Gibt es eine Gentherapie für Vin?

Der siebenjährige Vin leidet unter einem Gendefekt. Seine Mutter Nicole Below hofft auf eine Therapie, erste positiv stimmende Forschungsergebnisse liegen vor. Foto: at

Vin merkt es sofort: „Du hast eine andere Haarfarbe“, stellt der Siebenjährige fest, als die Haustür sich öffnet. Ob er das blond gut findet? Keine Antwort ist wohl auch eine. Seine Mutter jedenfalls greift ihm unter die Arme und hilft ihm beim Laufen bis in die Küche des kleinen Einfamilienhauses.

Im Laufe der vergangenen Monate ist die eine blonder geworden, bei Vin aber wird deutlich: Er kann viel schlechter laufen als noch vor gut einem Jahr. Alleine eigentlich gar nicht mehr. Der kleine Junge aus Soltau leidet an einem äußerst seltenen Gendefekt. Die Böhme-Zeitung hat schon häufiger über ihn berichtet, insbesondere weil sich seine Eltern durch eine Delfintherapie eine Verbesserung erhofften.

Doch das letzte Schwimmen mit den Delfinen fiel für Vin aus. Er war kurz vor der Reise in die Türkei auf der Treppe gestürzt. Verletzt hat er sich am Arm, aber in der Folge entwickelte er Ängste vor Höhen, krabbelte wieder mehr. Eine Abwärtsspirale begann. Die Muskeln ließen nach, die Spastiken wurden wieder deutlicher, die Füße drehten sich mehr nach innen, nun rutscht er auf Knien dorthin, wohin er möchte.

Hilfe soll ausgerechnet Botox bringen, das auch in der Schönheitsmedizin verwendet wird. Das Nervengift haben die Ärzte dem kleinen Jungen in die Muskeln an den Füßen gespritzt, so werden sie weicher und entspannen. Die Spastiken lösten sich. Begleitet mit Physiotherapie hofft Mutter Nicole Below wieder auf Besserung.

Besserung erhofft sie sich vor allem aber von einem neuen Medikament, das insgesamt dem Gendefekt und seinen Folgen entgegenwirken soll, der bisher nur bei sehr wenigen erkrankten Menschen auf der Welt nachgewiesen ist. Weltweit sind es aktuell 430 Kinder, im deutschsprachigen Raum 33, bei denen das Gen CTNNB1 defekt ist. Eigentlich ist das Gen dafür zuständig, das Protein Beta Catenin zu produzieren. Fehlt es im Körper, führt das unter anderem zu einer geistigen Beeinträchtigung, zu Spracheinschränkungen und motorischen Störungen.

Die Folgen der Erkrankung sind unterschiedlich ausgeprägt. Vin ist einer der wenigen Erkrankten, die laufen können – nun konnten. Er leidet aber auch am Asperger Syndrom, ist zudem schnell wütend. Und still sitzen ist für ihn ein Fremdwort, es sei denn, er bekommt Mamas Mobiltelefon, auf dem er plötzlich ganz ruhig durch Bilder und kleine Filme wischen kann. In dieser Situation ist er kaum von anderen Kindern zu unterscheiden.

Weil nur so wenige Menschen von der Krankheit betroffen sind, lohnt es sich für die Pharmaindustrie nicht, nach einem Medikament zu forschen. Das allerdings wollten Betroffene aus Slowenien nicht hinnehmen und wurden selbst aktiv. Im Februar 2021 gründete Spela Miroevic, die Mutter eines betroffenen Kindes ist, eine Foundation mit dem Ziel, die Folgen des Syndroms zu heilen.

Wie bereits die Soester Zeitung über einen ähnlichen Fall wie Vin berichtete, habe die Mutter ein internationales Forscherteam zusammengestellt, das mit der Entwicklung eines gentherapeutischen Ansatzes begann. Erste Testversuche an Mäusen seien erfolgreich gewesen, weiß Vins Mutter Nicole Below. Die Betroffenen sind im deutschsprachigen Raum eng über die sozialen Netzwerke vernetzt. Ende 2024 solle die Studie in die klinische Phase übergehen, in der ein Serum an ersten Erkrankten getestet werden soll.

Die Familien haben die Hoffnung, dass mit nur einer einzigen Injektion je nach Alter der Betroffenen sowie je nach Fortschritt des Syndroms die Symptome gelindert und die Krankheit sogar geheilt werden kann. Die Foundation will bei der erfolgreichen Entwicklung dafür sorgen, dass alle Erkrankten Zugang zum Wirkstoff bekommen sollen.

Allerdings fehlt es an der weiteren Finanzierung. Zwei Millionen Euro seien schon in das Projekt geflossen, zwei Millionen müssen noch zusammenkommen. Ziel einer Sammelaktion in Deutschland sind nun zunächst 100000 Euro. Die Spendenkampagne wurde von drei Müttern ins Leben gerufen, 40000 Euro hätten sie bereits gespendet bekommen.

Familie Below setzt große Hoffnungen in die Therapie. „Wenn es so bleiben würde, wird Vin nie selbstständig leben können. Er kann sich nicht alleine anziehen, sich kein Essen zubereiten, er hat kein Verständnis vom Tagesablauf und kann nun nicht mal mehr laufen.“ Deshalb schlägt sie nun die Werbetrommel für die Forschung an der so seltenen Erkrankung. „Wir haben schon so viel gekämpft und hören jetzt nicht auf, sondern reden darüber“, sagt Below.

In eine klinische Studie ist die Familie schon aufgenommen. Mit 70 anderen Erkrankten trifft sie sich im Sommer im slowenischen Ljubljana zu einer internationalen Konferenz. Die Belows hoffen, dass Vin dort einen von 30 Untersuchungsplätzen bekommt und damit der Therapie ein Stück näher ist.

Der kleine Junge, der demnächst acht Jahre alt wird und in einer Förderschule in Bergen lernt, muss nun das Mobiltelefon seiner Mama beiseitelegen. Schließlich soll noch ein Foto geschossen werden. Er rutscht auf Knien über den Fußboden. „Hast Du Deine große Kamera mit?“ Aber klar doch. Das hat sich nicht geändert.

Spendenaktion für Gentherapie

Der Spendenaufruf der drei Mütter aus Deutschland, deren Kinder an einem bestimmten Gendefekt leiden, ist im Internet unter dem Namen „Wunder wahr werden lassen – Gentherapie für CTNNB1“ auf der Online-Spendenplattform gofundme.com oder unter dem Link zu finden. Weitere Informationen sind unter nachzulesen. at

Anja Trappe