Existenzen stehen auf dem Spiel

Besorgte Mienen: Mittelständler fühlen sich von der Krisenpolitik zu wenig wahrgenommen, bei einem Termin mit den Bundespolitikern Lars Klingbeil und Falko Mohrs schildern sie eindrücklich ihre schwierige Situation. Foto: ari

Wenn ein Bundestagsabgeordneter Unternehmen seines Wahlkreises zum Runden Tisch lädt, ist das in gewöhnlichen Zeiten eher unspektakulär. Oft geht es um spezielle Interessen einzelner Branchen. Aber die Zeiten sind nicht normal. Das zeigte sich im gut gefüllten Saal des Hotel Meyn in Soltau daran, dass Vertreter ganz unterschiedlicher Branchen das Gesprächsangebot des heimischen Bundestagsabgeordneten Lars Klingbeil und seines Fraktionskollegen Falko Mohrs aus Wolfsburg (beide SPD) wahrnahmen. Und jeder von ihnen, das wurde schnell klar, hatte einen guten Grund.Die aufziehende Wirtschaftskrise, gespeist aus hoher Inflation, drohender Gasknappheit und gestörten globalen Lieferketten, holt alle ein.

Der im Heidekreis dominierende Mittelstand, durch die wirtschaftlichen Corona-Folgen ohnehin geschwächt, gerät in Not. Viele Betriebe im Heidekreis plagen existenzielle Sorgen, darunter Traditionsunternehmen wie G. A. Röders in Soltau und das Capitol-Kino in Walsrode.

Klingbeil rechtfertigte noch einmal die Reaktion der Bundesregierung auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Das Publikum zeigte sich aber bereits gut informiert und hatte keinen Bedarf an Grundsatzdebatten. Die Diskussion wurde schnell sehr konkret und auch bedrückend.

„Der gesamte Mittelstand wurde vergessen“

In bisherigen Rettungspaketen „wurde der gesamte Mittelstand vergessen“, klagte Caterina Künne. Die Inhaberin der „Herzensbäcker“-Kette aus Hannover ist so etwas wie das Gesicht des Mittelstandsprotests gegen die Krisenpolitik, sie war schon Gast von Frank Plasberg bei „Hart aber Fair“, verantwortet eine erfolgreiche Kampagne in den sozialen Medien. In Soltau brachte sie zusammen mit Eckehard Vatter vom gleichnamigen regionalen Bäckerei-Familienbetrieb einmal mehr die bedrohliche Lage ihres Handwerks zur Sprache. Explodierende Energie- und Rohstoffpreise könnten dazu führen, dass sich der Betrieb bald nicht mehr rechnet – spätestens seit Wirtschaftsminister Robert Habeck in der Sendung von Sandra Maischberger Bäckereien etwas ungelenk befristete Schließungen als Alternative zu Insolvenzen in Aussicht stellte, ist die dramatische Situation der Branche allgemein bekannt.

Angesichts weiter steigender Inflationsraten und explodierender Gas- und Strompreise arbeitet die Bundesregierung an einem weiteren milliardenschweren Entlastungspaket. „Es soll kleine Einkommen, die arbeitende Mitte als auch Unternehmen entlasten“, heißt es auf der Internetseite des Finanzministeriums. An den entscheidenden Gesprächen im Bundeswirtschaftsministerium nehmen für die SPD auch Parteichef Klingbeil und Mohrs, Mitglied des Wirtschaftsausschusses, teil. In Soltau hatten die Unternehmer Gelegenheit, den Bundespolitikern ihre Wünsche mit auf dem Weg in die Bundeshauptstadt zu geben.

Dabei wurde deutlich, wie schwer es sein wird, zielgenau zu entlasten. Die Angst vor ruinösen Folgen der drohenden Rezession hat nahezu alle Branchen erfasst. Im Saal meldeten sich unter anderem Vertreter aus der Gastronomie und Hotelwirtschaft, der Fitness- und Freizeitbranche, der Industrie, Logistik und Kinowirtschaft zu Wort und meldeten Unterstützungsbedarf an. Gut möglich, dass einige von ihnen den Winter wirtschaftlich nicht überleben werden. „Irgendwann nächstes Jahr schließe ich nach sechs Generationen die Tür des Unternehmens für immer zu“, sagte etwa Andreas Röders. Die 1814 gegründete mittelständische Gießerei R. A. Röders in Soltau ist auf kalkulierbare Energiepreise angewiesen. „Ein Energiepreisdeckel würde uns auf jedem Fall helfen“, machte Röders deutlich, dass er natürlich auf einen Weiterbetrieb hofft.

Letztes kommerzielles Kino im Heidekreis bangt um seine Zukunft

Bei Gießereien und Bäckereien liegt auf der Hand, dass explodierende Gas- und Strompreise sie ohne Stützungsmaßnahmen schnell in den Ruin führen. Sie sind in ihren Öfen auf hohe Temperaturen angewiesen und können Kosten nur begrenzt an ihre Kunden weiterreichen. Aber auch ganz andere Branchen geraten in bedrohliche Schieflage. So beschrieb zum Beispiel Kiro Feldmann die Lage in seinem Fitness-Studio in Bad Fallingbostel. „Die gestiegenen Energiekosten zwingen uns, Beiträge zu erhöhen, das hat dann ein Sonderkündigungsrecht zur Folge.“ Es sei zu befürchten, dass Bestandskunden verloren gehen. Die Bundesregierung habe richtig reagiert auf den Krieg in der Ukraine, findet Feldmann. „Aber es war doch klar, welche wirtschaftlichen Folgen das haben wird“, wirft er der Politik Kurzsichtigkeit vor. Einen Rettungsplan brauche man jetzt, nicht erst in einem halben Jahr.

Auch die Hotellerie, die sich nach dem Wegfall der Corona-Beschränkungen zuletzt rasch zu erholen schien, droht erneut in eine Krise zu schlittern. „Die Nachfrage bricht total ein“, berichtete Reimer Eisenberg, Direktor des Tagungshotels Anders in Walsrode. Ein Hotelier aus dem Nachbarlandkreis Rotenburg bestätigte die trüben Aussichten der Branche. In seinem Haus, dem Kräuterhotel Heidejäger in Mulmshorn, werde es „definitiv wieder Kurzarbeit geben.“ Er wisse nicht, wie er sein Personal in den Wintermonaten beschäftigen und bezahlen solle. Der Betreiber des Campingplatzes Auf dem Simpel nahe des Heide-Parks berichtete, dass er Energie teurer einkaufen musste, als die Camper ihn bezahlten. Weil das nicht lange gut gegangen wäre, mussten Preise während des Aufenthalts angehoben werden. Und auch im Kino Capitol, dem letzten verbliebenen kommerziell betriebenen Lichtspielhaus im Heidekreis, könnte bald der letzte Vorhang fallen. Nach 96 Jahren. „Ich möchte eigentlich in vier Jahren das 100-jährige Bestehen feiern, aber im Winter wird kein wirtschaftlicher Betrieb mehr möglich sein“, erklärte Kino-Betreiber Günther Scheele. Die Besucherzahlen hätten sich bis heute nicht von den Folgen der Pandemie erholt.

Klingbeil gelobt „maximalen Pragmatismus"

Es gab noch weitere Wortmeldungen, etwa von einem Logistikunternehmer aus dem Landkreis Harburg, dessen mit Flüssiggas betriebener Fuhrpark nun zugunsten geleaster Dieselfahrzeuge stillsteht und der für seinen Betrieb „keine Zukunft mehr sieht“; von einer Druckerei im Landkreis Rotenburg, die unter den steigenden Papierpreisen leidet; und auch vom Weltvogelpark Walsrode. Für das kommende Jahr rechnet dieser mit einer Million Euro Mehrkosten allein für Energie.

Klingbeil und Mohrs hörten sich die Berichte an und machten sich Notizen. Für ihn sei klar, das es bei der Krisenbewältigung auf maximalen Pragmatismus ankomme, sagte Klingbeil. Die „Zurückrüstung“ von Gasbetrieb auf Öl müsse dort, wo es geht, möglich gemacht werden. Auch der befristete Weiterbetrieb der letzten am Netz befindlichen deutschen Atomkraftwerke könne helfen. Des weiteren soll es deckelnde Eingriffe in den Gas- und Strommarkt geben und die vereinfachten Zugänge zu Kurzarbeitergeld sollen erhalten bleiben. Bei der Entlastung von Unternehmen müsse es um tatsächliche Belastung, zum Beispiel auch durch gestiegene Einkaufspreise gehen.

Dass in der Ampel vieles noch umstritten sei, räumten die Politiker ein. Man müsse für Mehrheiten kämpfen, warben sie um Verständnis, dass die Bundesregierung nicht wie ein Unternehmen agieren könne. Dass man zu spät komme mit konkreten Entlastungen war eine große Sorge im Publikum, und auch dass die Krise extremen Kräften wie der AfD Auftrieb geben könnte.