Sprayaktion gegen Kriminalisierung von Frauen

Mit einer Sprühaktion fordern (von links) Cristine Idrizaj (Sozialraumarbeit Walsrode), Mary Helen Fischer, Andrea Klenke (Pro Familia), Karin Böckmann (Diakonisches Werk) sowie Judith Hartmann und Kerstin Wichmann (Gesundheitsamt) die Abschaffung des Paragrafen 218, den es seit 150 Jahren gibt. Foto: at

Mit einer Sprühaktion fordern (von links) Cristine Idrizaj (Sozialraumarbeit Walsrode), Mary Helen Fischer, Andrea Klenke (Pro Familia), Karin Böckmann (Diakonisches Werk) sowie Judith Hartmann und Kerstin Wichmann (Gesundheitsamt) die Abschaffung des Paragrafen 218, den es seit 150 Jahren gibt. Foto: at

„Streicht den Paragrafen 218“, fordert Pro Familia in Niedersachsen und natürlich auch in Soltau. Mary Helen Fischer von der Beratungsstelle setzt sich gemeinsam mit ihren Kolleginnen und den weiteren Engagierten der Schwangerschafts-Konfliktberatungsstellen im Heidekreis deutlich sichtbar dafür ein.

Anlass ist der internationale „Safe Abortion Day“, der Tag des sicheren Abbruchs, der am 28. Oktober stattfindet. „Entkriminalisierung“, „Respekt“, „Selbstbestimmung“, „Unversehrtheit“ sind Wörter, die nun auf die Wege in Soltau, Walsrode und Bomlitz mit Kreide gesprüht und dort deutlich für alle zu sehen sind. Es ist eine Kreidespur aus Forderungen, die zu den örtlichen Bibliotheken führt. Dort liegen Informationsbroschüren und Bücher rund um das Thema aus.

Nicht nur als grüner Hingucker steht auf dem Informationstisch in der Soltauer Bibliothek Waldmühle ein Topf mit Petersilie. Früher versuchten Frauen, ihre ungewollten Kinder auch mit diesem Kraut abzutreiben. Andere sprangen von Treppen, rammten sich Kleiderbügel oder Stricknadeln in den Leib.

Nach dem Paragrafen 218 ist das, aber wäre auch die Abtreibung in einer Klinik oder bei einem Arzt noch immer strafbar. Der ergänzende Paragraph 218a lässt Spielräume, seit den 1990er-Jahren nicht nur im Falle eines medizinischen Grundes oder einer Vergewaltigung, sondern auch, wenn vor dem Abbruch unter anderem eine Schwangerschaftskonfliktberatung stattfindet. Außer Pro Familia bieten diese im Heidekreis die Diakonischen Werke Soltau und Walsrode, die Sozialraumarbeit Walsrode sowie des Gesundheitsamtes des Landkreises.

Dennoch: „Die Kriminalisierung der Frauen durch den Paragrafen 218 muss endlich der Vergangenheit angehören“, sagt Karin Böckmann vom Diakonischen Werk in Soltau. Folge sei auch, dass die Zahl von Ärztinnen und Ärzten und Krankenhäusern seit Jahren rückläufig sei, die Schwangerschaftsabbrüche überhaupt anböten.„Das kommt noch hinzu, wenn Frauen so schon an ihrem Limit sind, wenn es um die Entscheidung geht“, sagt Beraterin Cristine Idrizaj von der Sozialraumarbeit Walsrode. Dabei ist die Zahl der Abbrüche in den vergangenen Jahren um 45 Prozent gesunken. Fischer führt das auch auf bewusstere Familienplanung zurück.

Die Chancen für eine Gesetzesänderung sehen die Engagierten mit der Bundestagswahl steigen – jedenfalls wenn es zu einer Regierungsbildung ohne die Union komme. Es gehe um Selbstbestimmung, darum, dass Frauen als vollwertige Menschen angesehen werden, die richtige Entscheidungen treffen können. Da brauche es natürlich auch weiter Beratungsarbeit mit psychischen, rechtlichen und medizinischen Vor- und Nachsorgen.

Pro Familia: Deutschland mit restriktivstem Gesetz

Zum 31. Mal hat sich in diesem Jahr der internationale Aktionstag „Safe Abortion Day“ für einen entkriminalisierten, sicheren und kostenfreien Schwangerschaftsabbruch gejährt. Pro Familia betont, dass das deutsche Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch zu den restriktivsten Gesetzen in Europa zählt.

Im Heidekreis ist Schwangerschaftsabbruch nur noch am Klinikum am Standort Walsrode möglich. Die beiden Ärzte in Soltau, die das noch angeboten hätten, seien in den Ruhestand gegangen, Nachfolger gebe es nicht, erklärt Mary Helen Fischer von Pro Familia. Studenten müssten extra Kurse belegen, „Schwangerschaftsabbruch ist kein Pflichtteil der Ausbildung“, kritisiert Fischer, wie es auch nicht zur Regelversorgung von Krankenhäusern gehöre.

Und Privatpraxen, das habe das Urteil 2017 gezeigt, gerieten schnell in Konflikt mit dem Gesetz. Damals war eine Gießener Ärztin wegen ihrer Webseite mit Abtreibungsinformationen verurteilt worden.