„Bei der Wurzel packen“

Kathrin Otte hat sich durch das Leben gekämpft. Die 60-jährige Bundestagsdirektkandidatin der Partei Die Linke aus Amelinghausen hat eine schwere Gesundheitsgeschichte am eigenen Leib erfahren. Ihr Vater hat in den 50er- und 60er-Jahren Intensivanbau mit starkem Pestizideinsatz auf seinem Obsthof betrieben. Sie selbst sei aufgrund einer Bleivergiftung an Krebs erkrankt. „Umweltkranke erhalten keine adäquate Behandlung durch unser Gesundheitssystem“, sagt Otte. Sie habe am eigenen Leibe erfahren, wie man eher als psychisch erkrankt eingestuft werde, als dass eine Umwelterkrankung ernsthaft geprüft und therapiert werde.

Politisch sei sie schon immer ein wacher Mensch gewesen, habe viel gelesen. Aber bereits als 14-Jährige seien Symptome einer Bleivergiftung aufgetreten. Anämie, Haarausfall, Erschöpfung - eine Folge der starken Pestizidnutzung in der Landwirtschaft, wie sie sagt. Das Abitur habe sie trotz der Erschöpfungszustände geschafft. Doch schon die anschließende Tischlerlehre sei schwierig gewesen. „Ich hätte mich am liebsten vor Erschöpfung gleich morgens unter die Hobelbank zum Ausruhen gelegt.“

Erkrankung erzwingt Abbruch des Studiums

Nach der Lehre nimmt Otte ein Studium für Politik, Sozialwissenschaften und Geschichte auf, das sie wegen der Krebserkrankung abbrechen muss. Das Lesen fällt ihr schwer, weshalb sie später Sprachwissenschaften, Schwerpunkt Gebärdensprache studiert. Doch Otte muss weiterhin um ihre Gesundheit kämpfen, kann das Studium nicht abschließen. Es gelingt ihr, als Personalberaterin Fuß zu fassen und einen großen deutschen Autokonzern als Kunden an Land zu ziehen, „um etwas Geld zu verdienen und die Therapie bezahlen zu können“, die ihr das Gesundheitssystem verweigert habe.

Eine normale Karriere und Familie war ihr aufgrund der gesundheitlichen Umstände und der fehlenden angemessenen Versorgung nicht möglich. Neben der Arbeit baut sie den Verein Gemeinnütziges Netzwerk für Umweltkranke (Genuk) auf und wird Vorsitzende. „Die Versorgung von Umweltkrannken ist bis heute ein Desaster", nimmt sie zum Gesundheitssystem kein Blatt vor dem Mund.

Sie war an der Aufklärung der Krebsraten im Zusammenhang mit Erdgasförderung im Kreis Rotenburg beteiligt. Eine machbare epidemiologische Fallstudie habe sie wegen des Widerstands der Landesregierung nicht durchsetzen können.

2017 trat Otte der Partei Die Linke bei, gehört seit 2019 dem Landesvorstand an. Sie will Veränderung, und zwar echte Veränderung. „Ich möchte verstehen, wieso täglich eine Milliarde Euro im Gesundheitsmarkt über den Tisch gehen, aber über die Hälfte der Menschen chronisch krank sind“, will sie eine radikale Veränderung.

„Ich bin nicht extremistisch, aber an die Wurzel von Problemen jenseits der Symptomkosmetik muss man gehen.“ Es gehe um die Systemfrage. Die Linke sei gegen Vermarktung aller Lebensbereiche, die Menschen müssten im Leben einer gesunden Wirtschaft stehen. Es gehe nicht um Konkurrenz und Wettbewerb, sondern um die Freude am Produzieren. „Die Linke ist in ihrem Grundansatz total konsistent“, sieht sie sich in der richtigen Partei.

Wenn sie mal nicht Politik macht, geht sie in die Natur, sucht die Gesellschaft von Menschen, „auch wenn das zurzeit nur bedingt möglich ist“. Sie hat immer gerne gelesen, früher Krimis, heute eher Populärwissenschaftliches, um die komplexen Sachverhalte von Natur, Wissenschaft und deren Folgen für Gesellschaft und Politik zu verstehen, erklärt Otte.

KandidatenBernhard Knapstein