Daumen raus, bis es zu anstrengend wird

25 Länder in zwei Jahren haben die beiden Soltauer bereist.

Nach fast zwei Jahren auf Weltreise sind Pauline Kalender und Ole Maaß Ende vergangenen Jahres mehr oder weniger heimlich nach Soltau zurückgekommen, um ihre Familien zu überraschen. Diese rechneten erst zwei Wochen später mit ihnen.

Die Welt auf klimafreundliche Weise erkunden. Das war das Ziel der heute 29-jährigen Soltauerin und ihres 30-jährigen Freundes, ebenfalls aus Soltau. 25 Länder haben sie am Ende bereist. Dafür haben sie den Daumen rausgesteckt und sind getrampt – selbst in China. Sie waren mit dem Fahrrad unterwegs oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Die Böhme-Zeitung sprach während der Reise häufiger mit Kalender und Maaß und berichtete darüber. Nun zurück, erzählen die beiden aber nicht nur von der Reise, sondern geben auch einen Ausblick auf ihre nächsten Vorhaben.

Wie war denn die Rückkehr nach Soltau?

Pauline Kalender: Wir sind mit dem Zug zurückgekommen und mit Kapuzen über dem Kopf durch die Stadt geschlichen, damit uns niemand erkennt. Wir wollten unsere Familien überraschen.

Und ist das gelungen?

Pauline Kalender: Ja, die Überraschung ist auf jeden Fall gelungen. Das war zu Nikolaus und alle waren total aus dem Häuschen. Sie konnten es kaum glauben, dass wir wirklich wieder da sind. Obwohl meine Mama meinte, sie habe es gewusst. Und meine Schwester stand nur da und sagte, ich könne nicht lügen.

Ole Maaß: Meine Eltern waren tatsächlich ein bisschen besser vorbereitet, die haben nicht so stark reagiert. Aber die Freude war groß. Und dann habe ich meine Schwester in Flensburg besucht und überrascht. Es war wunderbar und total surreal.

Also zurück im richtigen Leben, oder?

Ole Maaß: Ja, im Alltag. Es ging dann sehr schnell, dass wir wieder hier waren, obwohl wir ja schon langsam unterwegs waren. Wir dachten uns, wenn man so eine lange Reise macht und dann wirklich fliegt und ankommt, ist das bestimmt noch einmal krasser.

Pauline Kalender: Wir sind durch viele Länder zurückgereist, in denen wir schon gewesen sind, und konnten so von jedem Land nochmal Abschied nehmen. Das war echt schön. Wir haben Menschen wiedergesehen, die wir unterwegs kennengelernt hatten. In einem Hostel war zum Beispiel immer noch derselbe Bewohner. Auch die Besitzer waren noch dieselben, gerade dort wo wir uns auf dem Hinweg länger aufhielten. Das war ein richtig schönes Wiedersehen und ein guter, emotionaler Abschluss dieser sehr langen Reise.

Wie lange seid ihr insgesamt unterwegs gewesen?

Ole Maaß: 20 Monate.

Und der Rückweg, wie hat das funktioniert? Seid ihr wieder getrampt oder ging es noch schneller voran?

Pauline Kalender: Wir wollten trampen. Aber wir sind zum Ende hin nochmal krank geworden. Wir waren in Georgien, das lag auf der Hinfahrt etwa zehn Tramp-Tage von Europa entfernt. Dort haben wir anderthalb Wochen im Zimmer verbracht und wollten eigentlich die ganze Zeit schon nach Hause. Irgendwann stand fest, dass wir, auch weil wir angeschlagen waren, nicht trampen, sondern hauptsächlich mit Bussen fahren. Nur ein kleines Stück von Istanbul nach Sofia sind wir getrampt, als kleine Abschiedstramp-Runde. Das war nochmal schön. Da hatten wir noch die üblichen Trampgespräche mit den Leuten.

Ole Maaß: In der Türkei haben uns drei junge Männer mitgenommen, die auf der Autobahn versuchten, ein deutsches Auto für uns anzuhalten, damit wir direkt mitsamt unserem Gepäck nach Deutschland kommen. Das hat leider nicht geklappt. Die Frau am Steuer hat das Anliegen nicht verstanden. Beim Trampen ist es das Schöne, aber auch das Anstrengende, dass man eine hohe Flexibilität haben muss. Wenn man dann krank ist und notcampen muss, irgendwo im Winter, ist das unangenehm.

Und wie ging es dann weiter?

Pauline Kalender: Wir sind mit dem Nachtbus von Sofia nach Leipzig gefahren und dann in den Zug umgestiegen. Das war verrückt: Wir sind morgens in Sofia in den Bus gestiegen und waren am nächsten Morgen schon in Deutschland. Auf der Hinfahrt standen wir für dieselbe Strecke sieben Tage lang an der Straße, und jetzt ging es auf einmal so schnell. Klar, mit dem Flugzeug ginge es noch schneller.

Ole Maaß: In Europa war dann alles fest organisiert, und wir haben gesehen, dass es sogar direkte Busse gibt, mit denen man einmal umsteigen kann und schon in Georgien ist. In Sofia selbst sind wir direkt in die Weihnachtsstimmung reingekommen, es gab einen Weihnachtsmarkt mit erzgebirgischer Volkskunst und Glühwein.

Pauline Kalender: Das war total verrückt und hat uns so sanft zurück nach Deutschland begleitet.

Ole Maaß: Das war ein weicher Übergang.

Zurück ins kalte Deutschland.

Pauline Kalender: Kalt war es davor auch schon. In Pakistan waren wir im Herbst immer über 3000 Meter hoch. Mittags brannte die Sonne, nachts wurde es richtig kalt. Zuvor hatten wir in Asien monatelang 40 Grad und mehr, teilweise 45 Grad, da freuten wir uns auf kühlere Temperaturen.

Ole Maaß: Das sieht man nie auf Instagram. Über die Kälte haben wir uns schon gefreut.

Pauline Kalender: Eine Nacht auf der Rücktour in Kirgistan waren es minus zwölf Grad. Wir hatten nur eine kleine Elektroheizung, und häufig Stromausfälle. Da haben wir uns schon mal wieder wärmere Orte herbeigesehnt. Trotzdem war es schön, diesen Wintereinbruch wieder zu erleben. Das hatten wir fast zwei Jahre nicht.

Ole Maaß: Da sind auch Trucks im Schnee steckengeblieben. Die Fahrer haben sich gegenseitig gefragt, welche Route frei ist.

Aber da seid ihr nicht mehr mit Fahrrädern unterwegs gewesen?

Ole Maaß: Nein. Die haben wir in Malaysia verkauft, weil es zu gefährlich wurde. Aber auch weil Indonesien super groß ist und es so heiß war. Wir haben ein Hostel gefunden, der Besitzer war glücklich über die Fahrräder für seine Gäste. Die könnten damit dann nach Kuala Lumpur reinfahren.

Wirklich, Radfahren in Kuala Lumpur?

Pauline Kalender: Da gibt es wirklich viele Fahrradwege. Es war die einzige Stadt in Südostasien, die das hatte. Und viele professionelle Rennradfahrer waren dort unterwegs.

Was waren für Euch gefährliche Situationen mit dem Rad?

Ole Maaß: Die Leute fuhren eng vorbei und dann gab es noch Lkw-Fahrer, die einen erst sehr spät sahen. Das war uns zu heikel.

Pauline Kalender: Und es gab keine Seitenstreifen, die Leute überholen dicht, und bei Schlaglöchern im Asphalt kann das schnell gefährlich werden, vor allem mit Gepäck. Einmal in den Bergen, neben einer Abbruchkante, wurde es wirklich brenzlig, als ein Lkw sehr spät ausgewichen ist. Da haben wir uns gesagt: Lieber wieder den Bus nehmen.

Ole Maaß: Es war trotzdem ein tolles Kapitel, so lange mit dem Rad zu reisen, und wir können es ja jederzeit wieder machen.

Ziel war ja ohnehin, zu trampen.

Ole Maaß: Unser primäres Ziel war es, ohne Flugzeug, also viel zu Fuß oder per Anhalter, unterwegs zu sein. In Indonesien sind wir wieder ein Stück getrampt, aber wir hatten da auch die längste Busfahrt unserer gesamten Reise, 48 Stunden am Stück.

Pauline Kalender: Der Fahrer hat nicht gewechselt. Und jedes Mal drehte er um drei Uhr morgens die Musik laut auf, um wach zu bleiben. Nach 48 Stunden sitzen waren unsere Füße total angeschwollen, alle haben sich in den Pausen draußen die Beine massiert. Im Indonesischen gibt es sogar ein eigenes Wort dafür, wenn die Füße bei einer Busreise anschwellen.

Ole Maaß: Danach haben wir noch ein paar kleine Tramp-Episoden eingeschoben, damit es nicht so ewig lange Busfahrten waren. Dann sind wir weiter nach Xinjiang getrampt, durch China.

Ist das überhaupt erlaubt?

Pauline Kalender: Ja, wir waren mit jemandem in Kontakt, die ist durch ganz China von Pakistan nach Vietnam getrampt. Im Osten Chinas ist es deutlich komplizierter wegen der großen Städte und Sprachbarrieren. Im Westen gibt es wenige Städte, also auch weniger Straßen, sodass du, wenn du einmal auf der richtigen Straße bist, oft gleich 500 Kilometer mitgenommen wirst. An unserem ersten Tag empfahlen uns alle ein Flugzeug oder einen Mietwagen, weil sie nicht verstanden, warum wir trampen. Aber sobald wir die richtige Straße erwischt hatten, sind wir 500, 600 Kilometer mit den gleichen Leuten gefahren. Das war toll. Eine Familie mit E-Auto hat unterwegs Campingstühle rausgeholt und kleine Picknicks gemacht. Und dann haben Leute häufig Essen geschenkt. Das war ganz normal für sie, Fremden etwas anzubieten.

Ole Maaß: Insgesamt haben wir in unseren zweieinhalb Monaten in China nur drei Leute getroffen, die Englisch konnten, darunter eine Englischlehrerin auf Sechstklässlerniveau. Sie hatten einen sehr kritischen Blick auf ihre eigene Regierung. In so einem Land, das für massive Überwachung bekannt ist, war das super spannend.

Pauline Kalender: China steht bei Pressefreiheit ja extrem weit unten. Diese Leute haben uns erzählt, dass sie ausländische Nachrichten über VPN lesen. Sie wissen von den Arbeitslagern für Uiguren in der Region Xinjiang. Sie können aber Zuhause mit niemandem darüber reden, nicht mit Freunden und auch nicht mit der Familie. Sie müssen jede Reise genehmigen lassen und dürfen sowieso nicht ins Ausland. Das war sehr spannend mit Leuten zu sprechen, die in dem System leben und wissen wie es funktioniert.

Ole Maaß: Viele in China glauben, es sei in jeder Demokratie völlig normal, dass man den Staat um Erlaubnis bittet, wenn man irgendwohin reisen möchte.

Da wundere ich mich: Gab es keine Repressalien, hat Euch niemand beobachtet?

Pauline Kalender: Oh doch. Im Osten von China in den großen Städten weniger. Im Westen, als wir das erste Mal nach China eingereist sind, waren wir total überfordert. Überall waren Überwachungskameras. An jedem kleinen Feldweg. Am ersten Tag wurden wir drei oder vier Mal von der Polizei auf der Straße kontrolliert. Mit Passkontrolle. Warum seid ihr hier? Wo schlaft ihr heute? Aber alles sehr freundlich. Die Polizei war immer höflich und freundlich.

Wie lief die Verständigung?

Pauline Kalender: Per Übersetzer, wir hatten da nie Probleme. Einmal hatten wir aber eine Situation, wo wir in Xinjiang gezeltet haben. Das war das vorletzte Mal, dass wir in China waren. Da haben wir uns sicher genug gefühlt, um das einzuschätzen, denn wir hatten davor schon ein paar illegale Sachen gemacht. Zum Beispiel darf man in Xinjiang nicht mit kurzer Hose unterwegs sein. Das wussten wir nicht. Da wurden unsere Pässe direkt registriert. Wir haben also möglichst versucht, außerhalb der Kamerabereiche zu zelten. Einmal hatten wir gerade aufgebaut, da kam ein Polizeiauto mit Sirene und Polizisten leuchteten das Gebiet ab. Wir kauerten uns geduckt ins Zelt und hatten echt Bammel.

Ole Maaß: Später ist uns klar geworden, dass dort wohl eine Art Konzentrationslager war. Und noch später auf der Rückreise sind wir dort wieder vorbeigekommen, da war das kleine Waldstück, in dem wir gezeltet hatten, komplett abgeholzt worden. Ob es zusammenhing, wissen wir nicht, aber es war ein komisches Gefühl.

Hattet ihr Angst?

Pauline Kalender: Als der Polizist uns gesucht hat, hatte ich Angst. Ich hatte mich auf den Boden gelegt, weil ich dachte, nachher schießt er noch.

Ole Maaß: Trotzdem hatten wir nie wirklich Ärger, wir haben nur gute Erfahrungen gemacht. Einmal hat uns die Polizei von der Autobahn mitgenommen, wir saßen 100 Kilometer im Streifenwagen, und sie setzten uns an einer guten Stelle zum Trampen wieder ab. Sagt Bescheid, wenn die Polizei noch was für euch internationale Freunde tun kann, haben sie zu uns gesagt. Das passt zur Strategie der Regierung. China öffnet sich immer mehr. Dennoch haben wir unseren Blogeintrag, in dem wir auch über die Uiguren geschrieben haben, erst veröffentlichen, als wir wirklich nicht wieder einreisen wollten. Da waren wir etwas eingeschränkt, wollten unsere Erfahrungen aber dennoch teilen.

Wie oft seid ihr in China gewesen und wollte niemand Eure Handys sehen?

Pauline Kalender: Wir waren sechsmal in China. Bei einer Ausreise wollten sie mein Handy sehen und haben Fotos durchgeschaut. Es war fast lustig: In dem Verhörraum standen riesigen lila Plüschsofas. Schließlich fragte die Beamtin nur noch, wie lange die Elternzeit in Deutschland ist. Ein anderes Mal sollte ich für ein Marketing-Video etwas vorlesen: „Ich bin an der chinesischen Grenze und liebe China.“ Wir konnten uns insgesamt frei bewegen. Allerdings sind wir vorsichtig mit heiklen Themen umgegangen, um niemanden vor Ort in Schwierigkeiten zu bringen.

Sollte man sich also gut vorbereiten, wenn man nach China will, oder braucht man nicht ganz so skeptisch sein?

Pauline Kalender: Gesunder Menschenverstand reicht aus. Als Ausländer wird man sehr gut behandelt. Dass man keine kritischen Dinge über ein Land sagt, wenn man in einer Autokratie unterwegs ist, ist klar. Man darf auch nicht alles fotografieren, in Russland zum Beispiel keine Regierungsgebäude oder Bahnhöfe. Ansonsten ist VPN super wichtig, damit man Apps runterladen und Nachrichten lesen kann. Die Sprachbarriere ist natürlich hoch und man sollte sensibel sein. Wir haben zum Beispiel nie von uns aus politische Themen angesprochen.

Ole Maaß: Insgesamt sind die Chinesen extrem hilfsbereit, freundlich und neugierig. Wir haben uns sehr wohl gefühlt und uns immer gefreut, wieder nach China zu reisen. Es ist eine andere Kultur, die total spannend ist. Es gibt riesige, abwechslungsreiche Landschaften. Man hat supergute Züge, die 350 Stundenkilometer fahren. Das ist wirklich irre. Überall werden Nudeln per Hand gemacht. In jedem kleinen Laden. Dort gibt es eine der besten Küchen der gesamten Reise.

Also keine Magenprobleme in China?

Pauline Kalender: Nein, dort eigentlich nicht. Wir hatten insgesamt acht Lebensmittelvergiftungen auf der Reise, gerade am Anfang, weil wir nicht wussten, worauf wir achten müssen.

Worauf muss man denn achten?

Pauline Kalender: Wir haben Probiotika für uns entdeckt – die stärken einfach die Magenschleimhaut noch einmal. Die meisten Vergiftungen hatten wir in Pakistan. Die schlimmste Vergiftung hatte ich in Laos, durch verdorbenen Tofu. Nach drei Tagen ging gar nichts mehr. Da hat mir ein Arzt aus Deutschland per Videocall Anti-Brechmittel und Probiotika empfohlen. Das hat dann geholfen, überhaupt hat das mit dem Videocall gut funktioniert. Sonst hatten wir noch ein paar leichtere Vergiftungen, aber nichts, was einen Krankenhausaufenthalt nötig gemacht hätte. Manchmal brauchst du Antibiotika, danach wieder Probiotika. Im Endeffekt mussten wir immer viel trinken, genug Salz zu uns nehmen. Das hat meist gut funktioniert.

Wo habt ihr die Probiotika bekommen?

Ole Maaß: Die bekommt man vor Ort überall sehr günstig, oft sogar speziell auf regionale Bakterienstämme abgestimmt. Das war richtig praktisch. Ab dann lief es deutlich besser, was Verdauungsprobleme angeht.

Wie viele Länder waren es dann insgesamt?

Pauline Kalender: 25 Länder, mit rund 48 Grenzüberquerungen, weil wir in manche wie China oder Kirgistan mehrmals eingereist sind.

Da musste man unterwegs viel organisieren und Visa besorgen, oder?

Pauline Kalender: Für Russland brauchten wir ein Visum, für Indonesien und Pakistan war ein E-Visum notwendig, in Kambodscha und Laos ging das an der Grenze.

Ole Maaß: Wir haben da als Deutsche echt Glück und können oft Visafreiheit genießen.

Pauline Kalender: Wir haben so viele Menschen getroffen, die gerne nach Deutschland wollen und kein Visa bekommen.

Ole Maaß: In Usbekistan zum Beispiel lernen viele Menschen aktiv Deutsch und hoffen, kommen zu dürfen. Das hat uns unmittelbar gezeigt, was für ein Paradies Deutschland ist. Und wie perfekt es ist, wenn man es im weltweiten Vergleich betrachtet.

Ursprünglich hattet ihr mal vor, sogar noch weiterzureisen, über das Meer, Richtung Amerika. Was kam dazwischen?

Ole Maaß: Irgendwann merkten wir, dass wir schon in jedem Land das Gefühl hatten, zu schnell weiterzuziehen und nie wirklich einzutauchen. Wir haben gemerkt, wenn man längere Zeit an einem Ort verbringt, dann lernt man die Kultur nochmal ganz anders kennen. Wenn wir Süd- und Nordamerika auch noch dranhängen, wären wir vielleicht sieben Jahre unterwegs gewesen. Das wollten wir einfach nicht.

Pauline Kalender: Wir hatten auch das Gefühl, dem nicht mehr gerecht werden zu können. Wir waren in 25 verschiedenen Ländern, 19 davon außerhalb Europas. Das waren schon so viele Reize. Es war auch energieraubend, weil jeder Tag neue Organisation bedeutet: Wo schlafe ich, wie komme ich hin, welche Sprache sprechen die Leute, was esse ich morgens, mittags, abends, wo kann ich duschen? Das ist zwar oft ein schöner, positiver Stress, aber eben doch Stress. Wir haben dann gegen Ende gemerkt, dass unsere Energie nachlässt, und sind zurück nach Europa. Wir hatten aber einen tollen Abschluss und haben uns gefreut, nach Hause zu kommen.

Aber genau das denkt man ja nicht. Vielmehr geht man ja auf Reisen, um den Stress hinter sich zu lassen und dem Alltag zu entfliehen?

Ole Maaß: Das stimmt nur zum Teil. Man kann das Ganze natürlich sehr gemütlich gestalten, wenn man länger an einem Ort bleibt. Wir wollten aber viel sehen, und dadurch wurde es stressiger. Am Anfang haben wir die Reise noch ganz anders genießen können und auch diesen Nicht-Komfort begrüßt. Aber im Laufe der Reise haben wir gelernt, mehr auf uns zu achten und vielleicht nicht mit dem Kopf durch die Wand zu gehen und nochmal die sechste Zeltnacht im Regen hinterherzuschieben, sondern auch mal im Hotel zu schlafen. Irgendwann nach so einer langen Zeit, in der man raus aus dem Komfortzone-Modus ist, ist das kräftezehrend.

Pauline Kalender: Man kann sich das natürlich auch viel entspannter machen, wenn man länger an einem Ort bleibt. Wir wollten vor allem am Anfang einfach super viele Sachen sehen und waren hochmotiviert, uns einfach alles anzugucken. Wir sind am Ende mit zwei Freunden zusammen gereist, die wir in verschiedenen Ländern immer wieder trafen. Das war toll, weil man dadurch beständige Gesichter um sich hatte. Ansonsten lernst du jeden Tag neue Leute kennen, was herrlich, aber auch anstrengend ist. Es sind immer wieder dieselben Fragen: Where are you from? What’s your route? What's your favorite country? Wenn du dann Leute triffst, bei denen es richtig klickt, ist es großartig.

Wann habt ihr beschlossen umzukehren?

Pauline Kalender: Als es richtig anstrengend wurde. Das war so nach 18 Monaten. Da haben wir uns auf den Heimweg gemacht

Ole Maaß: Indien, Nepal oder Tibet haben wir nicht mehr geschafft. Aber das heben wir uns auf.

Pauline Kalender. Wir haben einen getroffen, der ist seit elf Jahren unterwegs. Und andere Leute, die haben nach einem Monat gesagt, sie wollten eigentlich eine lange Reise machen, haben aber gemerkt, das passt einfach nicht zu ihnen. Also das ist auch sehr individuell, wie das für einen ist. Und wir hatten Glück, wir waren da immer ziemlich auf einem Level.

Also wollte ihr dann auch gemeinsam zurück?

Pauline Kalender: Ich glaube, du wolltest ja noch ein kleines bisschen mehr reisen. Und ich wollte dann dringend nach Hause. Aber die Energie war bei uns beiden zu Ende. Wir hatten den riesigen Luxus, dass wir so lange reisen konnten, bis wir wirklich keine Lust mehr hatten. So war es auch leicht, hier in Deutschland wieder anzukommen. Wir haben es beendet, als wir die Reise nicht mehr genossen haben.

Und was war euch dann als erstes wichtig?

Pauline Kalender: Im heimischen Bett zu schlafen, eine Tür schließen können und da wirklich einen Raum für sich zu haben. Warm duschen ohne sich Sorgen machen zu müssen, wann das Wasser wieder kalt wird oder ob es überhaupt warm wird. Dann die elektrische Zahnbürste. Ich habe mich total auf sie gefreut.

Ole Maaß: Wasser aus dem Wasserhahn trinken. Und wir haben uns gefreut, uns wieder einbringen zu können. Ich habe es total vermisst, in meinem Beruf zu arbeiten, mit Kindern draußen zu sein, sinnvoll tätig sein zu können.

Wie ist es bei Euch persönlich, seid ihr gut miteinander ausgekommen?

Pauline Kalender: Ich will nicht sagen, es hat überraschend gut geklappt, wir kannten uns ja davor auch schon eine ganze Weile. Aber es hat sehr gut funktioniert. Wir waren immer eine kleine Werte-Einheit. Ein Blick hat genügt, und wir wussten, was der andere denkt. Wir haben zum Beispiel viel Sexismus erlebt, von Missbrauch oder Antisemitismus gehört oder jemand hat erzählt, dass er zum fünften Mal in Vietnam geflogen ist. Da wussten wir, dass wir auf derselben Seite stehen.

Ole Maaß: Man lernt auf dieser Reise auch sich selbst und die eigenen Grenzen noch einmal ganz anders kennen und das, was man wirklich braucht. Ich habe gelernt, regelmäßig zu Essen ist total wichtig. Das merkt man jetzt im Alltag nicht sehr, aber wenn man an einer Straße steht und seit einer Stunde nicht mitgenommen wird, dann ist das eine andere Situation. Dann hilft schon mal ein Schokoriegel.

Ging Euch die Einstellungen anderer Urlauber an die Substanz?

Pauline Kalender: Wenn einer etwas über minderjährige Prostituierte erzählt, da verliert man manchmal ein bisschen den Glauben und die Geduld. Und es gibt so viele Menschen, die einfach nicht viel über die Länder wissen, die sie bereisen, einfach keine Sensibilität für die Geschichte und oft auch die eigene Geschichte im Hinblick auf Kolonialzeiten haben. Und dann natürlich das Thema Fliegen. Da hatten wir aber auch zum Glück viele Gespräche mit Leuten, die sich dessen bewusst waren, dass das problematisch ist, und denen wir erzählen konnten, dass man auch anders reisen kann. Einige waren auch sehr motiviert, das selbst auszuprobieren.

Ole Maaß: Schön war es dann natürlich, wenn man jemand getroffen hat, der wie wir getickt hat. Da hilft man sich auch untereinander, da gibt es ein großes Netzwerk.

Wie viele Menschen reisen denn ohne Flugzeug?

Pauline Kalender: Wir haben echt viele getroffen. Viele kamen aus Deutschland, Frankreich und Belgien. Wir haben auch eine Whatsapp-Gruppe gegründet. Da sind mittlerweile fast 400 Personen drin, die sich alle Tipps geben über die verschiedenen Ländergrenzen, über das Thema Klimaschutz.

Habt ihr euch selbst verändert auf der Tour?

Ole Maaß: Mit war schon vorher eine offene, verantwortungsvolle Gesellschaft wichtig. Das hat sich verstärkt, weil wir in autokratischen Ländern Menschen kennengelernt haben, die ihre Machtlosigkeit spüren. Uns ist noch bewusster geworden, dass wir in einer Demokratie leben und es an uns selbst liegt, uns stark zu machen, beispielsweise beim Klimaschutz. Man sieht weltweit die Auswirkungen des Klimawandels, Leute sind unmittelbar betroffen, das haben wir auf der Reise erlebt. Deshalb bin ich noch mehr motiviert, mich dafür zu engagieren.

Dennoch steht der Klimaschutz auch in Deutschland nicht mehr so im Mittelpunkt.

Pauline Kalender: Ich bin auch noch auf Jobsuche. Ich habe eigentlich Entwicklungszusammenarbeit studiert. Aber durch die Politik der USA, aber auch in Deutschland fließt einfach sehr wenig Geld in Entwicklungszusammenarbeit. Das merkt man sehr stark, und es ist frustrierend. Da gibt es gerade überhaupt keine Stellen, weil die ganzen Organisationen kein Geld haben. Im ökologischen Bereich ist es ein bisschen besser. Aber da ist auf jeden Fall auch viel Förderungsbedarf. Und das ist natürlich frustrierend anzusehen, weil es vorher ja so eine Aufbruchstimmung in die anderen Richtung gab.

OIe Maaß: Aber die Probleme werden uns wieder einholen. Spätestens wenn sich die Klima-Katastrophen weiter häufen, wird es wieder mehr in Richtung Klimaschutz gehen. Frustrierend ist es trotzdem, wenn Gelder für Projekte gekürzt werden. Aber wir setzen uns eben dafür ein, dass es weitergeht.

Pauline Kalender: Und wir sehen, dass Organisationen in Soltau in unserer Abwesenheit gewachsen sind. Zum Beispiel Soltau fährt Rad. Das gibt Hoffnung.

Wie ist es mit dir persönlich?

Pauline Kalender: Ich habe gemerkt, dass ich mich jetzt nicht total neu erfunden habe. Manchmal wundere ich mich, dass ich hier Hemmungen habe, ein paar Anrufe bei Organisationen zu machen, wo ich doch in China getrampt bin und das eigentlich viel abenteuerlicher war. Aber klar, ich war auch vorher schon viel im Ausland, habe große Veränderungen dort erlebt. Am Ende war es eine intensive Zeit, die viele Themen einfach greifbarer macht.

Habt ihr mal ausgerechnet, wie viel CO2 ihr durch Eure Art des Reisens eingespart habt?

Pauline Kalender: Der Fußabdruck lag bei weniger als einem Drittel von dem CO2-Abdruck, den wir mit nur einem Flug nach Indonesien und wieder zurück hinterlassen hätten.

Ole Maaß: Also für die gesamte Reise waren es 1,8 Tonnen pro Person, und ein Flug nach Bali sind 5,2 Tonnen. Das ist massiv.

Pauline Kalender: Aber es ist nicht nur umweltfreundlicher, sondern auf der anderen Seite ist es für uns persönlich die schönste Reiseart mittlerweile, weil man jeden Unterschied unterwegs mitbekommt. Man sieht alle Veränderungen, wie sich die Landschaften verändern, wie die Menschen sich äußerlich verändern, die Sprache, das Essen. Man nimmt viel intensiver mit.

Ole Maaß: Und man hat viel Kontakt zu Leuten. Man reist immer nah an den Menschen, wenn du in Bussen und Bahnen bist. Das sind alles Eindrücke, die man einfach nur bekommt, wenn man wirklich langsam ist und sich darauf einlässt.

Jetzt geht es also weiter nach Hannover?

Pauline Kalender: Ja, wir ziehen in den nächsten Monaten nach Hannover. Gleichzeitig haben wir das Angebot bekommen, ein Buch beim Oekom-Verlag zu schreiben, als Anleitung für Reisen ohne Flugzeug. Wir wollen zeigen, wie man überall hinkommt mit Bus, Bahn, Fahrrad, zu Fuß oder Segelboot, und dazu Anekdoten, Fotos, Rezepte und Interviews einbauen – all das, was wir selbst gerne vor der Reise gewusst hätten. Allerdings müssen wir das Buch erst per Crowdfunding vorfinanzieren, weil der Verlag schon einmal ein Buch über nachhaltiges Reisen hatte, das sich nicht gut verkauft hat. Daher brauchen wir eine gewisse Anzahl an Vorbestellungen. Sie möchten sicher sein, dass genug Interesse besteht.

Und Reisen?

Pauline Kalender: Gerade gibt es viel mit Job, Umzug und Buch zu tun. Wir haben aber Lust auf kürzere Touren in Europa. Aber ich persönlich bin gerade ein großer Fan unserer Couch. Ich freue mich, wieder nach Hause zu kommen und auf der Couch zu liegen, nichts zu machen, keine neuen Eindrücke zu haben und erst mal alles sacken zu lassen. Wir haben uns ordentlich ausgetobt.

Ole Maaß: Aber es wird sicherlich noch einmal eine Fernreise geben an Orte, wo wir noch nicht waren. Ansonsten geht es möglicherweise nach Norwegen oder Albanien, auf jeden Fall nach Europa. Überall hin, wo es leicht ist, mit Bus und Bahn hinzukommen.

Pauline Kalender. Im Vergleich, den wir gerade haben, ist gerade Europa echt schön. Du hast zwar keine Siebentausender wie in Pakistan, aber grandiose Landschaften, viel Kultur, eine gute Infrastruktur, und das alles fast ohne Visa-Probleme. Und ich muss mir keine Sorgen machen über Lebensmittelvergiftungen oder Stromausfälle.