig, was falsch? Wo beginnt persönliche Verantwortung? „Solche Menschen brauchen besondere Seelsorge“, sagt Rosner.

„Da wollen wir nie wieder hin“

Dass die Militärseelsorge immer auch mit Kritik konfrontiert ist, ficht den 42-Jährigen nicht an. Es gebe ja Gründe dafür. Rosner erinnert an die Kriegsbegeisterung patriotischer Kirchenvertreter 1914, an die „Deutschen Christen“, die Hitlers Rassekrieg befürworteten. „Da wollen wir nie wieder hin“. Mit der Bundeswehr habe er indes nie grundsätzliche Probleme gehabt – als Ungedienter hatte er aber auch wenige Bezugspunkte zu ihr. „Mit 35 hätte ich Ihnen gesagt: Bundeswehr brauchen wir nicht mehr.“

Dass seine Kirche ihre friedensethischen Positionen neu überdenken will und gegebenenfalls korrigieren will, findet er richtig. Ethik und der Glauben müssten sich ständig weiterentwickeln und an neue Herausforderungen anpassen, das sei nicht zuletzt auch das Vermächtnis von Martin Luther. Eine in Dogmen erstarrte, weltferne Kirche würde zu Rosner, der sein Theologiestudium auf dem zweiten Bildungsweg absolvierte und vor seiner Erstanstellung im Pfarramt in Furth im Wald als Personaltrainer für die Edeka-Gruppe arbeitete, wohl auch nicht passen.

Er wünscht sich von seiner Kirche praktische, auf die Gegenwart bezogene Positionen. Auch in schwierigen politischen Fragen wie die nach Waffenlieferungen in die Ukraine. „Wenn wir uns da wegducken, verhalten wir uns falsch“, ist Rosner überzeugt. Mit einem Jesus-Zitat aus dem Matthäusevangelium fordert er wahrhaftige Eindeutigkeit: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein“.