Giftiges Erbe verseucht Grundwasser

Ein Schild warnt am Truppenübungsplatz Munster-Nord Passanten vor Lebensgefahr aufgrund der Beseitigung von Kampfmitteln. Foto: juw

Das Grundwasser ist mit Arsen verseucht – doch in Munster regt sich kein Protest. Eine Bürgerinitiative hatte zwar auf das Problem aufmerksam gemacht. Interessiert hat das aber kaum jemanden. Die Politik konnte eine Lösung des Problems jahrzehntelang verschleppen. Das soll sich nun ändern.

500 Kilogramm des krebserregenden Stoffes filtert eine von der Bundeswehr betriebene Aufbereitungsanlage jedes Jahr aus dem Munsteraner Grundwasser heraus. Schon 100 Milligramm Arsen können für einen Erwachsenen tödlich sein. Bürgerinitiativen, wie sie andernorts leidenschaftlich für die unterschiedlichsten Anliegen kämpfen, gibt er hier keine. Grund genug, sich auf die Suche nach dem Ursprung des Gifts zu machen – und auf die Suche nach Menschen, die sich dafür interessieren.

Die Ursache für die massive Verseuchung der Kleinstadt liegt fast ein Jahrhundert zurück. Auf Teilen des heutigen Bundeswehr-Truppenübungsplatzes Munster-Nord wurden im Ersten und Zweiten Weltkrieg chemische Waffen erprobt und produziert. Bis heute sind Kampfmittelräumer auf der Suche nach den tödlichen Granaten. Das Gift sitzt außerdem tief im Boden und hat sich bis ins Grundwasser vorgearbeitet.

Jahrzehntelang hat sich die Politik kaum um die Altlasten geschert. Erst 1997 wurde die Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten (Geka) gegründet, die die Altlasten im großen Stil entsorgen kann. 1999 kam die Grundwassersanierungsanlage hinzu. Doch die Arbeiten kommen nur schleppend voran.

Angst vor dem Gift in ihrem Vorgarten – die hat Christine Meyer-Dittrich seit Jahrzehnten. Ende der 1980er-Jahre sieht die Gaststättenbedienung zusammen mit einer Freundin im Fernsehen einen Bericht über Weltkriegskampfstoffe in der Ostsee. Die Alliierten hatten nach ihrem Sieg deutsche Munition und Bomben im Meer versenkt – auch chemische Waffen. Die tauchen nun vermehrt in den Netzen von Fischern und am Strand wieder auf.

In dem Bericht hört Meyer Dittrich, dass viele C-Waffen aus Niedersachsen stammen – aus Munster. Sie beginnt, zu recherchieren, und findet heraus, dass es in ihrer Heimat eine lange Produktionsgeschichte gibt, Altlasten inklusive. Meyer- Dittrich will sich dafür einsetzen, dass die endlich entsorgt werden. 1989 gründet sie zusammen mit einigen Mitstreitern die Bürgerinitiative gegen Rüstungsaltlasten. Die engagierten Laien recherchieren, veranstalten einige Info-Abende und werden bei niedersächsischen Landtagsabgeordneten vorstellig. Doch nach jahrelanger Arbeit löst sich die Gruppe auf. Zu langwierig, zu schwierig, zu frustrierend ist das Thema.

Protest verstummt

15 Leute hatte Meyer-Dittrich in den 1990ern für ihre Bürgerinitiative gegen Rüstungsaltlasten mobilisiert. Einmal gab es in Munster sogar eine Demonstration: 250 Leute zogen durch die Stadt, bastelten sich Transparente mit Sätzen wie „Wir haben Angst um unsere Kinder“ und „Der Bund muss endlich handeln“. Wovor die Menschen allerdings am meisten Angst hatten, war der Aufbau der Geka in privater Hand. Als diese Gefahr gebannt war, verstummte der Protest. „Wir haben sieben Jahre als Bürgerinitiative gearbeitet“, erinnert sich Meyer-Dittrich. Die Bedienung hat sich mühsam in chemische, rechtliche, historische und politische Zusammenhänge eingelesen. „Die Arbeit war zermürbend, und es gab kaum Ergebnisse. Immer, wenn ich Leuten von den Altlasten erzählt habe, gab es ungläubiges Staunen. Und dann die Reaktion: Da kann man eh nichts machen, das ist mir zu viel“, sagt die 54-Jährige. „Es ist halt auch eine Gewohnheitssache. Die Leute denken: Die Altlasten gibt’s hier schon so lange, jetzt ist es auch egal.“

Würde Meyer-Dittrich heute noch einmal eine Bürgerbewegung leiten? „Definitiv nicht“, sagt sie. „Es ist einfach zu frustrierend.“ Zu wenig greifbar – das giftige Arsen in Boden und Grundwasser ist nicht zu sehen und allzu leicht zu vergessen. Selbst, wenn man in der Bodenwaschanlage der Geka steht, die das verseuchte Erdreich reinigt. „Waschen Sie sich beim Rausgehen gleich die Hände!“, ruft ein Produktionsmitarbeiter Besuchern streng zu. Er schaut demonstrativ auf das Treppengeländer, an dem sich eine feine Staubschicht gebildet hat.

Die Geka in Munster ist deutschlandweit das einzige Unternehmen, das Giftgasgranaten entsorgen darf. 670 000 Quadratmeter umfasst das Betriebsgelände, 140 Mitarbeiter arbeiten in Schichten rund um die Uhr an drei Verbrennungsanlagen, einer Bodenwaschanlage und Maschinen, die Munition zerstören. Alleingesellschafter ist der Bund. Auf dem Außengelände läuft Dr. Andreas Krüger zu einem schwarzen Haufen, der in der Sonne schillert. Der technische Geschäftsführer der Geka nimmt stolz einen der zersplitterten schwarzen Glasbrocken in die Hand. „Hierin ist das Arsen eingeschlossen“, sagt Krüger. Das Gift stammt aus dem verseuchten Boden des Truppenübungsplatzes Munster-Nord. Er ist bei der Geka in einem Plasmaofen eingeschmolzen worden.

Krüger geht weiter über das Gelände, vorbei an einem Container, der unter einem Rohr steht. Heraus rieselt langsam nasser Sand. Es ist weniger stark belasteter Boden, der in einer Waschanlage gereinigt wurde. So sauber, dass man ihn in einen Sandkasten füllen könnte, ist er allerdings nicht. Momentan kommt der Sand auf eine Deponie. Geplant ist, ihn demnächst wieder in MunsterNord einzubringen. Den verseuchten Boden zu sanieren ist die Hauptaufgabe der Geka. 4000 Tonnen Erde werden jedes Jahr gereinigt. Bis zu 30 000 Kubikmeter Erdreich des Truppenübungsplatzes könnten immer noch kontaminiert sein; die Untersuchungen dazu laufen. In einer Halle lagern seit Jahren große Plastiksäcke mit 20.000 Tonnen verseuchter Erde, die auf ihre Verbrennung warten. Rund 18 Millionen Euro stehen der Geka dieses Jahr laut dem Bundeshaushalt zur Verfügung. Eine Menge Geld – und trotzdem gehen die Sanierungsarbeiten nur langsam voran.

Bei der Sanierung des Truppenübungsplatzes Munster-Nord sind viele Behörden eingebunden:

Das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr (BAIUDBw) verantwortet das Sanierungskonzept. Das Bundeswehrdienstleistungszentrum Munster betreibt die Grundwassersanierungsanlage. Die BAIUDBw hat die Bauverwaltung des Landes Niedersachsen beauftragt, das Sanierungskonzept zu erstellen und umzusetzen. Die Oberfinanzdirektion Niedersachsen als Leitstelle des Bundes für Boden- und Grundwasserschutz und das staatliche Baumanagement Lüneburger Heide setzen das Konzept um. Die Bauverwaltung hat insgesamt 31 Firmen für die Arbeiten beauftragt. Außerdem sind das Gewerbeaufsichtsamt Celle sowie die drei Landkreise Heidekreis, Lüneburg und Uelzen eingebunden. Die Interessen der Stadt Munster sollen von den drei Landkreisen vertreten werden.

Böhme-Zeitung