„Historisch beispielloser Absturz der Kommunalfinanzen“

In den vergangenen zehn Jahren stiegen die Ausgaben der Kommunen im Sozialbereich stark an, zum Beispiel bei der Hilfe zur Pflege, der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und den Kita-Kosten.

Steuern Flugzeuge auf eine Gewitterfront zu, stellt sich dem Piloten immer die gleiche Frage: Um- oder durchfliegen? Umfliegen ist sicherer, weil es Turbulenzen vermeidet. Manchmal ist das Umfliegen aber nicht möglich. Dann wird es ungemütlich. Auch für die Pilotencrew, vor allem aber für die Passagiere.

Jens Grote spricht beim Blick auf den Kreishaushalt zwar nicht von einer Gewitterfront, wohl aber von „sehr unruhiger See“, auf die man zusteuere (BZ vom 6. November). Ob Cockpit oder Kommandobrücke: Der Landrat sieht, dass sich ein Sturm zusammenbraut, der sich weder umsegeln noch umfliegen lässt. Und damit steht er nicht allein. In den Rathäusern, nicht nur im Heidekreis, macht sich in diesen Wochen bei den Haushaltsberatungen Frust breit über eine Verschlechterung der Finanzlage, die man, so die Lesart der Kommunen, weder zu verantworten habe noch aus eigener Kraft abwenden könne.

Im vergangenen Jahr verzeichneten die Kommunen in Deutschland ein Rekorddefizit, das größte Minus seit der Wiedervereinigung, fast 25 Milliarden Euro. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) erwartet, dass schon 2026 die 30-Milliarden-Grenze überschritten wird. „Die Kommunen stehen vor dem finanziellen Kollaps, ein Rekorddefizit jagt das nächste“, beschrieb Dr. Bernhard Gmelhing, Vorsitzender des DStGB-Ausschusses für Finanzen und Kommunalwirtschaft, während der jüngsten Sitzung des Gremiums die Aussicht auf die kommenden Jahre. Die Ausgaben übersteigen die Einnahmen immer mehr und verzehren die Rücklagen. Gefahren wird auf Verschleiß. „Viele Kommunen werden vor der Situation stehen, dass ihre Schulden höher sind als ihre Infrastruktur wert ist“, warnen die drei kommunalen Spitzenverbände DStGB, Deutscher Landkreistag und Deutscher Städtetag in einer Erklärung. „Wir erleben einen historisch beispiellosen Absturz der Kommunalfinanzen“, so der stellvertretende DStGB-Hauptgeschäftsführer Uwe Zimmerman.

Vor allem Ausgaben für Personal und Sozialleistungen steigen ungebremst – eine Dynamik, die die Kommunen selbst kaum beeinflussen können. Fast trotzig erklärte Landrat Grote daher diese Woche im Wirtschaftsausschuss, dass lokale Sparanstrengungen für ihn trotz eines Fehlbetrags im Haushaltsentwurf für 2026 von 29 Millionen Euro keine Option sei. „Das, was wir in der Vergangenheit falsch gemacht haben – nicht zu investieren in unsere Infrastruktur – ist nicht der Vorschlag, den wir als Kreisverwaltung machen“. Notwendig sei, dass Land und Bund die bei den Kommunalfinanzen entstandene „Misere“ strukturell angehen – und nicht, „dass wir uns hier kaputtsparen“.

Steigende Personal- und Sozialausgaben

Bei den Kostensteigerungen im Sozialbereich geht es nicht so sehr ums viel diskutierte Bürgergeld, dessen Kosten überwiegend der Bund trägt. Allein die Kita-Ausgaben der Kommunen haben sich in den vergangenen zehn Jahren bundesweit mehr als verdoppelt, stark gestiegen sind im gleichen Zeitraum zum Beispiel auch die Eingliederungshilfe für Behinderte (plus 66 Prozent) und die Hilfe zur Pflege (33 Prozent). Hinzu treten steigende Personalkosten. Zum einen steigen die Löhne, zum anderen müssen Verwaltungen Personal aufstocken, um immer umfangreichere Aufgaben zu erfüllen. Es sind Kostenblöcke, die die Kommunen selbst kaum beeinflussen können. Sie hängen an Tarifverträgen und Rechtsansprüchen, die die Kommunen zu erfüllen haben.

Andre RicciKommentieren