Der Heidekreis steht auf

Am heutigen Sonnabend demonstrierten Menschen in Rotenburg (Wümme) gegen den erstarkenden Rechtsextremismus, am Montag folgt eine von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis getragene Kundgebung im Heidekreis.

Als Dirk Pejril im November einen Vortrag in der Stadthalle Walsrode hielt, ging es auch um einen eher technokratisch klingenden Begriff: Remigration. Dahinter verberge sich ein rechtsextremes Codewort, klärte der Chef des Niedersächsischen Verfassungsschutzes seine Zuhörerschaft auf (BZ vom 16. November: „Eine absolut verschärfte Sicherheitslage“). Es habe eine Zeit gegeben, als eine noch um eine gewisse Abgrenzung nach ganz Rechtsaußen bemühte AfD diese völkische Vokabel eher mied und kleinen Neonaziparteien wie der NPD überließ, so Pejril. Das sei vorbei, weil sich im innerparteilichen Machtkampf das rechtsextreme Björn-Höcke-Lager inzwischen weitgehend durchgesetzt habe. Vom Rechtsextremismus gehe aktuell die mit Abstand größte Gefahr für die Demokratie aus, dozierte der oberste Verfassungsschützer des Landes mit besorgten Blick auf hohe Zustimmungswerte für die AfD, und das nicht nur in den neuen Bundesländern.

Rund zwei Monate nach dem Besuch des Verfassungsschutzchefs in der Hermann-Löns-Stadt ist der Begriff Remigration unversehens ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt – und sorgt für Angst, Wut und Protest. Hintergrund ist ein rechtes Netzwerktreffen, zu dem am 25. November knapp 30 Personen in einem Potsdamer Hotel zusammenkamen – darunter AfD-Funktionäre, auch mindestens ein Vertreter aus dem niedersächsischen Landesverband. Inhalte des geheimen Treffens gelangten durch das Recherchebüro Correctiv an die Öffentlichkeit und bieten einen ungeschönten Blick auf das Gedankengut der extremen Rechten und die verfassungsfeindlichen Vorstellungen, die sich hinter der frisch zum „Unwort des Jahres 2023“ gekürten Vokabel „Remigration“ verbergen. Es geht um die gewaltvolle Deportation von Millionen Menschen mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft.

War der jüngste rechte Tabubruch tatsächlich einer zu viel? Mit Kundgebungen in ganz Deutschland bekennen Bürgerinnen und Bürger, demokratische Parteien und zahlreiche Organisationen Farbe und protestieren gegen die weitere Verrohung des Diskurses. Breite Bündnisse gegen Rechtsextremismus erheben ihre Stimme, der Ruf nach einem AfD-Parteiverbot und einer im Umgang mit ihren Feinden weniger passiv agierenden wehrhaften Demokratie wird lauter. Überall im Land gehen Tausende Menschen auf die Straße – am Montag auch im Heidekreis. Die Organisatoren hoffen auf ein starkes Zeichen der demokratischen Zivilgesellschaft.

Landrat auf der Rednerliste

„Die Kundgebung findet am Montag, 22. Januar, ab 17 Uhr Im Bürgerhof 1 in Bad Fallingbostel statt“, sagt Birhat Kaçar am gestrigen Freitag und lässt erkennen, dass das Programm noch nicht komplett ausgearbeitet und bestätigt ist. Denn es musste aus gegebenem Anlass schnell gehen, berichtet der Kreistagsabgeordnete und SPD-Fraktionsvorsitzende im Soltauer Stadtrat, der die Veranstaltung angemeldet hat. Erst am Mittwochabend sei die Anregung dazu bei der SPD eingegangen, danach ging es daran, Mitstreiter zu finden. Denn – das ist Kaçar wichtig – mit seiner Partei oder einer bestimmten politischen Ausrichtung habe die Kundgebung unter dem Motto „Der Heidekreis steht auf" nichts zu tun. Es gehe um ein starkes Zeichen der gesamten Zivilgesellschaft. Neben allen im Landkreis relevanten demokratischen Parteien wurden die Kirchen, die Schulen, das Landvolk, der Nabu, Gewerkschaften, Sportvereine und weitere Akteure des öffentlichen und politischen Lebens eingebunden beziehungsweise angefragt.

Als Hauptredner bestätigt sind Landrat Jens Grote und der Soltauer Pastor im Ruhestand Gottfried Berndt. Die Kreismusikschule wird unter der Regie ihres Leiters Jürgen Häusler fürs kulturelle Rahmenprogramm sorgen. Und Schülerinnen und Schüler wollen an die mahnende Geschichte der jüdischen Familie Lennhoff erinnern, deren Textilgeschäft in der Soltauer Marktstraße 1938 im Zuge der Reichspogromnacht von einem rechten Mob zerstört worden ist. Vater Lennhoff wurde 1943 in das KZ Theresienstadt deportiert und fand dort den Tod.

Deportationspläne: Konzept mit trüber Geschichte

Deportationen und Zwangsumsiedlungen gehörten im 20. Jahrhundert zum festen Repertoire europäischer Diktaturen. Unter Stalin ebenso wie in Hitlerdeutschland. Im völkischen Milieu Preußens wurden antisemitische Deportationspläne schon lange vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten diskutiert. Der berüchtigte Madagaskarplan, der die Verschleppung europäischer Juden nach Afrika vorsah, datiert aus dem Jahr 1885. Die Nationalsozialisten griffen ihn später auf, doch er ließ sich nicht umsetzen. Am Ende stand der Holocaust. Beim rechten Vernetzungstreffen in Potsdam wurde darüber gesprochen, Millionen in Deutschland lebende Migranten sowie Deutsche mit Migrationshintergrund in eine „Sonderwirtschaftszone in Nordafrika“ zu verschleppen. AfD-Vordenker Björn Höcke kündigte schon 2018 in seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ ein „groß angelegtes Remigrationsprojekt“ an. Dabei werde Deutschland „leider ein paar Volksteile verlieren“.

Überfüllter Opernplatz: Am heutigen Sonnabend wird auch in der Landeshauptstadt Hannover für die wehrhafte Demokratie demonstriert, Ministerpräsident Stephan Weil hält eine Ansprache und zeigt sich vom Zustrom überwältigt. Foto: mh