Dethlinger Teich: Räumung beginnt Mitte August

Eng an eng liegen die Granaten bei der Proberäumung vor zweieinhalb Jahren. Hochgerechnet auf den gesamten Dethlinger Teich könnten bei der demnächst beginnenden Sanierung gut 30 000 Granaten aus dem mit Bauschutt verfüllten Teich geholt werden. Foto: at

Mitte August werden nach den derzeitigen Planungen die Räumarbeiten am Dethlinger Teich starten. Fünf Jahre sind zunächst dafür vorgesehen. Von rund 30 000 Granaten gehen die Verantwortlichen aus, die entsorgt werden müssen, 6000 Granaten pro Jahr.

Bislang ist das allerdings eine Schätzung, die auf dem Ergebnis der Probegrabung 2019/2020 beruht, bei der man genau 2552 Granaten aus zwei Schächten an die Oberfläche holte. Zu den insgesamt 33 Tonnen Munition mit rund 2,8 Tonnen chemischer Füllung und 780 Kilogramm Sprengstoff kam noch Munitions-, Boden- und Bauschutt dazu. Damals wurde allerdings nur etwas mehr als vier Meter in die Tiefe gegraben, dann stoppte Grundwasser die Arbeiten. Noch tiefer, so die Vermutung, könnten auch Bomben zu finden sein. Der ehemalige Teich soll insgesamt mindestens zwölf Meter tief sein. „Es ist ein riesiges Überraschungsei“, sagte Carsten Bubke, Umwelttechniker des Landkreises.

Zurzeit geben sich auf dem Gelände eine Vielzahl an Besuchern die Klinke in die Hand. Am heutigen Freitag kommt Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne). Am Mittwoch war der hiesige Bundestagsabgeordnete und SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil vor Ort. Der Munsteraner begleitet das Projekt bereits seit Jahren, hat insbesondere nachdem die Böhme-Zeitung mit ihren Recherchen zu Rüstungsaltlasten und damit auch zum Deth-linger Teich das Thema Anfang 2015 wieder in die Öffentlichkeit gebracht hatte, mit dafür gesorgt, dass der Bund sich finanziell seiner Verantwortung bewusst wird. Inzwischen haben Land und Bund die Finanzierung der Sanierungskosten zugesagt, die Schätzung beläuft sich derzeit auf 44 Millionen Euro: „Dafür wird es sich nicht realisieren lassen“, weiß schon jetzt angesichts der Unwägbarkeiten, aber auch der Baukostensteigerungen Erster Kreisrat Oliver Schulze, der den Besuch Klingbeils begleitete. Es könnte auch knapp doppelt so teuer werden.

Unter der Kuppel der riesigen Räumhalle herrschte am Mittwochnachmittag gespenstische Ruhe. Die Ausmaße des darunter liegenden Räumfeldes waren gut zu erkennen, dort steht man quasi auf der Erdschicht, die den Teich bedeckt. Alle anderen Bereiche des Areals sind mit Beton verfestigt. Die Halle ruht auf gut 22 Meter tief in die Erde gerammten Spundwänden.

Anfang der Woche haben die Verantwortlichen noch einmal in Einwohnerversammlungen in Oerrel und Trauen das wohl weltweit aktuell größte Räumprojekt von chemischen Kampfmitteln vorgestellt. Die Einwohner seien allerdings mehr wegen der Einrichtung einer Bedarfsampel und der Geschwindigkeitsreduzierung auf Tempo 30 besorgt gewesen, so Schulze.

„Wir sind die Blaupause“

Wer jetzt noch einmal die Räumstelle am Dethlinger Teich in Augenschein nehmen will, der muss sich sputen. Mitte August ist Schluss, dann sollen die Arbeiten beginnen, wird ein Betretungsverbot ausgesprochen – auch für den dort wirtschaftenden Landwirt. An jährlich 180 Tagen zwischen 7 und 18 Uhr soll der Teich von seinem giftigen Inhalt mit Resten des Zweiten Weltkriegs geräumt werden, an den Tagen wird auch die Bundesstraße gesperrt, es gilt eine Umleitung.

Fünf Jahre soll die Räumung nach bisheriger Schätzung dauern, vermutlich aber länger. Partner ist dabei das bundeseigene Unternehmen Geka, die Gesellschaft zur Entsorgung chemischer Kampfstoffe und Rüstungs-Altlasten mit Sitz in Munster. Quasi ein Katzensprung zwischen Bergung und letzter Entsorgung auf dem Industriegelände an der Humboldtstraße, der Transportbehälter wiegt allerdings schon 42 Tonnen.

Munster ist seit mehr als 100 Jahren Schauplatz chemischer Kriegsführung – mit Folgen bis heute. Noch immer reinigt eine hoch spezialisierte Anlage das Grundwasser auf dem Truppenübungsplatz Munster-Nord. Noch immer geben dort chemische Kampfmittel, die in der Erde liegen, ihre giftige Fracht ans Wasser ab.

1925/26 wurde bei Dethlingen Kieselgur abgebaut. Die Baugrube lief voll Wasser. Die Luftwaffenmunitionsanstalt löschte dort ihre Brandbomben gegen den Willen des Eigentümers. „Man schüttete alles rein, was man loswerden wollte, wie viel ist unbekannt“, erklärt Umwelttechniker Carsten Bubke am Mittwoch vor Ort am Dethlinger Teich dem Bundestagsabgeordneten und SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil. Das war allerdings erst der Beginn. Nach dem Zweiten Weltkrieg versenkten die Briten im Teich weitere chemische Kampfmittel, die meist beschädigt waren und nicht zu Nord- oder Ostsee transportiert werden konnten. Noch später landete auch die Munition des sogenannten Beutelagers Breloh im Kieselgurgewässer, bevor der See bis an die Oberkante mit Bauschutt und Beton verfüllt wurde, weil sich Anwohner das Buntmetall aus der giftigen Brühe fischten und verkauften.

„Was wir bislang gefunden haben, stammt aus dem Beutelager. Es ist Munition aus Italien, Russland und Frankreich. Wir müssen voraussichtlich durch die Granaten zu den Bomben“, erklärt Bubke zu den Erfahrungen der Probebohrung 2019 und 2020. Vorteil sei, dass die Granaten vermutlich deutlich stabiler seien als die Bomben. Dennoch enthalte alles hochgiftige Kampfstoffe, die auf Lungen, Haut, Augen, Nasen- und Rachen, auf Nerven wirken. Es sind Lost, Clark, Gabun, Blausäure, Arsen, Phosphor, Napalm, Chlor.

Ein Fakt, der schon in den 1980er-Jahren die Bevölkerung in Munster beunruhigte. Lange fühlte man sich allerdings machtlos, auch weil die Zuständigkeiten für das giftige Erbe auf privatem Gelände nicht geklärt waren. Zudem standen ungeheure Sanierungssummen im Raum. Als Anfang 2015 die Böhme-Zeitung das Thema in einer mehrteiligen Serie aufgriff und zudem herausfand, dass der Dethlinger Teich schon seit Jahren nicht mehr überwacht wurde, also niemand wusste, ob die Brühe nicht längst im Grundwasser angekommen war, kam schließlich Bewegung in die Sache. Noch mehr, als ein neu aufgebautes Netz von 150 Messstellen aufzeigte, dass der Teich mit seinem Kieselguruntergrund nicht wie erhofft die Brühe aufhielt. Im Abströmebereich des Grundwassers wurden chemische Kampfstoffe gefunden, die Fahne lief in Richtung Trauen/Dehtlingen – allerdings nicht weiter als bis zur Bundesstraße: „Es ist noch nicht sehr weit gekommen“, erklärte Bubke, dass man möglicherweise gerade noch rechtzeitig gehandelt habe. „Es ist noch ein guter Zeitpunkt.“

Stadt und Landkreis wollten jedenfalls das Problem endlich angehen, Land und Bund sowie die jeweiligen politischen Vertreter ebneten letztlich den Weg zunächst zur Beprobung und nun zu der anstehenden endgültigen Räumung des Dethlinger Teiches. Die Frage des Geldes scheint zumindest inzwischen keine mehr zu sein. Bund und Land haben zugesagt, die Kosten zu übernehmen.

Das weiße gewaltige Zelt über dem ehemaligen Teich ist deutlich von der Bundesstraße 71 aus zu sehen. Vor dem Eingang zur Schleuse wacht Barbara, als Schutzheilige der Kampfmittelbeseitiger. Darin herrscht Unterdruck, wie in der gesamten Halle. Die Mitarbeiter werden dort dekontaminiert in einem Bereich, der wie eine Dusche aussieht. Die Räumstelle wird rund um die Uhr bewacht – durch 50 Kameras und durch bewaffnetes Personal. Bis zum endgültigen Start der Arbeiten wird das Zusammenspiel aller Beteiligten geübt. Dazu gehören Kampfmittelräumer, Geka-Mitarbeiter am Röntgengerät, aber auch Sanitäter und Ärzte. Das weltweite Interesse an dem Projekt ist groß: Es kommen nicht nur Delegationen aus Hannover oder Berlin, sondern auch aus Namibia, Schweden, Südkorea, Schweiz, Finnland, Russland oder Amerika. Nirgends gab es bislang solch eine groß angelegte Aktion: „Wir sind die Blaupause. Wir sind der Goldstandard“, erklärt Bubke zum Projekt.

Jeder Fund muss vor der Vernichtung registriert werden

Eigentlich hat Deutschland unterschrieben, selbst keine chemischen Waffen besitzen zu dürfen. Mit der Ausgrabung des Teiches ist das allerdings zwangsläufig obsolet. Deshalb, so Geka-Chef Frank Frank Lorkowski, schaue die OPCW, die Organisation für das Verbot chemischer Waffen, genau hin, sei das Auswärtige Amt eingebunden. Nachweis ist deshalb ein großes Thema. Jeder Fund muss in ein Datenblatt eingetragen, geröntgt und fotografiert werden. Erst wenn die OPCW-Freigabe erfolgt, könnten die Funde vernichtet werden. Mit einem Spezialtransport werden sie von Dethlingen zur Geka gebracht, dort zunächst gelagert und erst mit der Freigabe vernichtet.

Erst jetzt wurde das Röntgengerät auf die Baustelle geliefert. Also wird die Munition bereits vor Ort durchleuchtet, um deren Inhalt zu ermitteln. Ein Pluspunkt für schnellere Abläufe. Räumstellenleiter Heinrich Hoormann von der Geka rechnete dennoch damit, dass erst im Herbst die ersten Granaten aus dem Dethlinger Teich tatsächlich vernichtet werden.

Anja Trappe