Wie eine dicke Erbsensuppe – nur nicht so lecker

Ausgebrannte Metallreste von alter Munition aus dem Zweiten Weltkrieg. Sie lagern auf dem Gelän- de der Geka.

Professor Holger Weiß, Leiter der Abteilung Grundwassersanierung beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig (UFZ), ist einer der wenigen Wissenschaftler in Deutschland, die sich heute noch mit Rüstungsaltlasten beschäftigen. „Der Dethlinger Teich – das ist irgendwas zwischen ,urban legend‘ und hässlicher Wahrheit“, sagt Weiß. 2011 und 2012 hat er zusammen mit seiner Forschungsgruppe Grundwasserproben am Teich genommen und dafür 22 neue Messstellen bohren lassen.

Weiß interessiert, wie es mit der giftigen Altlast weitergehen kann: bergen oder eindämmen? „Die Giftstoffe aus dem Boden zu bergen, halte ich für technisch möglich“, sagt Weiß. „Dafür ist es allerdings wichtig, genauer zu wissen, was sich alles im Teich befindet.“ Die Forscher brauchen Bodenproben. Mit einem Bagger sollen zunächst Erde und Betonbrocken über den C-Waffen-Altlasten entfernt und dann, an verschiedenen Stellen, Teile des Giftgemisches abgeschürft werden. „In dem Teich vermuten wir eine Art Schlamm“, sagt Weiß. „Wie eine dicke Erbsensuppe – nur nicht so lecker.“ Zuvor wollen die Forscher prüfen, ob das Grundwasser tatsächlich, wie sie vermuten, durch den in Kieselgur eingeschlossenen Teich herumläuft. Dazu wollen sie in den Grundwasserleiter eine farbige Flüssigkeit einbringen und überwachen, an welcher Stelle sie wieder austritt.

Mit diesen Ergebnissen kann das UFZ dann eine Empfehlung geben, ob der Teich ausgehoben oder mit einer Art Sarkophag ummantelt werden sollte. Das Projekt der Leipziger Forscher soll allerdings frühestens 2016 weitergehen, teilt der Heidekreis mit. Erst dann stünden Fördermittel des Landes dafür bereit. „Mit dem Dethlinger Teich ist es wie mit einem inoperablen Tumor. Da kriegen Sie zwar eine Chemotherapie, aber er bleibt trotzdem im Kopf“, vergleicht Weiß. „Allerdings ist es wichtig, den Tumor zu überwachen. Und so sollte es auch beim Dethlinger Teich sein.“

Doch diese Überwachung findet nicht statt. Stattdessen soll die Altlast bis 2016 sich selbst überlassen werden. Was sagt die Stadtverwaltung Munster dazu? „Wir sind erst durch Ihre Recherchen darauf aufmerksam geworden“, sagt Bürgermeisterin Christina Fleckenstein (SPD). Sie ist seit November im Amt und hat in Lokalund Kreispolitik jahrzehntelange Erfahrung: Fleckenstein ist seit 1996 Ratsmitglied der Stadt, arbeitete 30 Jahre lang bei der Kreisverwaltung und führte bis zu ihrem Amtsantritt die Munsteraner SPD.

Mit den Altlasten hatte sie bislang kaum zu tun: „Da stehen viele Ordner in der Stadtverwaltung“, sagt Fleckenstein, „aber ich kann mich nicht erinnern, dass es zu meiner Zeit mal Thema im Stadtrat war.“ Auch im Wahlkampf nicht: Zu ihren Zielen zählt, das Ehrenamt zu stärken, Bürgerbeteiligung auszubauen und eine gute Chefin zu sein. Von der Arsen-Belastung des Grundwassers ist keine Rede. „Das ist für mich kein Thema, weil ich keine Sorgen schüren möchte“, sagt die Bürgermeisterin. Außerdem habe die Stadt ohne das benötigte Geld und Personal „sowieso keine Handlungsmöglichkeiten“.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil hat in seiner Zeit in Berlin viel gelernt. Zum Beispiel, dass Politik oft so funktioniert: Da, wo geschrien wird, wird auch etwas gemacht. Aus Munster hören sie in Berlin keine Schreie. Klingbeil ist eng mit Munster verbunden: Er wohnt dort mit seiner Familie, ist Mitglied des Stadtrats und des Kreistags, außerdem Unterbezirksvorsitzender seiner Partei.

Die Bürger seines Wahlkreises kommen immer wieder auf ihn zu mit ihren Anliegen: Es geht um Lärmschutz oder Fracking. Doch in seinen fünfeinhalb Jahren im Bundestag hat ihn noch nie jemand auf die Altlasten angesprochen. „Ich ertappe mich dabei, mich zu fragen, warum das Thema in Munster nicht so groß ist“, sagt Klingbeil. „Vielleicht haben die Bürger keine Ahnung, wie viel da liegt?“

Blindgänger suchen

Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, sich damit zu beschäftigen: Das Sanierungskonzept für den Truppenübungsplatz Munster-Nord soll überarbeitet werden. Das Konzept sieht vor, 45 Flächen, mehr als 870 Hektar, bis zum Jahr 2017 zu sanieren. Das ist bislang bei gerade 4 der 45 Flächen passiert. 31 der Areale müssen erst noch auf Blindgänger abgesucht werden, bevor der Boden gereinigt werden kann.

„Man hat nicht das abgearbeitet, was man abarbeiten wollte“, stellt Lars Klingbeil fest. Angeregt von den Recherchen der Böhme-Zeitung fordert der Bundestagsabgeordnete nun, dass die Arbeiten schneller vorangetrieben werden. Dazu sei auch eine engere Zusammenarbeit der beteiligten Behörden und Firmen nötig.

„Es geht um die Bürger in Munster – also soll sich auch der Stadtrat an der Neukonzeption beteiligen“, fordert Klingbeil. Doch obwohl beim Thema Altlastensanierung viele Behörden von Bund, Land und Landkreis mitreden – ausgerechnet die Stadt ist nicht direkt eingebunden. Munster soll durch die Landkreise vertreten werden. Protest gibt es dagegen bislang nicht.

„Die Munsteraner haben ein tiefes Vertrauen in die Bundeswehr“, sagt Klingbeil, der auch Mitglied des Verteidigungsausschusses ist und dessen Vater Berufssoldat war. „Jeder, der in Munster lebt, hat etwas mit der Bundeswehr zu tun.“ Panzer, Uniformen – das ist normal im Stadtbild. 16 000 Zivilisten wohnen dort zusammen mit 7000 Soldaten. Munster ist der größte Standort des deutschen Heeres. „Wenn man hier aufwächst, lernt man, mit den Beeinträchtigungen durch die Bundeswehr zu leben“, sagt Klingbeil.

Der Bundestagsabgeordnete klappt in seinem Berliner Büro sein Notizbuch zu; er hat keine Zeit mehr. Er sitzt im Verteidigungsausschuss und dem Ausschuss Digitale Agenda. Es geht um den Einsatz deutscher Soldaten im Irak, die Zukunft des Heeres und schnelles Internet in ländlichen Gebieten – Themen des 21. Jahrhunderts. C-Waffen-Altlasten wirken da merkwürdig aus der Zeit gefallen. „Mir ist wichtig, das wir darüber eine Diskussion anstoßen“, sagt Klingbeil, bevor er zu seinem nächsten Termin eilt.

Der Ruf ist aus der Hauptstadt inzwischen bis ins Munsteraner Rathaus geschallt. „Ich möchte in Zukunft mehr über die Altlasten informiert werden“, sagt Bürgermeisterin Fleckenstein. „Das ist wahrscheinlich auch eine Holschuld.“ Fleckenstein will sich zusammen mit dem Landkreis dafür einsetzen, dass die Schadstoffwerte im Grundwasser rund um den Dethlinger Teich wieder regelmäßig überprüft werden.

Den Sachstand auf der Internetseite der Stadt veröffentlichen, sodass sich Bürger besser über das Gift in ihrer Umgebung informieren können, will sie allerdings nicht. „Die Altlasten sind nichts, mit dem ich Werbung machen möchte“, sagt die SPD-Frau, die im Wahlkampf mit dem Ziel „Bürgerbeteiligung ausbauen und mehr Transparenz schaffen“ antrat.

Die Übernahme von Sanierungskosten

Die Beseitigung von Rüstungsaltlasten aus dem Zweiten Weltkrieg ist laut Grundgesetz grundsätzlich Aufgabe der Länder. Der Bund bezahlt die Kosten auf bundeseigenen Grundstücken, wie etwa Truppenübungsplätzen. Auf nicht bundeseigenen Grundstücken bezahlt der Bund Sanierungen, wenn die Verschmutzung durch „reichseigene Kampfmittel“ entstanden ist.

Da im Dethlinger Teich höchstwahrscheinlich deutsche C-Waffen liegen, wäre also der Bund für eine Räumung zuständig. Allerdings gibt es auch ein Verursacher-Prinzip: Außer den Briten hat nach dem Zweiten Weltkrieg auch ein Räumkommando des Landes Niedersachsen dort Waffen versenkt. Der Bund könnte also fordern, dass sich das Land an den Kosten beteiligt.

Die Länder versuchen über den Bundesrat bereits seit 1992, den Bund auch an Sanierungskosten zu beteiligen, die bei der Beseitigung alliierter Munition entstehen. Im August legte der Bundesrat zuletzt einen Gesetzentwurf dazu vor, den die Regierung als zu teuer ablehnte. Nun soll im Bundestag darüber abgestimmt werden.

Kommentar

Altlasten kennen kein Kriegsende

Von Julia Weigelt

Sich mit C-Waffen-Altlasten in Deutschland zu beschäftigen, ist aus drei Gründen unerfreulich. Grund 1: Die giftigen Hinterlassenschaften erinnern uns an unsere kriegerische Vergangenheit, in der Deutschland bei der Entwicklung besonders perverser Waffen ganz vorn dabei war. Wer sich die Fotos missgebildeter Kinder, verstümmelter Soldaten und verätzter Arbeiter anschaut, dem kann nur übel werden.

Grund 2: Das Thema ist außerordentlich komplex. Interessierte müssen sich in chemische Fragen genauso einlesen wie in juristische, föderale und politische. Viele Behörden wollen mitreden, aber keine will Geld ausgeben. Wissenschaftlicher Rat ist nur schwer zu bekommen, weil es immer weniger Experten auf diesem Gebiet gibt.

Grund 3: Die Sanierung betroffener Gebiete ist extrem langwierig. Noch nicht einmal die systematische Erfassung der Altlasten in Niedersachsen, die das Land Ende der 1980erJahre begonnen hatte, wurde zu Ende geführt – geschweige denn die Sanierung. Auf dem heutigen Truppenübungsplatz Munster-Nord sollen bis 2017 45 Flächen saniert werden – davon sind heute gerade mal vier fertig. Die Munsteranerin Christine Meyer-Dittrich hat nach sieben Jahren Engagement in ihrer Bürgerinitiative aufgegeben – weil sich kaum etwas tut.

Doch Altlasten kennen kein Kriegsende – im Gegenteil. Die verseuchte Erde vom Truppenübungsplatz gibt ihr Gift immer weiter ans Grundwasser ab. Die Granaten im Dethlinger Teich verrosten, was die Giftbrühe immer unkalkulierbarer macht. Hier sind Politik, Verwaltung und Bürgerschaft gleichermaßen gefordert, das Thema auf die Agenda zu heben – auch, wenn es aus den genannten Gründen wenig erquicklich ist.

Politiker wurden jedoch dafür gewählt, Verantwortung auch für unerfreuliche Themen zu übernehmen. In Berlin, wenn es darum geht, Bundesgelder für die Sanierung zu mobilisieren. Im Landkreis, wenn es darum geht, das Monitoring des Dethlinger Teichs wieder aufleben zu lassen. Und in der Stadtverwaltung, wenn es darum geht, den Sachstand der beiden größten Altlasten der Region zu kennen. Und wenn es um Transparenz und Information geht.

Welche Altlasten es in Munster gibt, wie die Messwerte an den Prüfstellen sind und was Stadt, Kreis und Land zur Sanierung unternehmen, gehört auf die Internetseite Munsters. Denn Transparenz ist nicht nur in Zeiten des Wahlkampfs wichtig.

Böhme-Zeitung