„Es war schon 2021 klar, dass wir handeln müssen“

Mit den Stimmen der Ampel-Parteien hat der Bundestag am gestrigen Freitag das Gebäudeenergiegesetz auf den Weg gebracht. Dass an der Umsetzung längst gearbeitet wird, erklärt Dr. Theresa Weinsziehr im Gespräch mit der Böhme-Zeitung. Weinsziehr leitet die Energieagentur Heidekreis und hat sehr konkrete Vorstellungen, wie die Energiewende auch in kleinen und mittleren Kommunen gelingen kann. Sie sagt, der Heidekreis ist mit seinen Planungen früher dran als andere Landkreise.

Wenn Sie als Expertin auf die aktuelle Klimaschutzdebatte schauen, wie geht es Ihnen dann?

Dr. Theresa Weinsziehr: Also, ich habe drei kleine Kinder. Das macht mich schon sehr nachdenklich und erfüllt mich mit großer Sorge, dass es so langsam voran geht.

Aber es geht weltweit so langsam.

Natürlich ist das eine globale Aufgabe, aber ohne die lokalen Komponenten geht es nicht. Auf allen Ebenen hat man das Gefühl, es müsste eigentlich viel schneller vorangebracht werden, weil es einfach um so viel geht.

Häufig hört man das Argument, dass wir in Deutschland sowieso wenig voranbringen können. Dann wird auf andere Länder wie China verwiesen, die viel mehr Treibhausgase produzierten, oder auf den Ukraine-Krieg mit seinen schlimmen Umweltauswirkungen.

Dem kann ich überhaupt nicht zustimmen. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens haben die zehn reichsten Prozent der Weltbevölkerung fast 50 Prozent der Emissionen verursacht, die in der Atmosphäre bereits abgelegt sind und in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten das Klima unserer Erde beeinflussen werden. Deutschland trägt, wie auch beispielsweise die USA, Australien und Russland, maßgeblich zu dem globalen Temperaturanstieg bei. Wir sind damit unter den Nationen, die am meisten Treibhausgas emittiert haben und emittieren auch weiterhin auf hohem Niveau. Es ist also auch unsere Verantwortung und Verpflichtung, im globalen Klimaschutz aktiv zu werden. Der zweite Grund ist, dass wir in Deutschland und damit auch hier in der Region eine Vorreiterfunktion haben wollen. Als Wirtschaftsstandort ist der Einsatz und Export von Innovationen Garant für unsere wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit.

Aber andere Staaten wollen ebenfalls den Lebensstil erreichen.

Wir wissen, dass sich die Schwellenländer und die Entwicklungsländer zum Teil an uns orientieren und uns auch gerne kopieren in ihrem Konsumverhalten und im Lebensstil. Und deswegen müssen wir einen Lebensstil erschaffen, der gerne kopiert werden möchte und trotzdem nicht ressourcenintensiv ist. Dass wir gute Ideen erfolgreich exportieren, hat man auch sehr schön in der Entwicklung der globalen Photovoltaik-Industrie gesehen.

Natürlich ist das eine globale Aufgabe, aber ohne die lokalen Komponenten geht es nicht
— Dr. Theresa Weinsziehr

Die ja nicht unbedingt als Aushängeschild gilt, wir haben die Produktion in Deutschland verloren.

In Deutschland wurde durch die guten Rahmenbedingungen, sprich durch das Erneuerbaren-Energien-Gesetz, erst die Entwicklung dieser Technologie ermöglicht. Man hat mit dieser Vergütung den Anreiz geschaffen, in Photovoltaik zu investieren, in die Forschung, in die Produktion und hat damit auch eine schnelle Vergünstigung der Panels erreicht.

Dann war es plötzlich in Deutschland nicht mehr wirtschaftlich.

China hat die Produktion übernommen, aber das ist ja kein Argument gegen die Technologie sondern eher ein Zeichen dafür, dass auch eine richtige Wirtschaftspolitik Schritt halten muss, um den Standort attraktiv für Investitionen zu halten. Natürlich ist schade für Deutschland, dass wir den Standort verloren haben. Aber global gesehen kann man das sehr positiv verbuchen. Wir haben diese Umwelttechnologie für die Welt an den Start gebracht. Und sie generiert noch immer eine Wertschöpfung auch hier vor Ort. Inzwischen gibt es ja Pläne, die Produktion zurück nach Niedersachsen zu holen. Sehen Sie sich darüber hinaus die deutschen Standorte der Offshore-Windindustrie sowie die aufkommende Wasserstoffwirtschaft an. Insgesamt kann und muss man, finde ich, das Thema global denken. Man muss sich als Teil eines globalen Teams für den Erhalt eines menschenfreundlichen Klimasystems sehen.

Doch schaut man auf Deutschland...

Aber auch aus der nationalen Perspektive ergibt es Sinn: Wenn wir uns zum Thema Umwelttechnologien und Umweltingenieurwesen ein Standbein aufbauen, dann wird das nachhaltig und gut für den Wirtschaftsstandort Deutschland sein.

Aber noch einmal: Wir haben in die Technologie investiert und die Wertschöpfung liegt dennoch woanders?

Nochmal, die Technologie kann nichts für die Produktionsbedingungen in einem bestimmten Land. Photovoltaik ist eine ziemlich simple Technologie. Es ist doch gut, wenn das Einfache jemand anders übernimmt und wir uns weiter den komplizierteren Themen wie Wasserstofftechnologien oder den Fragestellungen, wie man eine sektorübergreifende Energiesystemtransformation hinbekommt, widmen können.

Wo sehen Sie in Sachen Klimaschutz den Landkreis, was wurde bislang erreicht?

Mit der Energieagentur hat sich der Landkreis gut für die Themen des Klimaschutzes aufgestellt. Die Energieagentur kann viele Dinge, die erledigt werden müssen, anschieben. Logischerweise geht das nur in Teamarbeit mit anderen Akteuren, wie den Kommunen, mit denen wir in sehr engem Austausch sehr gut zusammenarbeiten. Derzeit überarbeitet der Landkreis sein Klimaschutzkonzept.

Warum?

Im Klimaschutzkonzept soll aufgezeigt werden, wie der Landkreis und die Kreisverwaltung innerhalb relativ kurzer Zeit klimaneutral werden können.

Wer ist an dem Prozess beteiligt?

Der Landkreis mit Verwaltung und Politik, die Energieagentur und das Fachbüro als Dienstleister, um zunächst den Rahmen festzulegen und einen groben Überblick zu schaffen. Und dann müssen wir uns, außerhalb des Konzeptes, einzelnen Arbeitspaketen widmen, der Wärmewende, der Stromwende, der Verkehrswende. Am Ende ist alles sehr, sehr kleinteilig.

Es ist nötig, zunächst Investitionssicherheit herzustellen
— Dr. Theresa Weinsziehr

Mit Blick auf die Herausforderungen, hat es eine ländliche Region beispielsweise hinsichtlich eines Wärmenetzes schwerer als eine Großstadt? Oder anders, ist es einfacher, im Heidekreis klimaneutral zu leben?

Wenn es um das klimaneutrale Leben geht, glaube ich, dass das hier schwieriger wird. Man hat lange Wege, wir sind alle aufs Auto angewiesen. Es gibt keine Alternative, außer man wohnt und arbeitet im selben Ort und kann mit dem Fahrrad fahren. Auch der Zug nach Hannover oder Hamburg kann genutzt werden, aber zur Zeit ja leider recht unzuverlässig.

Mobilität ist also ein großes Thema, um bis 2035 klimaneu- tral zu werden. Welche Herausforderungen gibt es noch?

Wohnen natürlich. Es gibt im Heidekreis tendenziell eher frei stehende Gebäude, die viele Außenwände haben und damit auch einen höheren Wärmeverlust als in der Stadt. Dort sind die Wohnungen häufig schon warm, weil andere mitheizen. Die kompakte Bauweise führt zu weniger Energieverlusten.

Gibt es auch Vorteile für den ländlichen Raum?

Im Bereich Energieerzeugung haben wir wohl die Nase vorn. Viele Menschen haben hier viele Dächer zur Verfügung und könnten Photovoltaikanlagen nutzen oder kleinere Balkonkraftwerke. Gerade die Balkonkraftwerke sind nicht so kostenintensiv und einfach zu installieren, eine schöne Möglichkeit, selbst einen ersten Schritt zu gehen. Und denken Sie an die Chancen, die in der Nutzung der Abwärme beispielsweise von Biogasanlagen liegt.

Die Stadtwerke der Region können rechnerisch durch die Biogasanlagen bereits 100 Prozent Strom aus regenerativen Energien liefern. Aber eben nicht über das gesamte Jahr.

Man muss sehen, dass der ländliche Raum für die Städte mitproduzieren muss. Wir müssen hier im Heidekreis auf deutlich mehr als 100 Prozent kommen, weil wir die Ballungsräume mit Strom aus erneuerbaren Energien mitversorgen müssen. Dem globalen Klima ist das egal, und ob das regional gerecht ist, mag jeder für sich entscheiden – ebenso, ob es einen Ausgleich für die Belastungen geben sollte. Auch dieses Thema muss man europäisch denken, wir haben ein europäisches Stromnetz. Der Strom flitzt durch die Gegend und wird dort effizient eingesetzt, wo es sinnvoll ist. Dazu gehören auch die Pumpspeicherkraftwerke in Norwegen. Das ist der Vorteil der Vernetzung. Voraussetzung sind funktionierende Netze, also muss beim Netzausbau noch viel passieren.

Ein großes Thema ist die Wärmewende. Das sogenannte Heizungsgesetz, Gebäude-Energien-Gesetz GEG, ist dazu nun verabschiedet worden. Schon im Vorfeld hat es für riesige Aufregung gesorgt, viele Hauseigentümer haben kurzfristig die alte, günstigere Gasheizung ausgetauscht. Viele waren frustriert, dass sie verpflichtet werden sollen, teure Systeme zu kaufen, die nicht unbedingt für Altbauten ausreichend sind. Können Sie das nachvollziehen?

Ja natürlich. Man hat als Verbraucher das Gefühl, durch das Gesetz gegängelt zu werden. Ich sehe da klar Versäumnisse in der Kommunikation, aber auch bei vergangenen Regierungen. Es wurde zu lange nichts gemacht und jetzt muss alles ganz schnell gehen. Das nervt die Bürger und tut auch manchmal weh. Auch für unsere Arbeit ist das eine enorme Herausforderung, weil sehr viele Dinge gleichzeitig passieren. Es kommen ständig neue Förderprogramme, neue Gesetze, es wird alles novelliert. Das fordert alle Beteiligten. Und Sie wissen ja, dass der Überbringer schlechter Nachrichten, und sei es „nur“ wegen der Mehrarbeit, manchmal auch für deren Inhalt verantwortlich gemacht wird. Aber eine Gasheizung einzubauen, halte ich in vielen Fällen trotzdem für keine gute Idee. Es muss unbedingt mitgedacht werden, dass die Gaspreise in den nächsten 20 Jahren stark ansteigen werden. Schon allein wegen der CO2-Preise. Diese Betriebskosten sollten bei der Wirtschaftlichkeitsrechnung unbedingt realistisch abgebildet werden.

Sollte man sich mehr Zeit nehmen?

Es gibt die Notwendigkeit des Klimaschutzes, der muss maßgeblich in den kommenden zehn Jahren passieren oder wir werden uns in einer Welt wiederfinden, in der wir nicht leben wollten. Seit dem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Romes von 1973 weiß die Weltöffentlichkeit, dass das Wachstum Grenzen hat und etwas im Argen liegt. Seitdem ist lange nicht genug passiert, das Dilemma wurde nicht ernst genommen. Das baden wir jetzt alle aus. Alle Hauseigentümer, und alle, die damit professionell zu tun haben, sei es in den Stadtverwaltungen, in den Stadtwerken oder die Handwerksunternehmen. Und dann kommt Corona und die Ukraine-Krise mit hohen Energiekosten dazu.

Ein hohes Frustpotenzial?

Auf jeden Fall. Zumal, wenn es ans eigene Portemonnaie geht. Es ist diese eine Generation, die diese Transformation nun schultern muss. Und das ist nicht angemessen. Aber in Sachen Wärmewende ist man wieder einen Schritt zurückgegangen und hat das Vorhaben entschärft, es gibt im gerade beschlossenen GEG ja zahlreiche Ausnahmen und Sonderregelungen.

Ist das in Ordnung?

Für mich war das enttäuschend. Aber ich kann verstehen, dass der gesellschaftliche Druck da ist. Es war ein Abwägen zwischen „was kann man den Leuten zumuten“ und „wie kann man die Zukunft die Kinder und Enkelkinder sichern“.

Jetzt geht es bei der Energieagentur bereits um die Umsetzung der Wärmewende, auch wenn noch nicht alle Parameter in Gesetzesform gegossen sind.

Genau, konkret geht es um zwei Gesetze. Einmal das GEG. Außerdem das Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung. Beide werden miteinander verschnitten. Es wird gesagt, dass GEG zieht nur, wenn die Kommune eine Wärmeplanung bereits vorgelegt hat. Liegt keine Wämeplanung vor, zieht das GEG nicht. Das ist sinnvoll, verzögert den Prozess aber.

Warum?

Man muss sich das so vorstellen: Ich will zum Beispiel in Bad Fallingbostel ein Haus sanieren und überlege, eine Wärmepumpe einzubauen, die 20 Jahre und länger laufen soll. Auf der anderen Seite weiß ich aber nicht, ob es dort in fünf oder zehn Jahren nicht einen Anschluss- und Benutzungszwang für ein Nahwärmenetz geben wird. Dann habe ich also umsonst investiert. Es ist nötig, zunächst Investitionssicherheit herzustellen, also im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung genau zu überlegen, welche Gebiete ein Nahwärmenetz bekommen sollen. Die Hausbesitzer sollen sich ein genaues Bild davon machen können, was in der Zukunft geplant ist. Und dann kann die Investitionsentscheidung gelingen.

Das ist jetzt Ihr Thema oder das der Kommunen?

Die kommunale Wärmeplanung ist schon über das Landesgesetz Pflicht für die Mittelzentren im Heidekreis. Das Bundesgesetz sieht eine Verpflichtung aller Kommunen vor. Kleinere Kommunen sollen dafür mehr Zeit bekommen.

Wo kommen Sie mit der Energieagentur da ins Spiel?

Die kommunale Wärmeplanung umfasst vier Schritte: Bestandsanalyse, Potenzialanalyse, Szenarienentwicklung und Maßnahmenpakete. Die Energieagentur Heidekreis stellt, im Auftrag des Landkreises, den Kommunen die ersten beiden Schritte der Wärmeplanung zur Verfügung. Wir erarbeiten mit einem fachkundigen Dienstleister also die Darstellung des Ist-Standes und die Potenzialanalyse. Im Ergebnis steht eine interaktive Karte, die den jeweiligen Planungsabteilungen der Kommunen zur Verfügung gestellt wird. Diese entwickeln dann auf der Grundlage der bereitgestellten Informationen Szenarien und Maßnahmen – sei es allein, mit ihrem Energieversorgungsunternehmen, mit extern Dienstleistern oder einer Mischung aus allem. Die Kommunen haben in jedem Fall dabei den Hut auf.

Wo bekommen Sie diese Daten her?

Die Daten wurden teilweise von einem Dienstleister, IP Syscon, landesweit erhoben. Das wurde über die Klimaschutz- und Energieagentur Niedersachsen gesteuert. So wurden für den Wärmebedarf beispielsweise Standardverbrauchswerte ermittelt, also der theoretische Wärmebedarf für entsprechende Wohngebäude. Das ist natürlich abhängig vom persönlichen Nutzerverhalten, ob die Bewohner viel zu Hause sind oder nicht, manche brauchen es warm, andere nicht. Aber im Durchschnitt stimmen die Standarddaten und sie reichen zunächst für die kommunale Wärmeplanung aus. Es ist ja sowieso eine Planung aus Vogelperspektive, sozusagen mit zusammengekniffenen Augen. Anschließend folgt die Detailplanung für die jeweiligen Quartiere und schließlich die Projektentwicklung. Das ist dann aber nicht mehr Teil der kommunalen Wärmeplanung.

Was kommt noch hinzu?

Erst muss also klar sein, wo ich wieviel Wärmeenergie benötige. Man spricht hier auch von Wärmesenken. Sind die bekannt, geht es weiter mit der Potenzialanalyse. Hier trägt man alle möglichen Wärmequellen auf der Karte ein. Beispielsweise Potenziale zur Nutzung von industrieller Abwärme. Nehmen wir das Beispiel: Abwärme aus industrieller Produktion von einer Bäckerei. Möglicherweise verpufft sie derzeit noch, könnte aber zur Wärmebereitstellung genutzt werden. Auch aufgezeigt werden Flüsse, aus denen man mit einer Wasserwärmepumpe Energie ziehen könnte. Insgesamt wird das Geothermie-Potenzial für oberflächennahe, mitteltiefe und tiefgehende Geothermie abgetragen. Das sind alles Informationen, die in die Energie-Karte der Kommune eingetragen werden. So erhält man Informationen, wo Wärme gebraucht wird und woher sie kommen könnte. Dazu gehört zudem das vorhandene Leitungsnetz, wo gibt es bereits Fernwärme – wo liegen Stromleitungen? Diese Informationen sammeln wir mithilfe wiederum eines Dienstleisters für den ganzen Landkreis. Wir schauen selber also gar nicht in die Daten, das dürfen wir aus Datenschutzgründen auch nicht. Die Daten liegen bei den Kommunen. Aber wir kümmern uns darum, dass die Daten zusammenkommen.

Und das soll bis Ende des Jahres geschafft sein?

Es wird eher das zweite Quartal 2024. Wir benötigen dafür auch noch die gesetzliche Grundlage, welche die Datenverfügbarkeit absichert. Gerade bei großen Unternehmen sind Informationen zur Abwärme oft Firmengeheimnisse, weil der Verbrauch Rückschlüsse auf die Produktion zulassen kann. Wir sind sehr früh dran mit unserer Planung, früher als andere Kommunen. Das ist gut, die nötigen Ingenieurbüros sind rar.

Wie kommt es, dass der Heidekreis besser aufgestellt sein sollte?

Also ich habe an der Universität Leipzig zu dem Thema schon vor einigen Jahren gearbeitet. Da haben wir uns in einem Forschungsprojekt mit der kommunalen Wärmewende befasst. Deswegen war mir schon Ende 2021, als es hieß, dass die Wärmeplanung verpflichtend wird, klar, dass wir handeln müssen. Das spielt uns jetzt gut in die Karten. Und der Landkreis hat auch den Ehrgeiz, möglichst vor der Lage zu sein.

Dennoch geht nichts ohne die Kommunen?

Wir sind im sehr engen Austausch mit den Stadtverwaltungen, unter anderem jetzt zu der Vergabe des Wärmekatasters. Und wir haben uns mit den jeweils Verantwortlichen in den Kommunen abgestimmt, sie werden regelmäßig informiert. Wir müssen viel kommunizieren, es sind viele Akteure, die bei der Wärmeplanung gefragt sind und mitgenommen werden müssen. Es ist unsere Aufgabe, die Plattform zur Kommunikation, zum Austausch, zum Netzwerk zu schaffen, damit möglichst tiefes Wissen weitergegeben wird.

Wie konkret wird die Wärmeplanung am Ende?

Nach der Ist- und der Potenzialanalyse erhalten die Kommunen den Datensatz, der eine große Werkzeugpalette enthält, mit der alle möglichen denkbaren Szenarien in einzelnen Quartieren durchgespielt werden können. So sollen die jeweiligen Maßnahmen identifiziert werden, laut niedersächsischem Gesetz sollen es fünf Maßnahmen je Kommune sein, die umgesetzt werden sollen. Also das wird schon ganz konkret.

Leute, überlegt euch das, ob ihr bei diesen Brennstoffen bleiben wollt – denn das ist schlecht für euch
— Dr. Theresa Weinsziehr

Was kann ich darunter verstehen?

Mit dem Datensatz können die Kommunen mithilfe von fachkundigen Dienstleistern oder eben den Stadtwerken überlegen, was umsetzbar ist, wie der Wärmeplan aussehen soll. Der Energieagentur geht es darum, dabei zu unterstützen. Dafür soll ein Netzwerk zur kommunalen Wärmeplanung aufgebaut werden mit einem Mitarbeiter bei der Energieagentur als zentralem Ansprechparter für die Kommunen des Heidekreises. Ähnliches gibt es bereits im Bereich der kommunalen Liegenschaften: das kommunale Energieeffizienz-Netzwerk, das KEEN, bei dem es um das Thema Energiemanagement geht. In diesem Kontext treffen wir uns alle drei Monate, um genauer auf kommunale Gebäude wie Schulen, Kindergärten oder Rathäuser zu schauen, mit dem Ziel, sie effizient zu bewirtschaften. Und wir helfen den Kommunen dabei, die ab diesem Jahr verpflichtenden Energieberichte zu erstellen.

Das klingt jetzt aber trotzdem am Ende so, als würde den Bürgern etwas übergestülpt. Ist das so?

Wir sind wieder bei Thema Wärme – also laut Gesetz gibt es Übergangsfristen. Und es geht wirklich um die 30 Jahre alte Ölheizung. Und ich denke mal, da ist jedem klar, dass sie ausgetauscht werden muss, allein aus technischer Perspektive. Aber noch einmal die Fakten zum Gebäudeenergiegesetz GEG: funktionierende Heizungen in Bestandsgebäuden müssen nicht ausgetauscht werden, es gibt Übergangsfristen und Ausnahmen für Härtefälle, ältere Hausbesitzer und solche mit weniger Geld werden besonders berücksichtigt, der Einbau einer neuen Heizung wird mit bis zu 70 Prozent gefördert und neue Heizungen im Bestand müssen dann zu 65 Prozent auf erneuerbaren Energien basieren, wenn eine kommunale Wärmeplanung vorliegt.

Aber wenn die Heizung funktioniert?

Wie eben schon gesagt, muss sie nicht ausgetauscht werden. Aber die Politik hat nicht nur die Aufgabe, die Zukunft für Kinder und Enkelkinder zu sichern, sondern auch die Menschen vor den hohen Energiepreisen zu schützen.

Was meinen Sie damit genau?

Mit der zunehmenden CO2-Besteuerung, und die ist nicht auf Deutschland beschränkt, werden die fossilen Brennstoffe in Zukunft deutlich teurer. Daher muss das Signal ausgesendet werden: Leute, überlegt euch das, ob ihr bei diesen Brennstoffen bleiben wollt – denn das ist schlecht für euch. Im Rahmen der Energiekrise wurde zwar der Regenschirm aufgespannt, um die teuren Gaspreise abzufedern, damit es keine Unruhen gibt. Aber darauf kann man sich nicht verlassen. Daher ist es Aufgabe der Bundesregierung, den mündigen Verbraucher zu schützen, deutlich zu machen, dass man sich auch selbst von hohen Gaspreisen und einer starken Abhängigkeit von wenigen Zulieferern schützen kann.

Deshalb ist es jetzt wichtig, die Maßnahmen in Gesetzesform zu gießen?

Deswegen finde ich, ist man in der Politik in der Pflicht, die Verbraucher darauf vorzubereiten und lenkend einzugreifen. Wann werden die Maßnahmen bei den Verbrauchern ankommen? Die Wärmepläne müssen in Mittelzentren bis 31. Dezember 2026 verpflichtend vorliegen, sprich in Walsrode, Soltau und Munster. Für die restlichen Kommunen gilt es, spätestens zum 30. Juni 2028 einen Wärmeplan vorzulegen. Ich gehe aber davon aus, dass wir ein bisschen schneller sind. Also ich hoffe es, das Thema muss dann auch noch durch die politischen Gremien.

Gibt es im Moment viele Anfragen von Bürgern bei Ihnen, welche Heizung man einbauen soll?

Es gibt einen hohen Beratungsbedarf. Aber mit der GEG-Diskussion ist dieser nicht gestiegen. Wir müssen angesichts einer breiten Verunsicherung und der aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen jetzt eher aktiv für manche Angebote werben, weil sie nicht ausgelastet sind.

In welchem Bereich kann die Energieagentur und kann der Landkreis noch handeln?

Beim Ausbau von Windenergie und Photovoltaik. Bei Wind liegt die Zuständigkeit klar beim Landkreis. Mit dem Solarkataster gibt es ein gutes Informationsangebot, zudem die monatliche Online-Sprechstunde bei uns.

Gerade bei Photovoltaik gibt es noch Reserven?

Da muss viel mehr gebaut werden. Als Energieagentur überlegen wir, uns noch stärker einzubringen. Aber Photovoltaik ist gerade mit den Steckersolaranlagen niederschwellig und keine so große Investition und eher simpel. Im Gegensatz zu einer energetischen Sanierung, die sehr kompliziert ist.

Auch dazu berät die Energieagentur die Bürger?

Da haben wir zwei Beratungsangebote, einmal haben wir die stationären Beratungen in Bispingen von Herrn Kamradt, in Schwarmstedt von Herrn Hahn und in Walsrode von Herrn Precht, die regelmäßig vor Ort 45 Minuten kostenfrei beraten. Das sind sehr erfahrene Architekten und Bauingenieure. Es gibt die Solarsprechstunde, jeden letzten Mittwoch im Monat online, und Veranstaltungen, wie zum Beispiel der große Wärmepumpenabend in Soltau am 10. Oktober.

Werden ihre Angebote gut angenommen?

Sie werden sehr gut angenommen. Und dann gibt es noch niederschwelliger ein neues Beratungsangebot, es wurde vom Land Niedersachsen ins Leben gerufen und erfolgt über Schornsteinfeger mit einer Energiezusatzausbildung oder durch Energieberater. Auch das ist kostenfrei. Da kommt jemand nach Hause, geht durch das Gebäude, schaut sich die Heizung an und benennt erste Baustellen, wo etwas verändert werden könnte. Themen sind Dach, die oberste Geschossdecke, die Kellerdecken, Dämmung, Fenster oder Fassade – und dann noch das Heizungssystem als Wärmelieferant. Dazu bekommt man bei dem Gespräch eine erste, aber kompetente Einschätzung.

Wissen Sie, wie viele Gebäude das im Heidekreis betreffen könnte?

Wir wissen das im Groben aus den Ergebnissen des Zensus 2011. Da sieht man, dass 64 Prozent der Gebäude vor der ersten Wärmeschutzverordnung gebaut worden sind. Das gibt zwar keinen Überblick über den jeweiligen Sanierungsstand, doch klar ist, dass es bei diesen Häusern noch keine Wärmeschutzverordnung gab. Vor allem die Nachkriegsbauten sind oft energetisch besonders schlecht aufgestellt. Im Großen und Ganzen ist ein Großteil der Gebäude im Heidekreis daher tendenziell eher schlecht isoliert. Da muss energetisch zunächst viel passieren, bevor man eine Wärmepumpe einbauen kann. Wahrscheinlich werden die Energiepreise die Menschen zwingen, dann tätig zu werden. Möglicherweise gibt es auch Fördermittel.

Was raten Sie den Menschen, die vor dem nächsten Winter über eine neue Heizung nachdenken?

Wichtig ist, sich zu informieren, bei einem Energieberater oder einem anderen Fachmann. Eine Energieberatung wird vom Bund ja mit 80 Prozent gefördert. Zum Beispiel kann man sich von einem Energieberater einen Sanierungsfahrplan erstellen lassen, in dem die anstehenden Investitionen aufgezeigt werden. Wichtig ist, kompetente und verschieden Quellen zu konsultieren. Der Handwerker des Vertrauens, die Verbraucherzentrale, die Energieberater der Region, die lokalen Stadtwerke und nicht zuletzt die Energieagentur Heidekreis sind dabei zu nennen. Man sollte sich ganz offen eine eigene Meinung bilden, Argumente abwägen und insbesondere an die Zukunft, an die nächsten 20 Jahre denken. Dann ist eine Gasheizung vielleicht doch nicht die nachhaltigste Lösung – auch finanziell gesehen.

Anja Trappe