Retter-App für Lebensmittel gewinnt auch im Heidekreis an Akzeptanz

Silke Scharpak (links) und Mitarbeiterin Stefanie Daum mit abholbereiten Toogoodtogo-Paketen. Foto: bk

Bäckereien, Fleischereien und andere Händler bieten Frischeware gegen Feierabend über eine Retter-App zum Schnäppchenpreis an, um sie nicht entsorgen zu müssen.

Am heutigen Dienstag „rettet“ Matthias Hestermann über eine sogenannte Retter-App die 3000. Essensportion, statt seine übrig gebliebenen und am kommenden Tag nicht mehr verkäuflichen Lebensmittel zu entsorgen. Seine Wietzendorfer Fleischerei am Beekgarten 2 ist schon seit Jahren bei der digitalen „Reste“-Vermarktung über die „Too-good-to-go“-App dabei. Täglich seien es drei bis 8 Boxen, die er zur Abholung bereitstelle. Entweder Salat und Aufschnitt oder Mittagstisch im Wert von etwa 7,50 geht für 3 oder 2,50 Euro weg.

Hestermann war es auch, der Silke Scharpak aus Soltau auf die Idee gebracht hat, in das App-Geschäft einzusteigen. Die Soltauerin betreibt die Bäckerei Schokoladen-Mädchen auf der Lüneburger Straße. Der Betrieb wurde in den 1940er-Jahren von der Familie Blumberg gegründet, 2007 hat Scharpak das Geschäft von ihren Eltern übernommen. „Wir backen sieben Tage in der Woche frisch."

Erlös aus Retter-App bleibt unter den Kosten

Mit dem Entsorgen von Lebensmitteln kommt die Konditormeisterin nicht gut klar. Das sei immer schade. Scharpak beliefert Zeltplätze, die medizinische Einrichtungen und andere Partner - „so richtig planbar ist das nicht“. Da bliebe immer was übrig. Manches werde verschenkt, freitags beliefere sie die Tafel.

Jetzt sei die Lage auch insgesamt schlimmer als früher. „Die Preise ziehen an und wir haben schon im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit weniger Umsatz“, beschreibt Scharpak ihre Situation. Die Too-good-to-go-App sei eine Möglichkeit, nicht alles entsorgen zu müssen. Seit eine Woche ist sie dabei. Gegen 16 Uhr treffe sie die Entscheidung, wieviel Pakete im Wert zu 12 Euro ins Angebot kommen, die dann über die App für 4,50 Euro erworben werden können und nur noch abgeholt werden müssen. Etwas mehr als einen Euro bekomme der digitale Dienstleister, der Rest gleiche den Schaden etwas aus. „Der Umsatz bleibt da unter den tatsächlichen Kosten“, so Scharpak. „Aber immer noch besser als wegwerfen“, wird sie von ihrer Mitarbeiterin Stefanie Daum unterstützt.

In ihren Pakten sind etwa sechs bis sieben Kuchenstücke oder 10 bis zwölf Brötchen. Bis zu zwölf Käuferinnen und Käufer kämen täglich, um sich solche Pakete abzuholen. Es seien andere Kunden, keine Stammkundschaft, aber auch keine klassischen Tafel-Nutzer. „Gemischt“, schätzt sie die Klientel ein.

Fehlende Solidarität in der Branche erschwert Situation zusätzlich

Mit der Lebensmittel-Retter-App beschreitet Scharpak neue Wege in einem unsicheren Umfeld. Denn auch in der Branche gehe es kritisch zu. „Der Zusammenhalt von früher funktioniert nicht mehr“, berichtet sie sogar über aggressives Abwerben von Mitarbeitern in ihrem eigenen Geschäft durch Mitbewerber. Ob Backstube oder Verkauf, Scharpak sucht Personal. Denn bislang will sie an ihren Öffnungszeiten festhalten.

Im Heidekreis gibt es noch mehr Anbieter, die ihre Produkte zum Feierabend hin nicht entsorgen, sondern über die App anbieten. In der App kann der Interessent innerhalb eines festgelegten Radius suchen und findet dann die noch freien Angebote. Bezahlt wird digital, dann muss das Schnäppchen nur noch abgeholt werden.

11 Millionen Tonnen Lebensmittel gehen jährlich auf den Müll

Im Jahr 2020 wurden in Deutschland laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft etwa 11 Millionen Tonnen Lebensmittel entsorgt. Das Gros mit 59 Prozent wird in den Privathaushalten entsorgt, das entspricht 78 Kilogramm Lebensmittel jährlich pro Person. 17 Prozent werden in der Außerhausverpflegung (beispielsweise Restaurants und Catering) weggeworfen, 15 Prozent fallen bei der Verarbeitung von Frischware, 7 Prozent im Handel an. Die restlichen zwei Prozent Lebensmittelabfall gehen zu Lasten der Primärproduktion also zum Beispiel bei der Ernte von landwirtschaftlichen Produkten oder der Aufzucht von Vieh. Vor dem Hintergrund der großen Abfallmengen führt die Bundesregierung ihre Kampagne „Zu gut für die Tonne durch“ gegen Lebensmittelverschwendung. Mit Medienprodukten soll bereits in Grundschulen für einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln geworben werden. bk