36 Prozent Füllstand reichen nicht für den Winter

SPD-Chef Lars Klingbeil (3. von links) mit seinen Gesprächspartnern (von links) Jan-Kosta Recksiek (Aufsichtsratsvorsitzender Stadtwerke Schneverdingen-Neuenkirchen), Volker Meyer (Prokurist Rotenburg), Jan Niemann (Geschäftsführer Munster-Bispingen), Lars Weber (Geschäftsführer Schneverdingen-Neuenkirchen), Frank Brembach (Leiter Netzmangement Soltau), Volker Meyer (Geschäftsführer Rotenburg), Jens Gieselmann (Geschäftsführer Soltau) und Martin Rettmer (Vertriebschef Munster-Bispingen).

Die deutschen Gasspeicher füllen sich, wenn auch langsam, trotz aller Drohungen von russischer Seite und sich daraus ergebender Befürchtungen. 36 Prozent betrug nach Angaben des Gasinfrastrukturverbands (GIE) ihr Füllstand am Mittwoch. Das war weniger als vor Jahresfrist, aber deutlich mehr als Anfang März mit lediglich 24 Prozent. Tendenz zumindest nicht fallend.

Wenn es nach Lars Klingbeil und der Bundesregierung geht, soll das so bleiben. „Wir werden kein Gasembargo machen“, betonte der SPD-Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete gegenüber Verantwortlichen von Stadtwerken aus seinem Wahlkreis in Schneverdingen.

Keiner weiß, ob Putin das Gas abdreht

Derzeit könne Deutschland nicht auf russisches Erdgas verzichten. Sonst drohten nachhaltige wirtschaftliche Schäden. „Wir wollen das nicht“, aber man sei nicht Herr des Handelns. „Ob Putin uns das Gas abdreht, wissen wir nicht.“ Dass es bei den Energiepreisen derzeit ein Allzeithoch nach dem anderen gibt, liegt nach Angaben der Experten bislang nicht an Lieferproblemen. „Wir haben noch keine wirkliche Mangellage“, sagt der Rotenburger Stadtwerkechef Volker Meyer. „Der Börsenpreis ist durch Spekulation und durch politische Aufgeregtheiten geprägt“, meint auch der neue Soltauer Stadtwerkeleiter Jens Gieselmann.

Vorerst sei man weiter auf russisches Erdgas angewiesen, wenn die Speicher aufgefüllt werden sollen. „Das beschäftigt uns den Sommer über. Mit 36 Prozent Füllstand kommen wir nicht über den Winter“, sagt Frank Brembach, verantwortlich für das Netzmanagement bei den Stadtwerken Soltau. Dass es bisher keine spürbaren Versorgungsengpässe gab, ist nach Überzeugung von Jan Niemann, dem Chef der Stadtwerke Munster-Bispingen, auch dem zurückliegenden milden Winter geschuldet. Gleichwohl müsse man darauf vorbereitet sein, dass Putin Ernst mache und den Gashahn zudreht.

"Melden täglich unser Abschaltpotenzial"

Nachdem Wirtschaftsminister Robert Habeck vor einigen Wochen eine Gasmangellage offiziell festgestellt habe, werden Abschaltszenarien ausgearbeitet, eine Reihenfolge, nach der Unternehmen und Einrichtungen, abhängig von ihrer Systemrelevanz, damit rechnen müssen, vom Versorgungsnetz genommen zu werden. Über Abschaltungen würden nicht die örtlichen Versorger entscheiden, sondern die Bundesnetzagentur, erklärt Brembach die Zuständigkeit. „Aber wir werden jeden Tag von unseren Kunden danach gefragt.“ Als Letztes würden die privaten Haushalte von Abschaltungen betroffen sein, beschreibt Lars Weber von den Stadtwerken Schneverdingen-Neuenkirchen ein Szenario, das niemand haben wolle, aber auf das man angesichts der Drohungen von russischer Seite vorbereitet sein müsse. „Wir melden täglich unser Abschaltpotenzial“, heißt es von den Stadtwerkechefs.

Industrie ist der größte Abnehmer

Von den 999 Terawattstunden, die 2021 an Erdgas verbraucht wurden, entfielen etwa 37 Prozent auf die Industrie und etwa 31 Prozent auf Haushalte. Insgesamt waren die Veränderungen der Anteile in den Verbrauchergruppen zwischen 2011 und 2021 eher gering. Deutschland bezieht den Großteil der Erdgasimporte aktuell hauptsächlich aus drei Ländern. Die russischen Erdgaslieferungen machten vor dem Ukrainekrieg mehr als die Hälfte der deutschen Erdgasimporte über Pipelines aus. Die zweitwichtigste Erdgasbezugsquelle für Deutschland ist Norwegen, gefolgt von den Niederlanden.