Gericht kippt Naturschutz-Verordnung für Aller-Leine-Tal

In den öffentlichen Sitzungen der Kreisgremien machten Anwohner, Landwirte, Kommunalpolitiker und Jäger immer wieder aus ihrem Unmut über falsch kartierte Flächen, Jagd- und Betretungsverbote, fehlende landwirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten auf den Flächen, fehlende Sichtbarkeit von Flächengrenzen, Intransparenzen im Verfahren und vieles mehr keinen Hehl. Die Sitzungen insbesondere des Umweltausschusses und des Kreistages des Heidekreises waren stets dann gut gefüllt, wenn das FFH-Gebiet Aller-Leine-Tal auf der Tagesordnung stand wie hier bei der letzten Umweltausschusssitzung vor dem Beschluss der gemischten NSG- und LSG-Verordnung vom Juni 2020. Foto: bk

Worauf die Gegner der massiven Unterschutzstellung des Aller-Leine-Tals gehofft und was die Mitarbeiter der Kreisverwaltung befürchtet haben, ist nun eingetreten. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat in zwei Musterverfahren – es sind diverse Verfahren anhängig – die Verordnung des Landkreises gekippt.

Von der OVG-Entscheidung zeigt sich Erster Kreisrat Oliver Schulze wenig überrascht – und hat auch gleich die Urheber im Visier. „Bei der beklagten Verordnung handelte es sich insbesondere hinsichtlich der Gebietsabgrenzung zwischen Landschafts- und Naturschutzgebiet nicht um eine Beschlussempfehlung der Verwaltung an den Kreistag, sondern um eine Auftragsarbeit durch den damaligen Kreisausschuss.“ Die Gebietsabgrenzung fusse nicht auf naturschutzfachlichen Erwägungen, worauf die Untere Naturschutzbehörde (UNB) auch hingewiesen habe.

Der 4. Senat des OVG hält die Verordnung zum Naturschutzgebiet (NSG) für unwirksam, da die Abgrenzung des Gebiets naturfachlich unsachgemäß sei. Obwohl einige natürliche Lebensräume und Biotope geschützt seien, würden andere wichtige Elemente, wie naturnahe Gewässer, Überschwemmungsgebiete, Röhrichte und Auenwälder, teils nicht mit einbezogen. Zudem seien einige kleine Grünlandflächen in das Gebiet einbezogen worden, ohne dass diese in der freien Landschaft überhaupt erkennbar seien, was zu unklaren Grenzen führe. Auch der Landschaftsschutz sei unwirksam, da die Regelungen nicht sicherstellten, „dass die im Gebiet vorkommenden FFH-Lebensraumtypen und die für das Gebiet charakteristischen Tierarten hinreichend geschützt würden.“

Mit dem Urteil geht die Kreisverwaltung wieder auf seine Startposition. „Wir werden nunmehr die Begründung des Urteils abwarten und auf Grundlage dieser dann eine neue Verordnung erarbeiten und in die Beteiligung geben“, so Schulze. Aus dem Raum der Kläger ist zu vernehmen, dass die Kreisverwaltung dabei gut beraten sei, sich mit den Beteiligten zusammenzusetzen, um die verschiedenen Interessenlagen zusammenzuführen. „Man sollte den Flächeneigentümern die Pflege überlassen, da passiert mehr, als wenn das oben diktiert wird“, so ein Klägervertreter.

Das Urteil ist aus Sicht der Kreisverwaltung allerdings auch kein Grund für schadhaftes Verhalten in der Fläche. „Es handelt sich nach wie vor um ein FFH- und Vogelschutzgebiet, in dem sowohl die europarechtlichen Vorgaben sowie auch die Bestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes und der niedersächsischen Gesetzgebung gelten“, sämtliche Aktivitäten, die eine erhebliche Beeinträchtigung von Arten nach sich zögen seien nicht zulässig.

Bereits am 21. Mai 1992 hatte die EU die Richtlinie 92/43 EWG erlassen, aufgrund derer EU-weit 5267 Flora- und-Fauna-Habitate unter Schutz gestellt werden sollten, darunter auch das FFH-Gebiet 90 (Aller-Leine-Tal) mit 5213 Hektar. Mit zehn Jahren Verschleppen, zwischen 2002 und 2004, kartierte Niedersachsen seine FFH-Gebiete, aktualisiert diese eine weitere Dekade später 2015/16 noch einmal. Da Deutschland mit seinen FFH-Gebieten so deutlich hinterhergehinkt hat, leitete die EU-Kommission 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Erst 2017 begann dann auch der Heidekreis mit einem komplexen Verfahren zur Unterschutzstellung des Aller-Leine-Tals, das er am 26. Juni 2020 mit dem Verordnungsbeschluss beendete. Aufgrund mehrerer Klagen hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg nun diese Verordnung für unwirksam erklärt (Az.: 4 KN 122/21 und 4 KN 157/21).