Das Grundwasser hat keine Lobby

An einer Messstelle des Dethlinger Teichs prüft ein Landkreismitarbeiter, in welche Richtung das Grundwasser fließt. Foto: juw

Um die Auswirkungen der C-Waffen-Altlasten auf das Grundwasser besser überprüfen zu können, hat das Baumanagement dieses Jahr neun neue Messstellen gebohrt – zusätzlich zu rund 900 bereits vorhandenen. Während letztere allerdings von der Bundeswehr betrieben werden, ist für die neuen der Landesbetrieb zuständig. Außerdem erhielt die Grundwassersanierungsanlage, für die ihrerseits das Bundeswehr-Dienstleistungszentrum verantwortlich ist, zwei neue Förderbrunnen. Damit erhöht sich der Durchlauf von verseuchtem Grundwasser, das gereinigt weiter in Richtung Munster fließt.

In welche Richtung das Grundwasser fließt, interessiert auch Professor Holger Weiß vom Helmholz Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Allerdings am Dethlinger Teich: Der Forscher hat dort dieses Jahr zusammen mit seinen Mitarbeitern und denen des Landkreises zwei Versuche gestartet. Er will herausfinden, wie schnell das Grundwasser fließt, und ob es die Grube des Teichs durchspült oder darüber hinwegfließt. Dazu hat er salzige und farbige Flüssigkeiten ins Grundwasser geleitet und prüft nun fortlaufend, wo sie wieder auftauchen. Weiß‘ Vermutung: Das Wasser läuft Richtung Bundesstraße.

Doch das nachzuweisen, dauert. Denn das Wasser lässt sich Zeit: Je nach Bodenbeschaffenheit legt es nur 15 Zentimeter im Jahr zurück. Das hat auch politische Folgen, wie der leidgeprüfte Wissenschaftler nur zu gut weiß: „Altlasten sind grundsätzlich nicht besonders sexy, aber Grundwasser hat gar keine Lobby“, erklärt Weiß. „Wenn Sie als Politiker einen Fluss sanieren lassen, haben Sie innerhalb einer Wahlperiode wieder neue Fische drin, mit denen Sie sich wunderbar fotografieren lassen können.“ Wenn der Forscher nach 25 Jahren Altlastenbearbeitung von der Politik hört: „Jetzt muss doch mal Schluss sein“, kann er nur ernüchternde Antworten geben. „Nein, wenn der Boden so tief kontaminiert ist, wie etwa in Munster-Nord, wird auch noch in 50 bis 100 Jahren Grundwasser gepumpt werden.“

Wie soll es also weitergehen? Am Dethlinger Teich will der Landkreis zunächst herausfinden, wie gefährlich der Altlasten-Cocktail in dem ehemaligen Tagebauloch ist. Eine sogenannte Gefährdungsabschätzung soll nächstes Jahr beginnen; inklusive Proben aus dem Teichinneren. Geld dafür kann die Kreisverwaltung aus einem neuen Altlastenprogramm des Landes beantragen, das in den nächsten fünf Jahren sechs Millionen Euro landesweit bereitstellt. Auch das Messstellennetz um den Teich soll erneuert werden.

Suche nach Geld

„Die Ergebnisse werden wir dann bis 2017 vorliegen und ausgewertet haben“, erklärt Friedrich-Wilhelm Otte, Sachbearbeiter für Bodenschutz und Altlasten beim Heidekreis. „Dann geht die Suche nach dem Geld für die Sanierung los.“ Der erfahrende Altlastenexperte rechnet mit rund 50 Millionen Euro. Der Auftrag könnte, wenn alles nach Plan läuft, 2020 ausgeschrieben werden. Dann würden 2021 die Bagger rollen.

Der Heidekreis hat nicht nur geplant, sondern auch beprobt: In einer Messstelle hat Otte das Grundwasser, das den Teich durchflossen hat, in mehreren Schichten analysieren lassen. Kostenpunkt: 10 000 Euro. (Internetadresse: http://bit. ly/1NNPZQA.) Zudem habe der Kreis fünf neue Messstellen im Zustrom gebohrt, die für die Gefährdungsabschätzung nächstes Jahr gebraucht werden. Darin werden auch Grenzwerte eine Rolle spielen.

Ab welcher Konzentration ist Arsen im Grundwasser eine Gefahr? Diese Grenzwerte legte bislang der Heidekreis selbst fest. Da nur wenige Kommunen vor solchen Herausforderungen stehen, gebe es keine bundeseinheitlichen Tabellen. Doch in der Kreisverwaltung müssen Zweifel an dieser Praxis aufgekommen sein, denn die Grenzwerte werden aktuell im Landesgesundheitsamt überprüft und gegebenenfalls korrigiert.

„Was Altlasten angeht, gibt es so eine Art Aufmerksamkeitsspirale“, erinnert sich Otte. „Die Leute sprechen über die Jahre immer mal mehr, mal weniger darüber.“ Nach der Recherche der Böhme-Zeitung sei die Ruhephase in der Aufmerksamkeitsspirale vorbei gewesen. „Wir haben auch hier in der Kreisverwaltung gemerkt: Da tut sich jetzt etwas bei den Beteiligten. Da lockert sich was.“ So erhält Otte mittlerweile unaufgefordert Kopien von E-Mails, die andere Akteure zu dem Thema verschicken, und auch der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Markus Grübel (CDU), wäre ohne den öffentlichen Druck wohl kaum aus Berlin an den im Durchmesser 60 Meter großen „Problemteich“ gereist.

Erste Erfolge hat auch der Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil (SPD) in Berlin erreicht: Im Bundeshaushalt 2016 ist ein 60-Millionen-EuroFonds für Altlastensanierung in ganz Deutschland eingestellt. Das beschloss der Haushaltsausschuss jüngst. Der Entwurf soll Ende November vom Bundestag verabschiedet werden. 60 Millionen – in Sachen Altlastensanierung ein Tropfen auf den heißen Stein, andererseits aber doch eine Menge Geld und ein wichtiges Signal: Denn jetzt ist auch der Bund an dem komplizierten Verfahren beteiligt. Die Hoffnung auf weitere Unterstützung ist geweckt. Der Abgeordnete hat auch den verseuchten Truppenübungsplatz Munster-Nord im Visier. Mit dem Verteidigungsministerium bespricht er, in wieweit die Sanierung beschleunigt werden kann.

Für Dietrich Wiedemann, Kreistagsmitglied der Grünen, war die Podiumsdiskussion der Böhme-Zeitung Anfang des Jahres „wie ein Revival“. „Ich habe jede Menge alte Bekannte wiedergetroffen“, sagt der überzeugte Umweltschützer und wirft seinen bunten EthnoSchal über die Garderobe des Restaurants Steinhof. Seit Jahrzehnten setzt sich Wiedemann für die Sanierung des Dethlinger Teichs ein, und obwohl er das politische Spiel des Gebens und Nehmens, das parteipolitische Klein-Klein und auch das laute Poltern so mancher Platzhirsche schon lange kennt, trotzdem, oder vielleicht auch gerade deswegen, wirkt Wiedemann frustriert, wenn er von der Verdrängungsmentalität der Verantwortlichen spricht, die das Thema Altlasten beiseiteschieben, um Tourismus und Zuzug in die strukturschwache Region nicht zu gefährden.

„Jahrelang habe ich auf meine Anfragen immer nur eine Antwort erhalten: ,Wir handeln, wenn Gefahr besteht.‘ Und dass die Gefahrenstellen ja weit weg von Munster seien.“ Diese Haltung ärgert den GrünenPolitiker nicht nur, sie macht ihn auch wütend. Das Pizzabrot vor ihm wird langsam kalt, da springt der Landtagsabgeordnete Lutz Winkelmann ein. Die kleine schwarz-grüne Koalition hat sich zufällig im Gasthaus getroffen. Da ist kein Fremdeln, die beiden langjährigen Politiker respektieren sich und lassen sich von den verwunderten Blicken der anderen Gäste nicht aus der Fassung bringen.

Wie ein Marathonlauf

Der CDU-Landtagsabgeordnete erinnert seinen Mitstreiter aus dem Kreistag: „Das Thema ist ein Marathonlauf und kein Sprint.“ Doch bevor Wiedemann sich an seinem Pizzabrot verschluckt, weil er solchen allzu wohlfeilen Allgemeinplätzen entschieden wiedersprechen muss, dreht der CDU-Mann auf. „Ich war im Sommer in den USA und habe in Kalifornien gesehen, wohin Wasserknappheit führen kann. Die Leute dürfen dort ihren Rasen nicht mehr gießen, alles ist staubig und verdorrt.“

Grundwasser als kostbares Gut, das endlich ist – dieses Bewusstsein hätten die hiesigen Behörden noch nicht, beklagt Winkelmann. „Solche Zustände könnten wir schon in zehn Jahren auch in Deutschland haben.“ Wer jetzt nicht in die Sanierung der Altlasten investiere, müsse in Zukunft Trinkwasser teuer einkaufen. Ein Trend, der jetzt schon in Großstädten beginne, erinnert er. „Politiker wollen immer nur mit ihrem Bild in die Zeitung, denken einzig in Wahlperioden. Und in der Verwaltung gilt die Parole: ‚Nur nicht anecken.‘ Das können wir uns nicht mehr leisten!“

Wiedemanns Pizzabrot ist nun endgültig kalt, weil er den Worten seines christdemokratischen Mitbewerbers ungläubig lauscht. Vielleicht überlegt er auch, ob er noch ein grünes Parteibuch dabei hat, das er Winkelmann unauffällig rüberschieben kann, aber der ist nicht zu stoppen. „Ich erwarte, dass die Bürgermeisterin dem Stadtrat alle neuen Infos zeitnah weitergibt. Ich fordere, dass die Geka personell und hinsichtlich ihrer Kapazitäten aufgerüstet wird. Und ich setze mich in Brüssel dafür ein, für Munster EU-Gelder für Forschung und Sanierung einzuwerben.“

Dass die Schwester des Abgeordneten, Gesine Meißner, für die FDP im EU-Parlament sitzt, ist dabei ein hilfreicher Zufall. „Ich sehe es nicht ein, dass wir im ländlichen Raum Ressourcen oder Raum für Stromtrassen für die prosperierenden Ballungsräume zur Verfügung stellen sollen, und uns dann gesagt wird: ,Die Nachteile, die euch dadurch entstehen, müsst ihr halt abkönnen‘.“

Und dann legt Winkelmann nochmal nach: „Die Katastrophe mit der Ölbohrinsel Deep Water Horizon wurde auch nicht von den Fischern in Louisiana verantwortet, sondern von einer Firma, die maximalen Ertrag und das technisch Machbare vor die Sicherheit gestellt hat.“ Eine Entwicklung, die der Landtagsabgeordnete mit Sorge betrachtet und für seine Heimat verhindern will – zusammen mit all denen, die vor der großen Herausforderung ebenfalls nicht kapitulieren wollen.

Böhme-Zeitung