„Wir brauchen eine Perspektive“

Für die Landwirte und ihre Familien geht es um mehr als Subventionen: Auch die Kinder demonstrieren in Hörpel für eine Zukunft der Landwirtschaft.

Viele Landwirte im Heidekreis sind in den vergangenen vier Wochen, einer traditionell eher ruhigen Zeit auf den Höfen, von einem Ausnahmezustand in den nächsten getreten. Darauf machte am Rande der Generalversammlung des Landvolks Heidekreis am Freitag im Bispinger Ortsteil Hützel Katja Kunick von der Landberatung aufmerksam. Als es kurz vor den Weihnachtsfeiertagen in ihrem direkten Umfeld am Serengeti-Park in Hodenhagen darum ging, Sandsäcke zu schippen und zu schleppen, habe sie viele Landwirte wiedererkannt. Sie nutzte die Gelegenheit, um ein großes Dankeschön auszusprechen. Gerade mit Blick auf die direkt zum Jahreswechsel folgenden Proteste der Bauern wurde offenbar, wie eng das Gemeinwohl mit den Protestaktionen des Berufsstands zusammenhängt.

Dass es längst nicht mehr nur um die Kürzungen der Agrardiesel-Subventionen geht, wurde bei der Versammlung deutlich. Es ist eine Restriktion der Bundesregierung, die bei den Landwirten das Fass zum Überlaufen gebracht hat, wie Christoph Hankemeyer und Holger Bockelmann in einem Rückblick auf den aktuellen Protest gegen die Bundesregierung erklärten. Immer mehr Verordnungen, die für einen überbordenden Bürokratieaufwand sorgen. Einschränkungen im Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, Kürzungen von Flächenprämien sind ein paar weitere Beispiele, warum tausende Bauern auf die Barrikaden gehen. Wobei sie ausdrücklich nicht diejenigen treffen wollen, die ihnen Rückhalt geben. Um auf sich aufmerksam zu machen, haben in der vergangenen Woche auch im Heidekreis sogenannte Entschleunigungsfahrten mit Treckern stattgefunden. „Wir treten damit Leuten ins Knie“, sagt Hankemeyer, „die wir hinter uns haben wollen.“ Um Fragen zu beantworten, wollen sie auch heute wieder ab 17 Uhr in Behringen ein Mahnfeuer anzünden.

Nicht nur Spediteure und Handwerker schließen sich den Protestfahrten an, auch kirchlichen Beistand können sie sich gewiss sein. Pastor Frank Blase stärkte den Landwirten mit viel Verständnis den Rücken. Sowohl Bürgermeister Dr. Jens Bülthuis als auch ein Vertreter des Landkreises mussten kurzfristig absagen, wie Christoph Hagen sagte. Er sprang selbst für den erkrankten Vorsitzenden Cord Rüther ein.

„Wir brauchen wieder eine Perspektive“, sagt Steffen Hartig aus Steinbeck, der zusammen mit seinem Vater Günther und Sohn Malte bei der Landvolkversammlung war. Sein Sohn sei mit seinem Mitarbeiter zusammen zu den Protesten in der Gemeinde und nach Winsen gefahren. Er habe sich mit seinem Vater zusammen um den Betrieb gekümmert. Neben der Schweinemast pflanzt er Kartoffeln an. Dadurch sei sein Betrieb besonders von den Agrardieselkosten betroffen, schildert er. Verbraucher wünschen gleichmäßige Kartoffeln. Um hochwertige Früchte zu ernten, werde der steinige Boden mehrfach gesiebt. Das koste mehr Diesel. Zudem gebe es noch keine Fahrzeuge mit Elektroantrieb.

Wie groß der Frust ist, macht Hartig mit Blick auf die nächste Generation klar. Es sei schwierig, Investitionen zu wagen bei den zahlreichen Einschränkungen und Anforderungen auf Bundes- und EU-Ebene. „Uns reizt die Einfallslosigkeit der Politik“, sagt er. „Wir brauchen mehr Verlässlichkeit. Wir denken in Generationen.“ Sie fühlen sich durch die Politik bevormundet, fühlen sich nicht ernst genommen. Zu oft werde der Landwirt noch in einem klischeehaften Weltbild in den 50er-Jahren gesehen, in Gummistiefeln mit Forke vor dem Kuhstall. Dabei gehört längst eine anständige Ausbildung dazu. Dass sie nun die Agrardiesel-Subvention gestrichen bekommen, scheint ihnen nur eine beliebige Sparmaßnahme zu sein, um das Haushaltsloch zu stopfen. Zudem wehren sie sich gegen die Annahme, es sei eine Subvention. Da sie nicht öffentliche Straßen mit Traktoren nutzen, sei die Besteuerung nicht angemessen.

„So viele Menschen wissen nicht, was Landwirtschaft heute bedeutet“, sagt Doris Hankemeyer aus Hörpel. Die Landfrauen-Vorsitzende ist mit ihrem Vater Otto dort, Christoph Hankemeyer ist einer ihrer drei Söhne und gehört im Heidekreis zu den maßgeblichen Organisatoren. Sohn Stefan führt den Betrieb fort. Der Dritte im Bunde, Markus, betreibt ein Blockheizkraftwerk. Milchwirtschaft ist der Haupterwerb der Familie. „Der Verbraucher will günstig Milch kaufen, dabei macht der Betrieb genauso viel Arbeit, egal ob es Bioqualität oder konventionell hergestellt ist.“ Die Ungerechtigkeiten ärgern sie. Alle stehen hinter den Protesten und unterstützen sie, egal ob auf der Straße oder im Stall. Der Senior Otto Hankemeyer kann sich an einen so breiten Protest nicht erinnern, wohl aber eine Demonstration, an der er vor mehr als 40 Jahren teilgenommen habe: Da war noch Bonn als Bundeshauptstadt das Ziel.

Julia Dührkop