„Für mich gab es nur diesen einen Weg“

„Ich weiß ja, wie schwer das alles sein kann”: Dana Louise unterstützt Trans-Personen bei der Selbstfindung.

Dana Louise wurde in Soltau Opfer eines queerfeindlichen Übergriffs. Einschüchtern lässt sie sich von so etwas nicht. Sie geht offen mit ihrer Transidentität um und rät anderen Betroffenen, sich ebenfalls nicht zu verstecken. So selbstbewusst war sie nicht immer. Ein BZ-Gespräch über den steinigen Weg zu sich selbst, das Leben als trans Person außerhalb der Großstadt, das ideale Alter für geschlechtsangleichende Operationen und den Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Sexualität.

Sie verbrachten den Großteil Ihres Lebens im Körper eines Mannes. Wann wurde Ihnen klar, eine Frau zu sein?

Dana Louise: Ich war als Mann mit einer Frau verheiratet und kam über Facebook mit einer jungen trans Frau in Kontakt. Wir schrieben viel miteinander und haben uns dann auch mal getroffen. Ab dem Moment war mir alles so klar. Das war vor etwa drei Jahren. Heute bin ich 36.

Bis dahin identifizierten Sie sich als heterosexueller Mann?

Als Pan. Ich hatte keine Präferenz im Kopf und hatte Erfahrungen mit Frauen, trans Frauen und Männern. Am Ende landete ich aber bei meiner jetzigen Ex-Frau. 2018 heirateten wir und zogen in Soltau zusammen. Im vierten Jahr scheiterte die Ehe an meiner Transsexualität.

Mit der Transition ging es dann ziemlich schnell.

Eigentlich habe ich mir viel Zeit gelassen. Aber durch die Outingphase habe ich mich echt durchgeprügelt. Das war in ein, zwei Wochen erledigt. Danach wollte ich am liebsten alles weitere im gleichen Tempo durchziehen. Am besten sofort Hormone und OP. Ganz so schnell ging es dann doch nicht. Das war für mich auch in Ordnung so.

Haben Sie Ihre Transidentität lange verdrängt, aus Angst vor den Reaktionen?

Nein. Ich war immer ein offener Mensch und auch mein Umfeld war recht offen. Die hatten vielleicht andere Meinungen, aber ich hatte meine eigene. Das hat mich nie gestört. Ich war auf andere Sachen fixiert, hatte viele Probleme. Auch psychischer Art und teilweise mit starkem Cannabis-Konsum zusammenhängend. Kraft und Lebenslust gingen verloren und ich habe mehrmals versucht, mir das Leben zu nehmen. Heute weiß ich, dass das mit meiner Transsexualität zu tun hatte. Als mir das bewusst wurde, war es meine Rettung. Keine Depressionen und Selbstmordgedanken mehr; das Leben war ab dem Moment eigentlich super.

Vorher spürten Sie, dass da etwas nicht passte, wussten aber nicht, was es ist?

Ich habe das nicht auf meine Sexualität bezogen. Ich schob es auf nicht verarbeiteten Stress aus meiner Kindheit und Jugend. Das Verhältnis zur Familie war nicht das beste, ich bin früh straffällig geworden, kam mit Drogen in Kontakt. Auf Gras ist einem alles scheißegal. Das Leben wird einfacher und erträglicher, aber man rutscht ab. Bei mir hat der Drogenkonsum viel verhindert, zum Beispiel den Abschluss meiner Lehre als Bauschlosser. Hinzu kam, dass es unter meinen beiden Geschwistern ein weiteres trans Kind gab. Meine Schwester wurde zu meinem Bruder. Das warf mich aus der Bahn. Ich hatte mir so sehr eine Schwester gewünscht. Bei ihm war aber von klein auf alles klar. Der ist durchgedreht, wenn er Mädchenklamotten tragen sollte oder geschenkt bekam. Bei mir war es nicht so eindeutig. Okay, ich spielte lieber mit Mädchen als mit Jungen und hatte überwiegend Freundinnen. Aber meine Hobbys waren eher typisch männlich. Ich spielte Fußball, betrieb Kraft- und Kampfsport. Handwerklich bin ich top drauf, den Esstisch in meiner Wohnung habe ich selbst gezimmert.

Hat es eher Vor- oder Nachteile, bei der Transition schon ein gewisses Alter zu haben?

Ich empfinde mein Alter eigentlich als perfekt dafür. Ab 40 würde ich sagen, ist es fast schon etwas spät. Zu früh finde ich aber auch nicht so gut. Bei Jugendlichen nehme ich das im Moment auch ein bisschen als Hype wahr. Gerade bei trans Männern, von denen es viel mehr gibt als umgekehrt. Ich finde, Transsexualität ist nichts Negatives, im Gegenteil, es ist ein Geschenk. Auch schon vor der Transition. Ich bekam zwei Leben geschenkt, erst das männliche, das nicht so gut gewesen ist, und jetzt das weibliche. Beides sehr intensiv. Männer können Frauen nie ganz verstehen, dafür fehlt ihnen die Erfahrung des Frauseins.

Sie raten Jugendlichen, es eher langsam angehen zu lassen?

Sie sollten nichts übers Knie brechen und sich die Zeit nehmen, die sie brauchen. Ich verstehe, dass man alles sofort haben möchte. Aber das kann auch nach hinten losgehen. Nach der OP ist nichts mehr mal eben so wieder rückgängig zu machen. Man sollte sich also sehr sicher sein. Wenn dieser Punkt erreicht ist – leg’ los!

Was sind die ersten Schritte nach dem Entschluss?

Man muss zunächst mit sich selbst klarkommen. Dann gucken, wo man Hilfsangebote bekommt. Wertvoll können Gespräche mit Beratungsstellen, Bekannten oder anderen trans Personen sein. Später auch mit Psychologen oder Psychiatern. Das sind so die ersten Anlaufstellen.

Wie spricht man darüber mit nahen Menschen?

Das hat mich einige Wochen an Überwindung gekostet. An einem Abend, an dem die Stimmung zwischen uns gut war, habe ich mir die Zeit genommen, mit meiner Frau zu reden. Das war wie eine Beichte. Sie fiel verständlicherweise aus allen Wolken, war geknickt und verletzt. Wenn da eine andere Frau gewesen wäre, wäre da vielleicht vor allem Wut gewesen. So fühlte es sich für sie an, als ob sie etwas falsch gemacht, irgendwie versagt hätte. Das war aber nie der Fall. Wir waren glücklich zusammen, standen aber beide auf Männer. So konnte es nicht weitergehen. Wir haben uns dann im Frieden getrennt und sind immer noch super befreundet. Mit meiner Familie war das schwieriger. Vor denen habe ich mich schlagartig geoutet, mit einem Foto als Frau auf WhatsApp. Meine Mutter kam damit besser zurecht als mein Vater, der mehr Zeit brauchte. Mein Großvater drohte, mich im Falle einer Transition nicht mehr zu unterstützen. Er konnte nicht glauben, dass das Ergebnis einer OP aussehen wird wie bei einer biologischen Frau. Nach der Transition war er positiv überrascht und inzwischen kommt er gut damit klar.

Nach dem Coming Out entschieden Sie sich schnell für die Transition. Gab es keinen Restzweifel?

Für mich war das ab dem Moment definitiv klar. Als wenn jemand einen Schalter umgelegt hätte. Manche benötigen jahrelange Therapien und müssen immer wieder neu Anlauf nehmen. Das war bei mir nicht so. Für mich gab es nur diesen einen Weg.

Ein neues Selbstbestimmungsgesetz soll den Wechsel der Geschlechtsidentität sehr vereinfachen. Es ersetzt das Transsexuellengesetz mit seinen Hürden. Wie bewerten Sie das?

Ich finde das geltende Gesetz gar nicht so schlecht. Es müsste halt etwas angepasst werden. Nun warten viele auf das neue Gesetz und schieben die Änderung ihres Vornamens hinaus. Ich fürchte, das wird alles viel länger dauern als erwartet. Wie so oft in der Politik. Erst passiert lange nichts, dann kommt ein undurchdachter Schnellschuss und es muss ohne Ende nachgebessert werden. Beim Selbstbestimmungsgesetz sollen Vorname und Geschlechtseintrag schnell geändert werden können, ohne Gutachten – und dann? Wie ist es mit einer anschließenden OP, wer bezahlt die? So einfach, wie es nach dem Gesetz scheint, ist es nicht. Nun gibt es die Sorge, dass Kerle sich zu Frauen erklären, um in Schutzräume einzudringen und ähnliches. Das neue Gesetz löst Ängste aus, die für trans Frauen katastrophal sind. Die empfinden vor der OP ohnehin oft Scham und haben Hemmungen, an Orte zu gehen, die nur für Frauen sind. Für sie wird es bei dieser Stimmung noch schwieriger, zum Beispiel im Schwimmbad in die Frauenumkleide zu gelangen. Da wird dann das Hausrecht ausgeübt und man darf sich auf der Behindertentoilette umziehen. Ich fände es besser, das Transsexuellengesetz zu behalten und zu modernisieren. Im Fragenkatalog sollte es nicht mehr um das Masturbationverhalten, das intimste Sexleben und ähnliche Sachen gehen.

Sowas wird abgefragt?

Ich hatte einen älteren Therapeuten in Hamburg, bei dem war das so. Andere halten das für überholt. Die gehen den Katalog vielleicht durch, sagen aber dazu, dass man Fragen, die einem unangenehm sind, nicht beantworten muss. Mir fällt es nicht schwer, über sowas zu reden. Es gibt aber trans Personen die es demütigt, solche Fragen überhaupt gestellt zu bekommen. Daher sollte man das überarbeiten. Und man sollte sicherstellen, dass Krankenkassen, wenn Transsexualität bescheinigt ist, die Kostenübernahme für Operationen gleich beim ersten Antrag zusagen. Das dauert heute oft so lange, da gehen Menschen kaputt dran.

Wie lief Ihre eigene Operation?

Super. Ich war begeistert von meiner schnellen Wundheilung mit ganz wenig Narbenbildung. Das ist auch für einen gesunden Menschen sehr ungewöhnlich. Für meinen Arzt war ich ein kleines medizinisches Wunder. Der hat schon mehr als 150 trans Frauen operiert und mir gesagt, mein Ergebnis sei das beste von allen.

Wie fühlt es sich an, eine Frau mit allem drum und dran zu sein?

Es ist wirklich anders. Ich fühle mich befreit, habe meine Hemmungen verloren. Vorher konnte ich nicht einmal in meiner eigenen Wohnung nackt herumlaufen. Dieses Halb-Halb war sehr unangenehm. Vom Kopf und der Denke her eine Frau, auch der Körper eigentlich schon weiblich, aber da unten immer noch etwas, das da nicht mehr hingehört. Das mich behindert, auch in der Kleidung. Ich habe versucht es zu verstecken, aber irgendwie sah man immer diese Beule.

Wie reagierte Ihr weiteres soziales Umfeld? Gab es nicht doch eine gewisse Befangenheit?

Das ist so eine Sache. Viele wollen nichts falsch machen und fragen dann lieber gar nichts, oder nach einer Weile ganz vorsichtig: Wie soll ich dich denn jetzt ansprechen? Darf man fragen nach dem Ergebnis der Operation oder der Fähigkeit zum Orgasmus? Da herrscht viel Unsicherheit. Ich muss aber sagen, dass mein Umfeld durchweg positiv reagiert hat. Zwei, drei schlechte Erfahrungen habe ich trotzdem gemacht. Zuletzt die Sache vor zwei Wochen beim Rewe am Bahnhof Soltau, wo ich von einem Typen im Vorbeigehen angerotzt worden bin. Einfach so. Das ist so abartig und asozial. Die Polizei war in fünf Minuten da, konnte den Typen aber nicht mehr finden. Der Vorfall war aber eine Ausnahme. Im Allgemeinen kommen die Leute damit klar, sind neugierig und interessiert und sprechen mir ihren Respekt aus.

Ist die Transition abgeschlossen oder geht der Prozess weiter?

Hormone nimmt man ein Leben lang. Nur die Testosteron-Blocker fallen durch die OP weg.

Früher gab es die Sorge der Orgasmusfähigkeit. Ist das noch ein Thema?

Risiken gibt es bei jeder OP. Gefühlsempfindungsstörungen im Intimbereich werden erwähnt, kommen aber sehr selten vor. Zu 80 Prozent spielt sich Sex ohnehin im Kopf ab. Ich bereue die OP auch diesbezüglich in keinem Fall. Vom männlichen Orgasmus hat man ein paar Sekunden etwas, dann ist er vorbei. Als Frau hat sich das verändert. Es dauert ein bisschen länger, bis man am Ziel ist, aber der Orgasmus hält dafür viel länger an und ist intensiver. Beim Sex einen Orgasmus zu erleben ist natürlich schwieriger als Frau. Weibliche Sexualität ist einfach ein bisschen komplizierter als männliche.

Haben Sie Kontakt zu anderen trans Personen? Eine queere Szene gibt es im Heidekreis ja eher nicht.

Es gibt hier in Soltau, in Schneverdingen und dem weiteren Umkreis viele trans Personen. Die meisten leben aber leider sehr zurückgezogen. Es ist nicht böse gemeint, aber viele machen sich ihre Probleme selbst, weil sie zu ängstlich sind. Meine Erfahrung ist: Je offener und freizügiger man mit dem Thema umgeht, umso unproblematischer und einfacher wird es. Viele queere Menschen zieht es in die Großstadt, weil sie da in der Menge untertauchen können. Das finde ich schade. Ich habe im „Dorf Soltau“ viel Positives erlebt. Ich kenne trans Personen aus dem ganzen Landkreis und helfe ihnen bei Problemen. Ich weiß ja selbst, wie schwer das alles sein kann. Ich habe mir hier ein gutes Netzwerk von Psychiatern, Ärzten und allem möglichen aufgebaut. Das ist viel wert, denn auf den Dörfern ist es anders als in Hamburg, Bremen oder Hannover. Dort gibt es für jeden Scheiß irgendwas: Endokrinologen, Transtherapeuten, die Kliniken. Hier vor Ort muss man die richtigen Leute kennen. Das möchte ich gerne weitergeben. Ich hätte mir auf meinem Weg ja auch jemanden gewünscht, der mich ein bisschen an die Hand nimmt. ⁣

Wer Kontakt zu Dana Louise aufnehmen möchte, kann sich per E-mail über a.ricci@boehme-zeitung.de an die BZ wenden.

BZ-Gespräch, SoltauAndre Ricci