Als Peter Urban Diana Ross an die Wäsche ging

Peter Urban erzählt und liest auf dem Schneverdinger Theeshof. Foto: bk

Musikmoderator ist eine Legende, der die Legendären des Rocks und Jazz hautnah erlebt hat, seine Memoiren hat er auf dem Schneverdinger Theeshof vorgestellt

Die meisten Deutschen kennen Peter Urban als NDR-Radiomoderator von Musiksendungen und Moderator des European Song Contest (ESC). Beschriebe man Urban in dieser Kürze, unterschätzte man die Qualität und den Erfahrungsschatz jenes Mannes. Und so war es gut, dass der Schneverdinger Kulturverein Urban für eine Lesung auf den Theeshof eingeladen hat, denn der wichtigste Musikchronist seit den 1960er-Jahren hat seine Memoiren „On Air“ publiziert.

Urban rockt als Musikautodidakt den Jazz Jamboree Osnabrück

Urban stammt aus dem beschaulichen Quakenbrück. Der Vater war Rektor einer katholischen Schule. Die katholische Erziehung ploppt in Peter Urbans Schilderungen immer wieder auf, doch bestimmt sie nicht sein Leben. Das tut vielmehr die Musik. Die Familie machte Hausmusik, das Klavierspiel bringt Peter Urban nach einem spaßbefreiten Unterricht bei einer Musiklehrerin lieber selber bei. Mit Erfolg, denn schon bald infizierte die afroamerikanische Musik eines Folk-Blues-Festivals, das Urban als Teen für wenige Momente im Fernsehen aufschnappte. Mit seinem Bruder bastelte er Instrumente, um Songs zu verjazzen. „Meine Zuneigung zum Piano war jetzt nützlich“, führt Urban seine Zuhörer in seine Musikkarriere ein, die in den 60er-Jahren begann. Da in Quakenbrück nichts los gewesen sei, zogen erste unbeholfene Auftritte in einer Kneipe eine „riesige Resonanz“ nach sich. Ernst wurde es, als sich Urban mit seiner Band für das Jazz Jamboree Osnabrück qualifizierte und dort dann auch gleich den 2. Platz machte. „Wir haben das Jazz Jamboree in späteren Jahren dann noch zweimal gewonnen“, so Urban. Die Eltern ließen ihn „mit einem Stirnrunzeln“ gewähren.

Urban wird, wie viele seiner Generation Fan der Beatles, aber auch der Stones. Er habe das Entweder-Oder zwischen den beiden grundverschiedenen britischen Bands nie verstanden, BFBS und die Piratensender Radio Caroline und Radio London gehört, die die heißesten Platten aufgelegt hätten, und britische Zeitungen abonniert, um alles über die Beatles, Stones, Animals, Tom Jones, Bob Dylan oder unglaubliche Aretha Franklin aufzusaugen. „Ich war ein hoffnungsloser Fan“, fällt Urban hochemotional in Jugenderinnerungen zurück. „Rockmusik hatte etwas Befreiendes, sie war anders als die Musik unserer Eltern.“

Um den musikalischen Konflikt mit den Eltern auf die Spitze zu treiben, habe er den Eltern „Yesterday“ auf dem Piano vorgespielt und das Beatles-Stück „als bislang unbekanntes Stück von Bach“ angepriesen – und erhielt dafür wohlwollende Zustimmung. Als er den Betrug aufklärte, hätten die Eltern sich nicht entschuldigt.

Glückliche Zufälle: Peter Urban ist zur rechten Zeit am richtigen Ort

Als Abiturient kommt Urban 1966 das erste Mal nach London – der glückliche Zufall eines Hauptpreises einer Tageszeitung. Überhaupt habe der glückliche Zufall mehr oder weniger sein Leben bestimmt, berichtet Urban auf dem Theeshof. Und liefert dazu dann auch gleich die anekdotischen Belege. Eric Clapton habe in einem Club gespielt und einen jungen Musiker vorgestellt. Als der dann sein bizarres Gitarrensolo mit den Zähnen geliefert habe, beförderte Clapton den jungen Mann entrüstet von der Bühne. Urban habe in diesem Moment den ersten Auftritt von Jimi Hendrix in Großbritannien erlebt. Ein anderes Mal sei er gerade auf der Abbey Road gewesen, als die Beatles gerade Aufnahmen machten und er locker Autogramme abgreifen und sich entspannt mit Linda McCartney unterhalten konnte. Ein dritter glücklicher Umstand sollte dann auch beruflich wegweisend werden. Aufgrund eines „oberlehrerhaften“ Briefs an NDR-Musikmoderator Klaus Wellershaus bekommt Urban einen Fuß in die Tür des Senders.

Die Liebe zur amerikanischen und britischen Rock-Musik habe ihn dann Englisch studieren lassen. In Hamburg kam er in einem katholischen Studentenwohnheim Franziskus-Kolleg unter. „Da war der Teufel los“, lacht Urban, der dann in dem illustren Wohnheim mit 70 Prozent ausländischen Studentenanteil satte neun Jahre auf neun Quadratmetern gehaust habe. In den Semesterferien habe er gejobbt, um so schnell wie möglich wieder nach London zu kommen.

Als Elton John sein Keyboard noich selber schleppte

Als Englisch-Student macht er sein Auslandsjahr im Umland von London als Assistant Teacher für Deutsch. „Das Deutsch der Schüler war so schlecht – wir haben Englisch gesprochen.“ Die Zeit dort habe er vor allem für die Clubbesuche genutzt.

Nach dem Studium promoviert Urban zum Dr. phil. über angloamerikanische Lyrik, wobei er selbstverständlich Songtexte analysiert. Die Dissertation wurde 1979 unter dem Titel „Rollende Worte“ publiziert. Während seines beruflichen Lebens trifft Urban fast alle Größen und das mal in intimen, mal in verrückten Situationen. In einem Club erlebt er einen jungen Musiker namens Elton John, der damals seine Instrumente noch selber schleppen musste.

Diana Ross in transparentem Chiffon bringt Urban ins Schwitzen

Ein anderes Erlebnis hat er gemeinsam mit Rod Stewart, als der in Hamburg „Gasoline Alley“ in einer Hamburger Kriegsruinenlandschaft umgeben von Wohnhäusern singt, „woraufhin Omis Beifall klatschten“. Stewart habe sich noch viele Jahre später im Gespräch mit Urban daran als „eine der seltsamsten Aufnahmen“ seines Lebens erinnert. Das Video ist noch heute abrufbar unter https://kurzelinks.de/swe9.

In Hamburg muss er Diana Ross einmal das Mikrofon für sein Interview „an ein Hauch von Nichts“ anstecken – was ihn zum Schwitzen und die Sängerin zum Schmunzeln gebracht habe. Bob Marley interviewte er auf dem Fußboden einer Hotel-Suite und verließ danach angesichts des Cannabis-Nebels im Raum schwebend denselben. Keith Richards hat er nach dessen Drogenexzessen aufgeräumt erlebt, obwohl Richards während des 70-minütigen Gesprächs Dreiviertel einer Bourbon-Flasche geleert habe.

“On Air”: Peter Urban war hautnah an Superstars des Rock, Jazz und Reggae und des ESC dran. Foto: bk

ESC-Legende: Gute Show ist wichtiger als guter Platz

Solche Geschichten versteht Urban mit seiner sonoren Stimme so zu erzählen, dass eine wahre Bilderpracht im Kopf entsteht – man ist mit dabei. Seine unendlichen Anekdoten, die bis weit über den Sieg von Lena Meyer-Landrut beim ESC 2010 hinausreichen, fesseln den ausverkauften Saal. Viele Gäste teilen mit eigenen Erinnerungen die Gedanken Urbans aus der langen Geschichte der Musikentwicklung seit den den 1960er-Jahren und zum ESC. Sein Rat an die Deutschen in Sachen ESC: „Man soll sich nicht so ernst nehmen – war die Show gut, war mir der Platz der Deutschen egal.“

Peter Urban ist für die Geschichte der Rockmusik und des Jazz der deutsche Chronist schlechthin. Dass seine Memoiren mit knapp 550 Seiten nicht gerade dünn ausfallen, aber die Lektüre besonders kurzweilig sein dürfte, versteht sich von selbst.