Heidekreis will bis 2040 klimaneutral sein

Im Juli 2022 trocknete die Aller im Landkreis Helmstedt gleich über mehrere Kilometer hinweg aus. Laut Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) auch eine Folge der Trockenjahre der jüngeren Vergangenheit. Aktuell zeigen die Wasserstände an den niedersächsischen Pegeln analog zum Niederschlag ab Mai eine kontinuierlich abnehmende Tendenz. Foto: Walter Wimmer/NLWKN

Der Heidekreis will bis 2040 klimaneutral sein. Die Kreisverwaltung selbst hat sich noch ein sportlicheres Ziel gesetzt: 2035 ist dort die Marke. Mit einem Klimaforum wurde nun der Startschuss für das zunächst zu erarbeitende Klimakonzept gegeben. Mit dabei waren Vertreter aus Rathäusern und Kreisverwaltung, Politik, Unternehmen, Stadtwerken, Landwirtschaft, Wohnungswirtschaft und Tourismus. „Es gibt keinen Lebensbereich mehr, der nicht von klimatischen Veränderungen betroffen ist“, erklärte Landrat Jens Grote bei der Auftaktveranstaltung im Hotel Anders in Walsrode. Dabei schlug er den Bogen von neuen Krankheiten über die Landwirtschaft, den Grundwasserhaushalt, die Beregnung bis hin zu den Themen Mobilität, erneuerbare Energien und zum Jugendforum des Heidekreises. Dort hätten ein paar Tage zuvor die jungen Leute deutlich formuliert, dass ihnen der Klimawandel „riesige Sorgen“ bereite. Viele Jugendliche seien erst gar nicht gekommen, weil sie nicht glaubten, dass „wir es ernst meinen“, bedauerte Grote. Im Hinblick darauf erhoffte sich der Landrat zum Auftakt ein deutliches Signal zu setzen, dass der Heidekreis vorangehen wolle. Er warb im Forum um Impulse, aber vor allem im Zuge der weiteren Zusammenarbeit um eine gemeinsame Haltung im Landkreis für die Umsetzung der Klimaneutralität. Zur Erarbeitung hat sich der Heidekreis das Hamelner Unternehmen Target an seine Seite geholt, das Klimaschutzkonzepte für Kommunen wie Celle oder Jena erarbeitet. Geschäftsführer Tobias Timm, der lange Jahre die Klimaschutzagentur des Weserberglands leitete, sprach für den Heidekreis von einem hochambitionierten Unterfangen, das aber umsetzbar sei. Zudem gebe es keine Alternative, wenn man das menschliche Leben auf dem Planeten erhalten wolle. Doch der Heidekreis starte nicht „bei Null“, verwies er auf die bereits geleistete Arbeit der hiesigen Energieagentur. Timm machte keinen Hehl daraus, dass viel Zeit verschenkt worden sei: Die letzten 15 Jahre seien eine Zeit der Willensbekundung gewesen: „Jetzt müssen wir umschwenken zur Dekade der drastischen Umsetzung“, so der Energieexperte. Doch die Einflussmöglichkeiten des Landkreises selbst auf das Ziel seien begrenzt: Etwas weniger als die Hälfte der Möglichkeiten habe man vor Ort in der Hand, der Rest liege bei Bund und Land. Ansatzpunkte zum Handeln im Landkreis sah Timm insbesondere in der Gebäudesanierung, bei der Mobilität und beim Ausbau erneuerbarer Energien. Aber bei Letzterem müsse der Landkreis schon jetzt mit Querschüssen kämpfen, wie Landrat Grote verärgert anmerkte: Sobald man die Planungen für den Ausbau der Windenergie nahezu in trockenen Tüchern wisse, schieße die Bundeswehr quer. Jede zweite Woche sehe sich der Heidekreis einer erneuten Einschränkung gegenüber: „Das ist nicht planvoll gegenüber der Bevölkerung, der Frust wächst.“

„Wir müssen mit den Folgen leben. Bezieht uns deshalb mit ein." Holly Treiber

„Wir müssen mit den Folgen leben. Bezieht uns deshalb mit ein“, forderte Holly Treiber angesichts des Klimawandels von Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Die junge Frau war nicht nur im jüngsten Jugendforum des Heidekreises aktiv, sondern sprach jetzt auch beim Klimaforum in Walsrode. Dort gab es den Startschuss für ein Klimakonzept, das dazu beitragen soll den Landkreis bis 2040 klimaneutral aufzustellen. Dabei haben die Ideen der Jugendlichen Hand und Fuß, sind nicht abgehoben, auch jeder Ältere würde sie wohl unterschreiben: Der zweigleisige Ausbau der Bahnstrecken auf dem Heidekreuz gehört dazu, „damit die Züge öfter fahren, keine Verspätungen entstehen“, so Holly Treiber. Aber auch die klimafreundliche Infrastruktur zählte die Fallingbostelerin auf und wünschte sich insbesondere mehr Fahrradstrecken, mehr Rufbusse und weniger Autoverkehr. Und die Jugendliche forderte Rückmeldungen der Politik darüber, was und wie genau die Forderungen umgesetzt werden sollen. Angesichts des Vortrags von Professor Markus Quante von der Leuphana Universität hätte es von der jungen Frau auch drastische Vorwürfe geben können. Denn Quante hielt nicht hinter dem Berg mit seinen Einschätzungen: „Die Zeit läuft uns davon. Eile ist geboten. Aufschieben macht alles nur schlimmer“, so der Wissenschaftler mit Klimaphysik und Atmosphärenwissenschaften als Fachgebiet. Seit 1824 wisse man vom Treibhauseffekt. Seit der vorindustriellen Zeit sei daher die Temperatur mittlerweile um 1,2 Grad Celsius angestiegen. In den nächsten Jahren werde die 1,5-Grad-Marke erreicht. Wenn nicht noch schneller, so Quante zum El-Nino-Effekt. Eindrücklich wies er mit einer Reihe von Daten und Fakten darauf hin: „Der Klimawandel ist real und er schreitet rasant voran.“ Die Folgen: Hitzewellen, Stürme, Dürren, Überflutungen und Unwetter, die wiederum zu Waldbränden, Krankheiten, Flüchtlingskrisen, oder Missernten führten. Er forderte dringend, mehr zu tun als bisher. Nicht alles hat mit dem Klimawandel zu tun Dabei blickte er auf die Region, beispielsweise auf den Grundwasserstand in der Lüneburger Heide, der abnehme. Nicht alles habe mit dem Klimawandel zu tun, sondern auch mit der Entnahme selbst: „Der Klimawandel führt dazu, dass die Grundwasserstände sich nicht wieder auffüllen.“ Für den Heidekreis könnte der Klimawandel bedeuten, dass mehr Niederschlag zu erwarten seien. Das sei keine Entwarnung angesichts höherer Temperaturen und stärkerer Verdunstung sowie trockenerer Böden, die das Wasser schlecht aufnehmen könnten. Da gebe es noch Unsicherheiten im Klimamodell. „Was aber klar ist, es wird auch im Heidekreis mehr Extremereignisse geben.“ Und die Wasserverfügbarkeit werde auch in Niedersachsen ein größeres Thema, warnte Quante. Zudem müsse Kohlendioxid entnommen werden: „Wir brauchen negative Emissionen“. Das sei durch Aufforstungen oder Wiedervernässung von Mooren zu erreichen, was allerdings auch nicht einfach umsetzbar sei. Wer allerdings technische Lösungen erwartet, den enttäuschte Quante: Verfahren seien weit gedacht, „das Problem ist, die Technik ist nicht verfügbar.“ Angesichts der schleppenden Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen ging der Wissenschaftler von einer Erwärmung um vier Grad aus. Das Zwei-Grad-Ziel von Paris werde nur noch mit „wirklich drastischem Klimaschutz“ erreicht. Daher zähle jedes Zehntelgrad. Dennoch war Quante optimistisch und forderte die Zuhörer auf, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Dass der Heidekreis das nicht tue, erklärte Dr. Theresa Weinsziehr, die die Energieagentur leitet. Sie berichtet von den Aktivitäten, die bereits jetzt auf die Klimaneutralität abzielten. In Sachen Photovoltaik sei man auf dem Weg. 70 Prozent aller Gebäude seien für Photovoltaik geeignet, bis 2040 müssten rund 70 Prozent davon mit solchen Anlagen ausgestattet sein. Freiflächenphotovoltaik ist ein weiteres Thema: Es gebe schon jetzt ein Vielfaches mehr an Potenzialflächen im Heidekreis als benötigt würden. Für die im Süden des Heidekreises geplante Wasserstoff-Pipeline gelte es, entsprechende Projekte anzusiedeln. Als hoch schätzte Weinsziehr das Potenzial und die Notwendigkeit bei der energetischen Sanierung von Häusern ein. Der Beratungsbedarf sei dazu enorm. Zudem gehe es im Heidekreis auch um Nahwärmenetze, um Tiefengeothermie, Quartierskonzepte und ganz aktuell um die kommunale Wämreplanung: Für Mittelzentren werde das im Zuge des entsprechenden Bundesgesetzes Pflicht. Daher habe der Landkreis ein Wärmekataster in Vorbereitung, aus dem sich Strategien und Maßnahmen ableiten ließen. Bis Ende des Jahres soll der Datensatz erarbeitet sein.

Anja Trappe