Sabotage qua Teilhabe?

Wenn einer nicht mitspielt, kann das Ganze nicht rund laufen. 

Donald Trump hat es zum Prinzip gemacht: Quasi im Dauermodus unterzeichnet der US-Präsident eine Rekordzahl an Dekreten aller Art, während er den medialen Raum mit plumpen Halb- und Unwahrheiten flutet. Mit „Flood the zone with shit“ prägte sein Ex-Chefstratege Steve Bannon diese Taktik einst. Sie funktioniert denkbar einfach: Wirbel so viel Staub auf, dass niemand mehr durchblickt und mit dem Aufräumen hinterherkommt.

Die politische Rechte hat den Trumpschen Kommunikationsstil weitergesponnen. Ausgemachtes Ziel sind dabei weniger die Medien, sondern der Politikapparat an sich. Exemplarisch dafür ist das Verhalten der AfD im Bundestag: Bei Kleinen Anfragen können Fraktionen schriftlich Auskunft zu bestimmten Sachverhalten verlangen, zu denen sich das betreffende Ministerium spätestens nach vier Wochen äußern muss. Die AfD nutzt dieses Instrument konsequent: 116 Kleine Anfragen gehen (Stand Anfang Juni) auf ihr Konto – durchschnittlich etwa zwei pro Tag. Zum Vergleich: Das sind knapp viermal so viele Anfragen wie die beiden anderen Oppositionsfraktionen Linke und Grüne zusammen stellen. Mehrere Ressorts ächzten unter der inflationären Zahl der Auskunftsverlangen. Kritiker sehen dahinter das Kalkül, Personal, Debattenzeit und Kontrolle zu binden. Der Lähmungs‑Taktik liege weniger ernsthafte Politikgestaltung zugrunde, es diene vor allem dem Besetzen von polarisierenden Themenfeldern.

Die 19 Anträge des Kalis

Was auf Welt- und Bundesebene zu beobachten ist, spielt sich in ähnlicher Form im Kleinen auch in Wietzendorf ab. Der parteilose Ratsherr Michael Kalis sorgte bei der jüngsten Sitzung des Gemeinderates für ungläubiges Kopfschütteln unter seinen Ratskollegen. Satte 19 Anfragen auf der Tagesordnung gingen auf sein Konto, etwa die Hälfte aller Punkte. Die Themenpalette: breit gefächert.

Dass Kalis mit seinen Anträgen einen hohen Verwaltungsaufwand erzeugt und selten den kürzeren Dienstweg wählt, ist nichts Neues. Regelmäßig kassiert der ehemalige AfD-Mann von seinen Kollegen im Rat dafür entnervte Reaktionen und rollende Augen.

Selbstverständlich hat jeder Ratsherr kommunalverfassungsrechtlich das Recht, Anträge zu stellen. Die Geschäftsordnung des Rates besagt, dass diese mit bis zu fünf Minuten begründet werden dürfen. Dennoch führt die Antragsflut prompt unter den Ratsherren zu einer Diskussion von besonderem Wallungswert. Auf dem Papier legal, inhaltlich aber nicht legitim? Was als demokratisches Recht verbucht ist, wirft im Plenum letztlich eine größere Frage auf: Wo verläuft die Grenze zwischen berechtigtem Antrag und gezielter Behinderung der Gremienarbeit?

Anträge größtenteils „absoluter Nonsens“

„Da sind diverse Anträge dabei, bei denen sich jede Diskussion erübrigt, weil sie teilweise schon im Rat oder teilweise in Ausschüssen behandelt werden“, moniert Olaf Schröder (Unabhängige Wietzendorfer). Entgegen neuer Anträge mit entsprechender Bewandtnis sei das Ansinnen des fraktionslosen Ratsmitglieds größtenteils „absoluter Nonsens“. Schröder wendet sich direkt an Kalis: „Willst du uns damit verärgern? Ist es Strategie, oder was steckt dahinter?“

Unterstützung findet Schröder beim CDU-Ratsherrn Steffen Witthöft. Dieser zeigt sich ebenso irritiert über Kalis' Vorgehen: „Dass man mit so viel belanglosem Kram unsere Zeit und die Arbeitskraft der Verwaltung verschludert, ist für mich ein Unding.“

Ein Beispiel: Die Umsetzung eines Wacholderbaumes in der Bahnhofsstraße. Kalis beklagt, der Baum behindere die Sicht beim Abbiegen. „Die Leute fragen mich immer wieder. Wenn dem nicht nachgekommen wird, bleibt mir nichts anderes übrig, als einen Antrag zu stellen. Sonst passiert ja nichts“, schimpft er. Als Geschäft der laufenden Verwaltung ist dies allerdings kein Fall für den Gemeinderat.

Oliver Krasser (CDU) reagiert als ehemaliger Fahrlehrer trocken: „Aus meiner Sicht sollte einem in der Fahrschule beigebracht werden, mit dem Auto so vorzufahren, dass ich etwas sehen kann. Wenn ich langsam vorfahre, ist dort keine Gefährdung oder eingeschränkte Sicht erkennbar.“

Was muss Demokratie aushalten?

So arbeitet sich das Gremium Antrag um Antrag ab. Dezidiert erklären die Ratsmitglieder Kalis, warum jeweils eine Nichtbefassung angedacht ist. Tempo 30 für Lkw im Ortskern? Bereits im Fachausschuss behandelt. Lärmaktionsplan? Bereits vorhanden. Baugebiets-Stopp? In Zeiten von Wohnraummangel nicht vermittelbar. Straßenreinigung durch Fremdvergabe? Wird mit kommender Straßensatzung ohnehin neu geregelt.

„Ich appelliere an den gesunden Menschenverstand“, äußert sich Krasser. „Von 20 Anträgen kann ich Dreiviertel abhaken. Das verlangt uns weder großes Entscheidungskönnen ab, noch interessiert es die Bürgerinnen und Bürger. Das macht die Themen, die gut und sinnvoll sind, einfach zunichte.“

Und dennoch: Eine rote Linie ziehen will kaum jemand. Martin Mertens (CDU) fasst die Grundspannung in einen Satz, der zwischen Toleranz und Trotz changiert: „Man könnte sagen: Find’ ich alles doof, weil es von Michael Kalis kommt. Aber die Demokratie, die ich zu verteidigen geschworen habe, muss das aushalten.“ Demgemäß obliege es dem Rat, jedes Anliegen vollkommen emotionslos abzuarbeiten. „Da kann der, der die Verwaltung vermeintlich lähmen will, eine Strategie haben oder auch nicht. An dem Punkt ist sie zu Ende“, so der CDU-Fraktionsvorsitzende.

Taktik oder Tollpatsch?

Kalis selbst wehrte sich gegen die Unterstellung, gezielt zu blockieren. „Das sind Anträge, ich werde von Bürgern gefragt“, betonte er mehrfach. Zudem habe er „nichts mit der AfD zu tun“. Ob er nach dem Vorbild seiner früheren politischen Heimat – bis 2021 saß er für die AfD im Kreistag – tatsächlich mit rechtspopulistischem Werkzeugkasten arbeitet, um gezielt Unruhe zu stiften, lässt sich schwerlich belegen.

Tatsächlich wirken viele seiner Anträge im Nachgang unkoordiniert, nicht zu Ende gedacht. Beinahe selbstentlarvend wird es dann, als in Kalis nach zwölf Anträgen die Erkenntnis reift, dass es sich bei den noch aussehenden um angefochtene und somit obsolete Anträge aus 2024 handelt. Sogleich zieht er diese unter Applaus der Ratsherren zurück. Eine knappe Stunde wird das skurrile Schauspiel den Rat letztlich gekostet haben.