Herr Lee erklärt die Welt

Kandidat der Freien Wähler: Anthony-Robert Lee bei seinem Auftritt in Delmsen. Foto: dh

Ein Landwirt aus Niedersachsen nach Brüssel? Anthony-Robert Lee, Stadtrat in Rinteln an der Weser und Sprecher des „Land schafft Verbindung Deutschland“ (LSV), will für die Freien Wähler ins Europaparlament. Zu diesem Anlass spricht er vergangene Woche in Delmsen vor rund 100 Anwesenden im Landgasthaus Leverenz.

Das Publikum mittleren Alters in leichter männlicher Überzahl besteht zu knapp einem Drittel aus Landwirten. Lee, ebenfalls Bauer, bewirtschaftet nach einer Kfz-Mechaniker-Lehre und Stationen bei der Bundeswehr und Polizei den elterlichen Betrieb seiner Frau. Volkstümlich gibt sich der 48-Jährige in Neuenkirchen. Einleitend in seinen Vortrag krempelt er seine Ärmel hoch, offenbar bereit, mit der politischen Großwetterlage aufzuräumen. Jeder Silbe seines Duktus ist anzumerken, dass er jene Menschen bedienen will, die sich nicht von Politik und Zeitgeist nicht mitgenommen oder gar abgehängt fühlen.

Während der Landwirtschaftslobbyist in Vergangenheit schon den Ursprung seines „Klartextredens“ auf die Waffen-SS-Offizier-Vergangenheit seines Großvaters zurückführte, die menschliche Verantwortung für den Klimawandel infrage stellte oder durchaus streitbare Personen wie Viktor Orbán mit Lobpreisungen versah, gibt sich Lee an diesem Abend eingangs ziemlich gemäßigt. Vorsichtig tastet er sich an das Stimmungsbild im Saal heran, heimst mitunter Gelächter und Applaus ein, wenn er Polit-Kontrahenten polemisierend als unfähig und grenzdebil darstellt. Für ihn ist klar: „Du könntest die Regierung mit jedem x-Beliebigen von der Straße austauschen.“

Alles Wahnsinn, alles Irrsinn

Bioprodukte, Ukraine, Fleischkonsum, Glyphosat, Energiepolitik, Linksextremismus: Es ist ein populistischer Schnelldurchlauf durch gesellschaftspolitische Themen. Im Minutentakt springt Lee durch die Punkte seiner Präsentation hin und her. Allenthalben beobachte er, wie mit „grünen Untergangsszenarien Ideologien durchgedrückt“ würden, während er selbst davon spricht, dass „hier alles den Bach runtergeht“.

Der unter der CDU-Regierung beschlossene Atom-Ausstieg? Grüne Ideologie. Glyphosat, ein gesundheitsschädlicher Pflanzenschutz? Grüne Ideologie. Zu hohe Nitratwerte im Grundwasser? Grüne Ideologie. „Das ist doch Wahnsinn, das ist irre“, schiebt der LSV-Sprecher immer wieder durch den Abend in seine Ausführungen ein. Der 48-Jährige gibt an, für eine ideologiefreie Politik stehen zu wollen. Mitunter wirkt es, als sei seine Ideologie das Dagegen. Wo der Konservativismus am Hergebrachten festhalten will, sehnt sich Lee nach einer Zeit der Selbstversorgung. Entgegen seiner Forderung, visionär und zukunftsträchtig zu denken, bestehen seine Ansätze größtenteils aus der Forderung nach einem Zurück.

Einfache Lösungen auf komplexe Sachverhalte

Zwar will der Landwirt politische Entscheidungen mithilfe der Wissenschaft unterfüttert wissen, doch in seiner Argumentation bedient sich der Rintelner einfachen Erklärungen auf komplexe Fragen. Immer wieder reißt Lee Statistiken aus dem Zusammenhang, wobei er Korrelation und Kausalität durcheinanderbringt. Teilweise halten seine Behauptungen einer einfachen Recherche nicht stand. Zahlen sind falsch, widerlegt und schlicht nicht aufzufinden.

So will er beispielsweise den von der WHO als krebserregend eingestuften Konsum roten Fleisches mit einer höheren Lebenserwartung in Spanien entkräften. Bei einem angeblich höheren Pro-Kopf-Verzehr würden die Südeuropäer trotzdem älter werden. Ein zumindest fragwürdiger Zusammenhang. Spätestens als klar wird, dass Lee Fleischverbrauch und Fleischverzehr verwechselt (beim Fleischverzehr liegt Deutschland vorne), gerät die Behauptung vollends ins Wanken. Den Trend einer rückläufigen Fleischproduktion in Deutschland meint der Landwirt mit höheren Fleischimporten ad absurdum führen zu können. Doch auch hier weisen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und Statistisches Bundesamt konträr zur Behauptung abnehmende Zahlen aus.

Psychologen nennen diese Art der Argumentation „Confirmation Bias“ – Bestätigungsfehler. Thesen werden lediglich mit Studien und Daten belegt, die mit der eigenen Überzeugung übereinstimmen. Aus dem Kontext gerissen und generalisierend, verwebt Lee sie mit seiner eigenen Deutung. „Sie können mir Populismus vorwerfen, aber ich erzähle hier die Wahrheit“, beteuert er mehrfach. Demgemäß müssen prominente „Ex-Veganer wie Fußballer Leroy Sané“ (wahrscheinlich ist Serge Gnabry gemeint) dafür herhalten, um zu beweisen, dass der Lebensstil innerhalb der Bevölkerung nicht gewünscht wäre. Dass die Zahl deutscher Fleischverzichtender inzwischen auf knapp 10 Millionen angestiegen ist, lässt er mithin unter den Tisch fallen. „Jeder soll grundsätzlich das essen, was er möchte“, schließt er auf seinen Anti-Vegan-Monolog. Applaus aus dem Publikum.

Dazu wirkt der Landwirt in anderen Bereichen schlicht nicht sattelfest. „Die Inflation ist niedrig, aber die Preise sind noch immer hoch, das ist doch komisch“, gibt sich Lee süffisant. Allerdings gibt die Inflation nur die Teuerungsrate zum Vorjahres-Monat an und wird nicht am generellen Preisniveau gemessen. Ebenso skurril: Den „Green New Deal“ lehnt er kategorisch ab, obwohl er zugibt, ihn teilweise gar nicht zu verstehen. Seine Kritik an Discountern, unter deren Billigprodukten Landwirte in erster Linie leiden, indem sie die Marktlage kleiner Betriebe ausnutzen, bezieht sich dagegen nur auf irreführende Herkunfts- und Tierwohllabel und eine damit einhergehende Doppelmoral. „Wir haben Probleme im Land ohne Ende, aber wir schaffen es nicht, die richtigen Prioritäten zu setzen“, will Lee erkannt haben, während er sich dann übers Gendern und Menschen auslässt, die sich mehreren Geschlechtern zugehörig fühlen und ihnen einen Psychologen-Besuch ans Herz legt.

Doch was folgt aus all der Kritik, fragt ein Zuhörer im Anschluss an den Vortrag. „Indem wir nur rumschreien und rummeckern“, erklärt Lee, „werden wir nichts verändern.“ Man könne sich darauf verlassen, dass er stets für seine Überzeugungen eintreten werde. Konkrete inhaltliche Punkte seien im Parteiprogramm nachzulesen.

Daniel Herzig