Veteranenkinder: Wie US-„Kriegie Kids“ das Trauma der Väter verarbeiten

Die Kinder ehemaliger US-Kriegsgefanger werden von Offiziellen am „Tor zur Freiheit“ empfangen. Foto: bk

Mit Pipes and Drums empfingen die Stadt Bad Fallingbostel und der Gemeindefreie Bezirk an der Gedenkstätte „Tor zur Freiheit“ am vergangenen Freitag bei bestem Wetter fünf sogenannte „Kriegie Kids“ – so bezeichnet sich eine Gruppe von Kindern ehemaliger US-Soldaten.

Kriegsgefangene auf Todesmärschen als der Krieg ins Reich zurückkehrt

Zwei von ihnen sind Laura Edge und Ellen Bett-Witt. Die beiden Schwestern haben sich mit weiteren Kriegie Kids auf eine 14-tägige Reise gemacht, um die Gefangenschaft ihres Vaters in deutschen Stammlagern für Kriegsgefangene, kurz Stalag genannt, nachzuvollziehen. Ihr Vater, Laurence Witt, war bei der 8. US-Luftflotte, kämpfte gegen die Deutschen, bis er am 8. Mai 1944 abgeschossen und gefangengenommen wurde. Interniert wurde Soldat Witt im Stalag Luft IV im pommerschen Groß Tychow, das im heutigen Polen liegt. Das Lager bestand aus 40 Baracken für jeweils bis zu 200 Gefangene. Die meisten Luftwaffen-Soldaten waren Amerikaner (7089). Daneben waren mehr als 600 Briten, knapp 150 Kanadier sowie einige Australier, Polen, Neuseeländer und andere Nationalitäten interniert. Als die Rote Armee die Wehrmacht immer weiter zurückdrängte, wurden auch die Kriegsgefangenenlager immer weiter nach Westen verlegt. Am 8. Februar mussten auch die rund 8000 Gefangenen des Stalags Luft IV auf einem sogenannten Todesmarsch nach Westen ausweichen. 86 Tage zogen die Gefangenen immer weiter nach Westen. Gefangene, die nicht mehr konnten, wurden von den deutschen Bewachern oft erschossen oder mit dem Bajonett liquidiert.

Nur wenige Gefangene, die zu krank waren, um den Marsch zu schaffen, wurden mit dem Zug verlegt – unter ihnen war Laurence Witt. Der erkrankte US-Amerikaner wurde ins Stalag XI B nach Fallingbostel verlegt, wo er den Krieg über- und die Befreiung durch die britischen Truppen am 16. April miterlebte. Nach der Befreiung dauerte es allerdings noch einige Zeit, bis der Krieg vorbei war und Flugzeuge zur Verfügung standen, um die Kriegsgefangenen in die Heimat zu verlegen.

Die Wunden des Kriegs nie überwunden

„Ich glaube, er hat die Wunden des Krieges nie überwunden“, schildert Tochter Laura Edge. „Er war sehr ängstlich, hatte Albträume und wollte jahrzehntelang nicht darüber reden.“ Der seelische Verwundung hatte auch Folgen für die Töchter. „In seiner Nähe musste man ruhig sein und sicherstellen, dass du ihn nicht verärgerst“, weiß Edge noch, dass sie gegenüber ihrem Vater stets auf der Hut war.

Er habe sich erst sehr spät geöffnet, ergänzt Ellen Bett-Witt. „Lauras Sohn fragte unseren Vater, ob er ihn über seine Kriegserlebnisse interviewen könne, und das war das allererste Mal, dass er über den Krieg gesprochen hat.“ Da sei er bereits in seinen 80ern gewesen.

Laurence Witt starb mit 85. Seine Töchter haben versucht, die Erlebnisse des Vaters in Polen und Deutschland nachzuvollziehen und dabei viel gelernt. „Für mich war es ein erstaunlicher Prozess. Wir trafen all diese Menschen, lernten viele Informationen über die Lager und die Zustände kennen, sahen die Orte, an denen er gewesen war“, so Bett-Witt.

Aufarbeitung des Traumas der Väter ist für „Kriegie Kids“ wichtiger Prozess

Der Bad Fallingbosteler Bürgermeister, Rolf Schneider, und der Ortsvorsteher des Gemeindefreien Bezirks Osterheide, Andreas Ege, legten ein Blumengebinde im Gedenken an die Kriegsgefangenen am „Tor der Freiheit“ nieder und erläuterten den Kriegie Kids, wie deutsche Schüler die Geschichte ihrer Region mit Blick auf die NS-Zeit aufarbeiten, um den namenlosen Toten „Identität und Würde zurückzugeben“, so Schneider.

Laurence Witt gehörte nicht zu namenlosen Toten, doch war er Jahrzehnte über sein Trauma sprachlos geblieben. Als er sich geöffnet habe, trugen die Töchter dazu bei, dass der Vater die überlebenden Kameraden treffen und so seine seelische Verwundung überwinden konnte. Ein wichtiger Prozess – auch für die Kriegie Kids.