Dement, aber selbstbestimmt leben

Simone und Devid Wagner sind die Vermieter der Wohngemeinschaft für an Demenz Erkrankte Heidelandhaus. Foto: bk

In der Heideblütenstadt hat im September 2022 – weitgehend unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsgrenze – ein kreisweit einzigartiges Wohnprojekt für an Demenz erkrankte Menschen die Arbeit aufgenommen.

Das von Simone und Devid Wagner gegründete „Heidelandhaus“ ist keine gewöhnliche Pflegeeinrichtung, sondern eine sogenannte selbstbestimmte Wohngruppe. Hier dürfen maximal zwölf Seniorinnen und Senioren leben. Die Zahl ist keine Frage der Kapazitätsgründe, sondern hat rechtliche Gründe. Bis zu zwölf Personen in einer Wohngemeinschaft können ambulant versorgt werden, darüber hinaus gelten die Bestimmungen und die damit verbundenen Auflagen für Pflegeheime.

Da es aber lediglich eine Wohngruppe ist, wirkt das ganze Haus an sich schon sehr wie ein normales – wenn auch großes – Privathaus. Normale Polstermöbel, normale und vor allem offene Küche mit rustikaler Holzoptik, privat eingerichtete Zimmer jenseits üblicher Standards. Allein die Badezimmer zeigen, dass auf gewisse Pflegestandards wie Barrierefreiheit geachtet worden ist. Zum Objekt gehört ein größerer Obstbaumgarten mit Hochbeet und (gesichertem) Teich.

Bei den selbstbestimmten Wohngruppen handelt es sich um Mieter mit allen Rechten, die ein Mieter hat, im Gegensatz zu klassischen Pflegeheimbewohnern. Auch die Angehörigen der Senioren haben keinerlei Beschränkungen hinsichtlich der Besuchszeiten. Im Gegenteil: Das Engagement der Angehörigen ist ausdrücklich erwünscht. „Nach unseren Erfahrungen möchten die das auch“, so Devid Wagner. Gemeinsames Kochen, Grillen, ein wenig Programm organisieren – der familiäre Hintergrund der Bewohner kümmert sich. Im Übrigen dürfen sich die Mieter frei bewegen. Einige tragen auf Wunsch der Angehörigen GPS-Sender, um einer womöglich auftretenden Desorientierung begegnen zu können.

Die Vermieter des Heidelandhauses selbst greifen nicht in den Tagesablauf der Bewohner ein. Eine Pflegebetreuung durch die Diakonie ist rund um die Uhr gewährleistet, sowohl durch Präsenzkräfte vor Ort als auch durch ambulantes Personal.

Die Wohngemeinschaft unterscheidet sich aber nicht nur auf struktureller Ebene von Pflegeheimen. Die Senioren entscheiden auch über Mitmieter, denn es ist ihre Wohngemeinschaft. „Es muss schon passen“, erklärt Simone Wagner. Die Motivation der Vermieter, das Heidelandhaus im ehemaligen Heidelandhaus Bussat zu gründen, rührt auch aus der eigenen Familienhistorie. Wagners waren mit der Unterbringung ihrer Großmutter in einem klassischen Pflegeheim in Hamburg nicht glücklich und wollten ein besseres Umfeld schaffen. Ziel war es, den Senioren nicht nur eine pflegerische Versorgung bieten, sondern auch ein schönes Zuhause, in dem sie sich wohlfühlen können jenseits der Sterilität so manchen Pflegeheims.

Im Heidekreis ist das Projekt einzigartig. Die Diakonie betreibt zwar auch eine kleinere WG in der Bahnhofstraße, jedoch nimmt diese keine Demenzerkrankten auf. Das Heidelandhaus hebt sich insoweit deutlich von anderen Angeboten ab und bietet den Bewohnern eine individuellere Betreuung und ein privates Umfeld.

Die Kosten für einen Platz in der Wohngemeinschaft werden von den Bewohnern selbst getragen. Es gibt separate Mietverträge für die Zimmer, die Pflegeleistungen werden mit der Diakonie vereinbart und abgerechnet. Die Bewohner haben zudem die Möglichkeit, zusätzliche Services wie beispielsweise einen Fernsehanschluss in Anspruch zu nehmen. Durch das Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft können die Bewohner ihre Kosten teilen und so möglicherweise Geld sparen.

Das Konzept der Wohngemeinschaft bietet ganz nebenbei noch einen zusätzlichen Effekt, denn die Bewohner hatten alle eigene Haushalte. Durch das Zusammenziehen wird auch Wohnraum für nachwachsende Generationen frei – in Zeiten fehlenden Wohnraums ein nicht zu vernachlässigender gesamtgesellschaftlicher Effekt.

Gute Alternative zu Pflegeheim

Das Wohnen und die Pflege für ältere Menschen stellen zentrale Herausforderungen für das zukünftige Zusammenleben in unserer Gesellschaft dar. Mit dem Förderprogramm „Wohnen und Pflege im Alter“ fördert das Land Niedersachsen vielfältige Modellprojekte, die neue Antworten auf die Fragen einer älter werdenden Gesellschaft geben.

Verschiedene Verbände wie die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft oder das Forum gemeinschaftliches Wohnen informieren und beraten zu ambulant betreuten Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz. Einen guten Einstieg in das Thema bezogen auf Niedersachsen bietet das Internet unter: www.verein.fgw-ev.de/media/ambulante_wg_bf_1.pdf.

Bernhard Knapstein