So niedlich und doch so schädlich

Für die meisten Menschen sind Waschbären possierliche Tierchen. Aber wenn sie in Häuser eindringen und dort große Schäden verursachen oder die Gelege von anderen Wildtieren rauben, ändert sich ihr Ansehen schnell. Foto: Fotostock

Sie sehen putzig aus, sind clever und äußerst anpassungsfähig – doch ihre Vermehrung bereitet den Jägern in Munster zunehmend Sorgen: die Waschbären. „Der Befall ist immens“, sagt Peter Westermann, Leiter des Hegerings. Seit Beginn des Jagdjahres am 1. April seien mehr als 70 Waschbären im Stadtgebiet erlegt worden. „Vorletztes Jahr hatten wir null, im vergangenen Jahr waren es 26. Jetzt liegen wir schon bei über 70 – das ist eine Entwicklung, die alarmiert.“

Westermann hätte sich gewünscht, dass die Situation früher öffentlich thematisiert wird. „Bürgermeister Ulf-Marcus Grube hatte das in einer Ratssitzung kurz mit einer Folie erwähnt. Schade war nur, dass ich vorher gar nicht informiert wurde. Man hätte mehr dazu sagen können, um aufzuklären“, sagt er.

Die Jäger im Hegering sind gesetzlich verpflichtet, die Tiere zu bejagen. „Es handelt sich um eine invasive Art, die gestreckt werden muss – bedauerlicherweise“, erklärt Westermann und fügt hinzu: „Uns Jägern macht das längst keine Freude mehr. Aber wir müssen handeln.“ Der Waschbär stammt ursprünglich aus Nordamerika und hat sich in Deutschland seit Jahrzehnten stark verbreitet. Seine Anpassungsfähigkeit macht ihn zum Überlebenskünstler – allerdings mit gravierenden Folgen für heimische Arten. „Der Waschbär holt sich die Gelege der Vögel, die Eichhörnchen, einfach alles“, sagt Westermann. „Wer ihn niedlich findet, hat ihn noch nicht im Haus erlebt.“

Fütterung ist ein Hauptproblem

Ein zentraler Punkt, den Westermann immer wieder betont, ist der falsche Umgang vieler Menschen mit Wildtieren. „Es sind viele Fehler, die seitens der Bevölkerung gemacht werden. Diese Tiere sind keine possierlichen Gesellen, die man füttern sollte“, sagt er. Die Angewohnheit, Tieren Futter anzubieten, beginnt oft harmlos – mit Vogelfutter oder Fallobst im Garten. „Viele Menschen füttern Vögel, Igel oder Katzen das ganze Jahr über. Die Waschbären springen dann von Gartenzaun zu Gartenzaun und räumen diese Futterstellen ab. Das ist wie ein gedeckter Tisch für sie“, erklärt der Hegeringleiter.

Manche Menschen suchten sogar aktiv den Kontakt. „Wir haben Fälle, da klopfen alleinstehende Personen an die Fensterscheibe, um die Waschbären anzulocken“, erzählt Westermann. „Sie freuen sich, dass überhaupt jemand – oder etwas – zu ihnen kommt. Das zeigt: Wir haben hier nicht nur ein wildbiologisches, sondern auch ein gesellschaftliches Problem.“

Die zunehmende Nähe der Tiere zum Menschen hat Folgen: Waschbären dringen in Dachböden, Schornsteine oder Nebengebäude ein. „Wir hatten Tiere mit acht Kilo Gewicht in Fallen – auf Spitzböden oder sogar im Schornstein“, berichtet Westermann. „Der Schaden ist enorm, wenn sie einmal Zugang gefunden haben.“

Auch zwischen Nachbarn komme es inzwischen zu Konflikten. „In Doppelhaussiedlungen gibt es Streit, weil die einen füttern und die anderen unter den Folgen leiden“, sagt er. Besonders schwierig sei es, alte Gewohnheiten zu verändern: „Erst wenn der Schaden da ist, werden die Leute hellhörig.“

Neben den Waschbären nehmen auch andere Probleme zu. „Durch das viele Füttern holen wir uns automatisch auch Ratten in die Gärten“, so Westermann. „Oft kommt eins zum anderen. Und dann wundern sich die Leute, warum plötzlich überall Nager sind.“ Er appelliert eindringlich an die Bevölkerung, die Fütterung von Wildtieren einzustellen. „Wir berauben diese Tiere ihrer natürlichen Fähigkeiten, selbst nach Futter zu suchen. Und wir schaffen Bedingungen, die unsere heimische Tierwelt massiv gefährden.“

Trotz seiner klaren Worte bleibt Westermann spürbar betroffen. „Für mich als Hegeringleiter und Jäger ist das ganz schwere Kost“, sagt er leise. „Wir lieben die Natur, wir lieben die Tiere. Aber wir müssen Verantwortung übernehmen – auch, wenn das manchmal heißt, Entscheidungen zu treffen, die wehtun.“

Die Ausbreitung der Waschbären hat im Heidekreis inzwischen ein Ausmaß erreicht, das nicht länger allein lokal lösbar ist. Kreisjägermeister Thomas Brammer bestätigt die Entwicklung: „Munster ist sicherlich eine Spitze, aber wir haben auch sehr viele Probleme sonst in der Fläche. Eigentlich ist der Waschbär flächendeckend da.“

Brammer nennt mehrere Ursachen: große Waldflächen, Bundeswehrgelände und dünn besetzte Reviere bei Forst und Militär hätten über Jahre dazu geführt, dass die Bestände immer weiter angewachsen seien. „Das holt uns jetzt richtig ein, weil über die Jahre dann zu wenig passiert ist und man hat das Ganze ein bisschen unterschätzt“, sagt er.

Konkrete Maßnahmen: Fallen, Abfangkörbe, Fallenmelder

Um die Situation zu entschärfen, hat der Landkreis zugesagt, die Hegeringe finanziell zu unterstützen. Insgesamt gibt es 19 Hegeringe im Kreis, jeweils zwei Fallen pro Hegering sollen künftig angeschafft werden. Dazu kommen Abfangkörbe und Fallenmelder, die das Handling erleichtern sollen. Brammer: „Der Landkreis wird pro Hegering zwei Fallen sponsern, die für Waschbären und Marder eingesetzt werden sollen. Dazu kommt ein sogenannter Abfangkorb und ein Fallenmelder.“

Die Angebote seien bereits eingegangen, die Auswahl und Vergabe werde in den kommenden Tagen besprochen. Ziel sei, pro Hegering ein Einsatzteam zu etablieren, bei dem Kommunen, Ordnungsamt und Bürger direkt melden können. „Dann soll das auch wirklich losgehen“, so Brammer. Zugleich hofft er auf zusätzliche Unterstützung seitens der Kommunen, damit Ausstattung und Anreize für Ehrenamtliche passen.

Ein zentrales Hemmnis ist die rechtliche Lage in sogenannten befriedeten Bezirken (Siedlungsgebiete). Brammer hat deshalb auf Landesebene einen Leitfaden angestoßen: „Ich habe den Präsidenten gebeten, dass wir einen Leitfaden bekommen zur Waschbär- und Marderbejagung in befriedeten Bezirken. Dass alle dann auch über die gleichen gesetzlichen Grundlagen sprechen.“ Der Leitfaden, so die Absicht, soll die wichtigsten Regeln knapp und praxisnah auf zwei DIN-A4-Seiten zusammenfassen – als Handlungsanleitung für Fallennutzer und Ansprechpartner vor Ort.

Kastration und Freilassen: Keine Lösung

Brammer nimmt auch Stellung zu Konzepten wie Kastration und Wieder-Aussetzen: „Das ist alles völlig kontraproduktiv“, sagt er. Sein Argument: Eingriffe und das anschließende Aussetzen invasive Arten lösen nicht das Problem der Schäden, die Tiere während ihrer Lebenszeit anrichten. Wissenschaftliche Studien zeigten, dass Waschbären erhebliche Bestandsverluste bei Vögeln, Kleinsäugern und Amphibien verursachen könnten.

Brammer schildert praktische Erfahrungen: Fallen müssten je nachdem nur wenige Stunden bis mehrere Tage stehen. „Manchmal geht das innerhalb von Stunden. Wenn nicht nur ein Waschbär gefangen wird, sondern die ganze Familie, geht das auch ruckzuck nacheinander.“ Wichtig sei, die Tiere schnell zu entnehmen, damit Fallen nicht „geschlaucht“ würden.

Er berichtet auch von Einzelfällen, in denen Betroffene lange auf Hilfe gewartet hätten: „Ich hatte einen älteren Herrn aus Soltau, der hatte mich über eine längere Zeit angerufen. Ich konnte ihm aber keine Lösung anbieten, weil wir in der Stadt von Soltau keinen gefunden haben, der sich der Sache angenommen hat. Wir haben jetzt aber einen Jäger, der einen Fallenschein hat.“ Genau solche lokalen Einsatzkräfte will Brammer landesweit fördern.

Brammer macht deutlich, dass ein großer Teil des Problems menschengemacht sei: Freizeitfütterung von Vögeln, Katzen oder Igeln locke Waschbären an und schaffe Nahrungsinseln, die die Tiere zur Reproduktion nutzen. Das führe zu Rattenproblemen und Nachbarschaftskonflikten. Sein Appell ist klar: „Die Leute müssen wirklich sehr umtriebig sein, wenn wir das voranbringen wollen.“ Und: Fütterungen, Fallobstansammlungen und offene Futterstellen müssten reduziert werden, damit die natürliche Scheu der Tiere erhalten bleibe.

Andree KüselKommentieren