„Das ist auf jeden Fall kein normaler Job“

Laura Wegner stellt ihr Startup Mii bei einem Wettbewerb vor. Die Walsroderin studiert mittlerweile im dritten Jahr an der Harvard University.

Laura Wegner aus Walsrode studiert an der Harvard University. In wenigen Wochen beginnt das dritte und letzte Jahr ihres Bachelorstudiums. Seit zwei Jahren arbeitet sie zusätzlich an einem Startup. Im Interview spricht sie darüber, wie sie dieses Projekt und ihr Studium unter einen Hut bekommt und wie ihr die Idee für das Startup kam.

Sie haben 2021 angefangen, an der Harvard University zu studieren. Was steht gerade an im Studium?

Laura Wegner: Jetzt beginnt mein letztes Jahr an der Harvard University. Ich habe eine spannende Kursauswahl vor mir, darunter einen Wirtschaftskurs und mehrere Computer-Science-Kurse. Zusätzlich schreibe ich auch noch meine Bachelorarbeit, für die es dort einen speziellen Kurs gibt, der alle Studierenden in diesem Prozess unterstützt. Das ist ein wenig anders als in Deutschland, da man die Bachelorarbeit nicht separat von anderen Kursen schreibt, sondern parallel dazu. Wir treffen uns zweimal die Woche in kleinen Gruppen und ein Professor achtet darauf, dass wir kontinuierlich vorankommen.

Sie studieren ja eigentlich Wirtschaft. Was hat Sie motiviert, auch noch Computer Science, also Informatik, zu studieren?

Meine Leidenschaft für Startups begann schon, als ich mit 14 mein erstes Unternehmen gründete, und setzte sich fort, als ich mit 17 ein weiteres Startup in Walsrode gründete. Ich hatte immer kreative Ideen und Spaß daran, Teams zu bilden, um Probleme zu lösen. Ich war meistens die Leiterin der Startups und habe mich mit der Business-Perspektive beschäftigt. Aber ich wollte auch gerne diejenige sein, die die ersten Versionen eines Produkts selbst entwickeln kann, bevor ich andere ins Team hole. Ich habe 2022 angefangen, an meinem jetzigen Startup zu arbeiten, und ein Jahr später begann ich, Kurse in diesem technischen Bereich zu belegen.

**Sie haben im vergangenen Jahr auch Kurse an der Harvard Business School belegt. Die Kurse sind eigentlich Masterstudierenden vorbehalten. Wie kam das zustande? ** Vor etwa einem Jahr habe ich mich bei einem Programm der Business School beworben, das speziell für Bachelorstudierende konzipiert ist, die Technologie-Startups gegründet haben oder sich dafür interessieren. Aus rund 250 Bewerbern wurden 14 Studierende, darunter auch ich, ausgewählt.

Was gehört zu dem Programm?

Alle zwei Wochen haben wir Seminare mit Professoren der Business School. Die Professoren sind auf einen bestimmten Bereich spezialisiert und sie halten meist einen ein- bis zweistündigen Vortrag und danach gehen wir gemeinsam Abendessen. Die Kurse sind eine tolle Gelegenheit, viel von den Professoren zu lernen. Im Januar hatten wir ein Startup-Bootcamp, ein Programm, bei dem MBA-Studierende, also Masterstudierende der Business School lernen, wie man ein erfolgreiches Startup gründet, erste Prototypen entwickelt und Kunden für sich gewinnt. Zusätzlich können wir noch zwei Kurse an der Business School belegen, was anderen Bachelorstudierenden nicht möglich ist. Einen davon habe ich bereits im letzten Semester absolviert.

Was haben Sie für sich aus den Kursen mitgenommen?

In meinem Kurs ging es darum, von gescheiterten Startups zu lernen. Im Kurs selbst habe ich zum Beispiel gelernt, wie wichtig präzises Ausdrucksvermögen im Hörsaal ist. Der Unterricht an der Business School ist anders strukturiert als in meinen anderen Kursen. Es gibt keinen frontalen Vortrag. Stattdessen leiten die Professoren kurz ein und überlassen dann die Diskussion den Studierenden. Vor jedem Unterricht lesen wir einen Bericht über ein Startup und diskutieren anschließend die Gründe für dessen Scheitern. Diese Diskussionen werden hauptsächlich von uns selbst geführt. Die MBA-Studierenden waren auch deutlich älter als ich. Die jüngsten von ihnen waren etwa vier Jahre älter, während die ältesten bis zu 20 Jahre mehr Lebenserfahrung mitbrachten. Alle hatten bereits in verschiedenen Branchen gearbeitet, was dazu führte, dass jeder auf seine Weise wertvolle Beiträge zu verschiedenen Themen leisten konnte.

Sie haben 2022 selbst ein Startup gegründet. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Ich hatte selbst eine Erfahrung, bei der ich nach einem Unfall im Krankenhaus nach all meinen medizinischen Daten gefragt wurde. Das ist vermutlich eine Situation, die viele kennen: Man geht zum Arzt und muss ein Formular ausfüllen mit Informationen wie Name, Allergien und vorherigen Operationen. In meinem Fall war ich in der Notaufnahme und konnte aufgrund der Schmerzen nicht alle Informationen korrekt wiedergeben, obwohl sie für die Ärzte entscheidend waren. Das hat mich dazu gebracht, darüber nachzudenken, warum ich nicht immer alle meine medizinischen Daten bei mir haben kann.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe dann angefangen zu recherchieren und herausgefunden, dass das Kernproblem darin liegt, dass die Notizen und Befunde eines Arztes in einem spezifischen Krankenhaus-Informationssystem gespeichert werden, das oft nicht mit den Systemen anderer medizinischer Einrichtungen kompatibel ist. Deshalb müssen Patienten ihre Daten selbst von Arzt zu Arzt transportieren, beispielsweise Röntgenbilder auf CDs. Oder der neue Arzt muss die Daten manuell anfordern, was meist über Telefon und Fax geschieht. Es fehlt an einem direkten Weg, Daten zwischen Krankenhaus und Praxis oder zwischen unterschiedlichen Krankenhäusern zu teilen. In Deutschland wird nun die nationale elektronische Patientenakte eingeführt. Zwar gibt es noch Herausforderungen in Bezug auf Datenschutz und technische Umsetzung, dennoch ist dies ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Da setzt Ihr Startup an?

Ja, mein Ziel war es zuerst, ein neues System zu entwickeln, das die Speicherung und den Austausch von Patientendaten von einem Arzt zum anderen erleichtert. Meine Recherchen und Interviews mit Ärzten und Patienten führten aber zu der Erkenntnis, dass die Daten eher vom Patienten selbst verwaltet werden sollten. Der Patient sollte bestimmen können, welcher Arzt welche Informationen sehen kann. Manche Patienten möchten nicht, dass alle ihre Gesundheitsinformationen uneingeschränkt zugänglich sind, sie möchten Kontrolle darüber haben, wer was sieht. Die zweite Idee war, einen digitalen Gesundheitspass für Patienten aufzubauen, der international genutzt werden kann. Das Startup habe ich Mii genannt, angelehnt an „ich“ oder „mich“ im Englischen, weil es um den Patienten geht.

Was kann man sich unter dem Gesundheitspass vorstellen?

Mit Mii können Patienten Arzttermine verwalten, Dokumente speichern, Arztnotizen und Medikamentenpläne einsehen sowie ihren Impfpass, Röntgenbilder, MRT-Scans und weitere Bilder und Dokumente anzeigen. Wir arbeiten auch an einer Funktion zur Analyse von Blutwerten über die Zeit. Unser Ziel ist es, nicht nur Zugang zu den Daten zu bieten, sondern auch den Patienten zu helfen, diese besser zu verstehen. Zum Beispiel bereiten wir Blutwerte verständlich auf, sodass Patienten ohne medizinische Ausbildung die Bedeutung dieser Werte nachvollziehen können.

Der Start des Startups ist zwei Jahre her. Wo stehen Sie jetzt?

Ich habe meinen Co-Founder vor zwei Jahren in Australien kennengelernt. Wir haben uns zusammengetan, nachdem ich bereits an der Idee gearbeitet hatte, und er brachte die medizinische Perspektive ein. Australien war ein guter Testbereich, da sie ein nationales Patientenaktensystem haben, das jedoch nur zwischen Krankenhäusern funktioniert. Patienten haben dort bereits eine relativ gute elektronische Patientenakte, die sie bei uns importieren können. In diesem Jahr hatte ich ein Stipendium für den Sommer erhalten, um in Australien Vollzeit an unserem Projekt zu arbeiten, und war von Mitte Mai bis Anfang August dort. In den letzten Monaten hat sich Mii sehr positiv entwickelt. Wir wurden als Best Social Impact Startup 2023 von der University of Sydney ausgezeichnet und haben bei zwei Wettbewerben den Publikumspreis gewonnen. Außerdem haben wir an zwei Accelerator-Programmen teilgenommen, wo wir Ratschläge von erfolgreichen Unternehmern erhielten und in einer Gruppe von Gründern arbeiten konnten. Zudem haben wir zwei Stipendien von den Harvard Innovation Labs erhalten, die wir für Produkt-Tests verwendet haben. Aktuell testen wir die App, und es ist großartig, Menschen helfen zu können. Vor kurzem erhielt ich eine Nachricht von einem ehemaligen Kollegen, dessen Vater gesundheitliche Probleme hat. Er fragte, ob unsere App verfügbar sei, und nun testet er sie zusammen mit anderen Nutzern.

Hat Sie die Arbeit für das Startup auch für das Thema Ihrer Bachelorarbeit motiviert? Sie schreiben ja zum Thema elektronische Patientenakten.

Ja, genau. Ich habe bisher Kurse zu Wirtschaft und Gesundheit belegt und auch Aufsätze zu dem Thema geschrieben. Besondersfaszinierendwar für mich eine statistische Analyse, die ich im letzten Semester gemacht habe, bei der ich nachweisen konnte, dass die Gesundheit von Patienten in amerikanischen Krankenhäusern deutlich verbessert wird, wenn diese über ein effizientes System zum Austausch von Patientendaten verfügen. Es war einfach faszinierend, wirklich beweisen zu können, dass Innovation in dem Bereich wirklich Menschenleben rettet und viele medizinische Fehler verhindern kann. In meiner Bachelorarbeit konzentriere ich mich auf Estland, das bereits ein nationales System für elektronische Patientendaten eingeführt hat, und vergleiche das dieses mit Litauen, das ein ähnliches System einige Jahre später implementiert hat. Ziel ist es zu beweisen, dass die Einführung des Systems in Estland zu besseren Gesundheitsergebnissen geführt hat. Meine Bachelorarbeit wird von einem Fachmann unterstützt, der früher Gesundheitsberater von Obama war, sowie von einem Arzt der Yale University und einem Professor der Harvard Medical School.

Sie studieren noch, arbeiten gleichzeitig an Ihrem Startup – wie organisieren Sie Ihren Alltag?

Es hängt stark davon ab, in welchem Teil des Semesters ich mich befinde. Mein Stundenplan und die Ziele für das Startup variieren, sodass ich zu Beginn jedes Semesters einen Plan mache. Mein Team lebt größtenteils in Australien, ein Mitglied ist aus den USA, weshalb unsere Meetings meistens abends stattfinden, was gut passt, da meine Kurse vormittags sind. Als CEO übernehme ich viele verschiedene Aufgaben. Während ein Großteil meiner Aufgaben planbar ist, gibt es auch spontane Anfragen, die ich entweder am Wochenende oder abends bearbeite. Für das Startup muss ich praktisch immer erreichbar sein. Das macht es manchmal schwierig, zwischen Hausaufgaben, Lernen und dem Startup abzuschalten. Aber ich arbeite daran und für mich ist es eine gute Übung. Es macht einem wirklich klar, was es heißt, praktisch 24/7 an einem Startup zu arbeiten. Das ist auf jeden Fall kein normaler Job. Am Ende des Semesters wird es immer stressiger, da Examen und Wettbewerbe anstehen. Aber meistens gelingt es mir, alles gut zu managen. Ich lege großen Wert auf meine schulischen Leistungen und habe die Uni trotz meines Engagements im Startup nie vernachlässigt, auch wenn es Phasen gab, in denen ich wenig Schlaf bekommen habe. Das Problem, das wir mit unserem Startup lösen, liegt mir sehr am Herzen, und ich freue mich, daran arbeiten zu dürfen.

Studieren an einer der besten Unis der Welt

Die Harvard University ist eine der acht Universitäten der sogenannten Ivy-League. Zu ihr gehören die besten und renommiertesten Universitäten der USA. Weil sie als eine der besten Unis der Welt gilt, erhält das Zulassungsbüro von Harvard jedes Jahr Zehntausende Bewerbungen auf die knapp 2000 Studienplätze pro Jahrgang. Seit Beginn ihres Studiums begleitet die Böhme-Zeitung Laura Wegner. bz

Janika Schönbach