„Frieden, aber nicht um jeden Preis“
„Unruhig, ungewohnt, unbequem – Führen(d) in ungewissen Zeiten“, unter diesem Motto referiert Dr. Klaus Schweinsberg beim ersten Wirtschaftslunch der Volksbank Lüneburger Heide. Foto: VBLH
Vor der malerischen Kulisse der Seeterrasse in Behringen hat die Volksbank Lüneburger Heide ihr neues Format „Wirtschaftslunch“ eröffnet. Dazu hat die Bank mit Wirtschaftsprofessor Klaus Schweinsberg direkt einen Redner eingeladen, der für klare Worte bekannt ist. Schon mit einem Satz macht er deutlich, worum es ihm geht: „Wenn alles ungewiss ist, ist alles möglich.“ Eine Feststellung, die er nicht nur als Hinweis auf geopolitische Entwicklungen gemeint wissen will, sondern sogar als Empfehlung für die private Geldanlage. Nur auf höchste Renditen zu setzen sei riskant, betont er – breite Streuung sei in unsicheren Zeiten der vernünftigere Weg. „Nicht das Dümmste“, fügt er lakonisch hinzu.
Doch der erste spontane Applaus des Vormittags gilt nicht ihm, sondern einem Zuhörer, der nachfragt, warum in der Rede bisher kein einziges Mal das Wort Frieden gefallen sei. Schweinsberg, Wirtschaftsprofessor, Gründer des Centrums für Strategie und höhere Führung, Oberst der Reserve und regelmäßiger Gast auf internationalen Sicherheitskonferenzen, nimmt den Ball später ausführlich auf. Zunächst jedoch setzt die Veranstaltung mit einer Videobotschaft von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) ein, der die regionale Bankenlandschaft lobt. Im Publikum sitzt mit Wirtschaftsvertretungen und -vertretern der Region auch CDU-Bundestagsabgeordnete Vivian Tauschwitz.
Volksbank-Vorstandssprecher Ulrich Stock nutzt die Bühne, um Herausforderungen aus Sicht seines Hauses zu benennen. Die Rückkehr der Zinsen sei zwar positiv, doch die Regulierung sei „ausgeufert“, und kaum jemand lese die umfangreichen Berichte, die Banken inzwischen erstellen müssten. Er fordert mehr Pragmatismus – auch, um Zeit und Energie auf das zu richten, was Kundinnen und Kunden tatsächlich nachfragen.
Diese wiederum erwarteten zunehmend digitale Angebote. Die Volksbank investiere massiv in digitale Lösungen, „vom Girokonto bis zur Pferdeoperationsversicherung“, sagt Stock. Die doppelte App-Struktur sorge für Sicherheit, doch der Wettlauf gegen Hacker gleiche einem Hasen-und-Igel-Spiel. Gleichzeitig dürfe man diejenigen nicht verlieren, deren digitale Kenntnisse bei Whatsapp endeten. Der Staat gehe davon aus, dass künftig alle Bürger souverän mit digitalem Euro und Behördendienstleistungen umgehen könnten. Eine Diskrepanz, die Stock klar benennt und zu der auch die Volksbank Hilfestellung geben will.
Als Schweinsberg ans Rednerpult tritt, spannt er in freier Rede den Bogen deutlich weiter. Er zitiert Lothar Matthäus, Monaco-Franzl und Karl Valentin und mahnt: „Den Sand nicht in den Kopf stecken.“ Die Illusion von Sicherheit, Wohlstand und demokratischer Stabilität sei vorbei. Russland habe längst auf Kriegswirtschaft umgestellt; dort würden monatlich 500.000 Schuss Artilleriemunition produziert. Rheinmetall habe sich in Unterlüß feiern lassen, 350.000 Schuss im Jahr zu schaffen. „Wir sind losgelaufen“, sagt Schweinsberg, „aber in Russland ist der Zug aus dem Bahnhof.“ Eine direkte Bedrohung Deutschlands sehe er zwar nicht, wohl aber für das Baltikum.
Mit ebenso kritischem Blick betrachtet er China. Das Land verfüge inzwischen über die größte Kriegsmarine der Welt, über eine Luftwaffe auf Augenhöhe mit der der USA und arbeite zielstrebig an der Dominanz im Weltraum. Längst sei China nicht mehr nur nach innen gerichtet. „Panzer sind Altmetall, wenn man im All nicht mitspielt“, fasst Schweinsberg die strategische Dimension zusammen.
Auch wirtschaftlich sieht er Deutschland unter Druck. Seit 2019 gebe es kein Wachstum mehr, seit 2012 fehlten Investitionen im eigenen Land. Der Wohlstand bröckele, während China industriell aufhole und Deutschland zunehmend mit Billigprodukten überflute – hergestellt mit Kernkompetenzen, die es hierzulande einst gab. Vor allem die Automobilindustrie stehe vor einer „harten Abbruchkante“. Auch im Chemiesektor sehe es düster aus. Er fordert eine ehrliche Bestandsaufnahme, eine entschlossene digitale Transformation und klare Schwerpunktsetzung in Forschung und Entwicklung. „Wir müssen in die Puschen kommen“, ruft er den Unternehmensvertretern zu.
Auch Unternehmen der Region könnten gefordert werden
Besonders eindringlich spricht Schweinsberg über die gesellschaftliche Resilienz. Deutschland befinde sich in einer Pre-War-Phase: Das bedeute nicht, dass ein Krieg unmittelbar bevorstehe, aber dass Vorbereitung und die Wehrpflicht nötig seien. Verantwortung liege dabei nicht nur beim Staat, sondern auch bei den Unternehmen. Sie sollten wissen, wer ihrer Mitarbeiter über Fahrerlaubnisse der Bundeswehr verfüge, wer sich ehrenamtlich bei THW, DRK oder Feuerwehr engagiere, wer Reservist sei – und diese auch gerne einmal ehren. „Aber Freiwilligkeit wird nicht reichen“, sagt Schweinsberg. Komme es zu einem Angriff im Baltikum, werde Personal fehlen – und Unternehmen müssten darauf vorbereitet sein, dass auch Material wie Baumaschinen angefordert werden könnten. Niedersachsen würde zur logistischen Drehscheibe, Autobahnen könnten gesperrt sein. „Pre-War ist nicht nur mit Geld zu lösen“, forderte Schweinberg ein „Umparken im Kopf“ von jedermann.
Auch das Gemeinwesen sieht er in der Pflicht. „Das funktioniert nur, wenn sich alle einbringen.“ Die Zeit, in der man Unternehmen „in Watte gepackt“ habe, sei vorbei. Führung brauche Mut, Agilität und Selbstbewusstsein. Sicherheit, Wohlstand und Demokratie seien keine stabilen Zustände. „Es braucht gemeinsame Anstrengungen“, lautet sein Appell.
Als schließlich die Frage nach dem Frieden gestellt wird, reagiert Schweinsberg unmissverständlich: Sein Ziel sei Frieden – doch Frieden sei nicht um jeden Preis zu haben. Der Zustand sei heute kriegerischer als noch vor wenigen Jahren, „und nicht, weil die Bundeswehr wahnsinnig aufgerüstet hat“. Sabotage, Spionage und die bewusste Spaltung von Gesellschaften seien längst Teil moderner Kriegsführung. „Ich halte es für unverantwortlich, nicht über Krieg nachzudenken“, sagt er. „Von Frieden kann man träumen, aber wenn jemand nicht so friedlich ist, muss man vorbereitet sein.“ Und fügt hinzu: „Ich hoffe, ich liege falsch.“