„Ich bin da auch reingewachsen“
Sechs Frauen sprechen über Wege in die Kommunalpolitik (von links): Schneverdinger Bürgermeisterin Meike Moog-Steffens, Bürgermeisterin von Buchholz, Aynur Colpan, Moderatorin Anke Tielker, Bürgermeisterin von Schwarmstedt Claudia Schiesgeries und Walsroder Bürgermeisterin Helma Spöring. Foto: sus
Drei von ihnen sind die ersten Bürgermeisterinnen ihrer Kommunen, alle sind im Heidekreis groß geworden und haben einen sportlichen Hintergrund. Fünf Politikerinnen des Heidekreises haben die Gleichstellungsbeauftragten am vergangenen Donnerstag zur Podiumsdiskussion in den Ratssaal in Walsrode eingeladen, um aus erster Hand von ihren Erfahrungen zu berichten und anderen interessierten Frauen zu zeigen, dass Politik machbar ist.
Aynur Colpan (SPD) ist seit 2021 die erste Bürgermeisterin der Gemeinde Buchholz (Aller), feierte am Tag der Diskussion ihren 35. Geburtstag. „Was mich daran stolz macht, ist, dass ich nicht die Letzte sein werde. Man fängt an und es werden auf jeden Fall Frauen nachkommen“, sagt sie. Zehn Jahre früher setzten sich Claudia Schiesgeries (SPD) in der Gemeinde Schwarmstedt und Meike Moog-Steffens (parteilos) in Schneverdingen als erste Frauen an der Spitze der Rathäuser durch. Im gleichen Jahr begann der Weg der heutigen Kreistagsvorsitzenden Silke Thorey-Elbers (CDU) aus Soltau in die Kreispolitik. Fast zu gleichen Stunde geboren wie ihr „großes Vorbild Angela Merkel“ ist Helma Spöring (parteilos), die seit 2014 das Rathaus in Walsrode leitet.
1996 wählt Soltau erste Bürgermeisterin Erden
Seit über 100 Jahren dürfen Frauen wählen und gewählt werden. Doch erst im Laufe der vergangenen 29 Jahre nahmen die ersten Bürgermeisterinnen schrittweise in den Rathäusern des Heidekreises ihre Arbeit auf. Zuletzt ging die Zahl der Frauen nicht nur im Bundestag wieder zurück, eine ähnliche Entwicklung nahm die der Bürgermeisterinnen im Heidekreis. Neben dem Frauenanteil in den Räten offenbarte auch die Bürgermeisterwahl in Soltau im Februar mit sieben ausschließlich männlichen Kandidaten, dass eine gleichberechtigte Repräsentation noch längst nicht selbstverständlich ist.
Spöring und Moog-Steffens werden bei den Kommunalwahlen 2026 nicht wieder antreten. „Ich habe lange überlegt. Mein Job macht mir so viel Freude, dass es mir bestimmt schwerfallen wird, loszulassen“, sagt Moog-Steffens. Die verlängerte Amtszeit auf 8 Jahre sei aber eine lange Zeit, die man wiederum neu im Amt brauche. „Wenn die Amtszeit bei 5 Jahren geblieben wäre, dann hätte ich mir das sogar noch dreimal überlegt, ob ich nicht doch weitermache.“
Sich zu trauen, mutig zu sein und keine Scheu zu haben, sich für einen Listenplatz oder ein politisches Amt zu aufstellen zu lassen, betonten die fünf Politikerinnen und Moderatorin Anke Tielker wiederholt. „Ich bin nicht als Bürgermeisterin geboren, ich bin da auch reingewachsen“, erklärt Schiesgeries, und Spöring ermutigt die Frauen im Publikum: „Wenn Sie in der Lage sind, mit anderen zusammenzuarbeiten und Ideen haben, wie Sie die Kommune weiterentwickeln wollen, dann sind Sie genau richtig.“
Mut braucht es aber, ebenso wie eine hohe Frustrationstoleranz. Das weiß Moog-Steffens aus eigener Erfahrung. Vom Anfang ihrer ersten Amtszeit, die mit ihr als erster Frau und mit der Mehrheit von SPD und Grünen in Schneverdingen, bis dahin immer CDU-regiert, einem „Erdrutsch“ gleichkam, berichtet sie davon, dass man sie erst mal vereinnahmte und testete, beispielsweise mit zehn Anträgen, die ihr gleichzeitig auf den Tisch gelegt wurden. Bei der zweiten Kandidatur unterstützten sie schließlich alle drei Parteien. Colpan behauptete sich innerhalb der Parteistrukturen, nicht auf bestimmte Themenfelder aufgrund ihres Geschlechts und Migrationshintergrundes reduziert zu werden, sondern ihre Expertise in Wirtschaft und Finanzen einzubringen. „Themen anzunehmen, die nicht typisch Frau sind, ist genauso in Ordnung“, betont sie.
Doch fehlt Frauen wirklich nur der Mut und hinterfragen sich und ihre Fähigkeiten nur viel häufiger? Diese Beobachtung führt zumindest Colpan auf die Frage einer Zuhörerin an. Dass sich die Parteien mehr für Frauen geöffnet haben, bestätigen alle fünf. Untersuchungen auf kommunaler Ebene zeigen, dass Frauen oft erst dann nominiert werden, wenn sich niemand anderes zur Wahl aufstellt. So kam es auch bei Colpan und Schiesgeries zur Kandidatur fürs Bürgermeisteramt, beide sind zuvor durch die Familie zur Politik und SPD gekommen.
Wer hält Frauen den Rücken frei?
Oftmals fehlt Frauen aber auch die Zeit, um Netzwerke zu knüpfen: Pro Tag wenden sie im Durchschnitt 43,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer, misst der Gender-Care-Gap 2025. Auch wenn es um die Pflege der Eltern im Alter geht. „Das bleibt dann wirklich an den Frauen hängen“, beobachtet die Schneverdinger Bürgermeisterin in ihrem Umfeld und erlebt es selbst. Der Rolle der Rahmenbedingungen ist sie sich bei den Führungsebenen im Rathaus bewusst, an denen intern an der Flexibilität gearbeitet werde. Und schon vor ihrer Wahl war ihr klar: „Das kann man nur machen, wenn man auch den Rücken frei hat.“ Ihr Mann halte ihr den Rücken frei. Durch ihr Engagement in der Schule und beim TV Jahn baute sie sich ihr Netzwerk auf. „Das hat mir schon auch geholfen.“ Schiesgeries begann ihre erste Amtszeit alleinerziehend, war als ehrenamtliche Bürgermeisterin zudem voll berufstätig bei der Bundespolizei, wusste aber um die Unterstützung ihrer Mutter.
„Was könnte die Arbeit in der Kommunalpolitik für Frauen attraktiver machen?“, fragt Tielker. Hybride Sitzungen, an denen man auch online teilnehmen kann, führt Moog-Steffens an. Spöring kann sich diese zwar für Abstimmungen, aber nicht generell vorstellen. Denn die wichtigen Gespräche fänden noch immer nach den offiziellen Sitzungen statt. Unter anderem zu diesem Punkt hat sich der Arbeitskreis „Frauen in Kommunen und Kommunalpolitik“ des Städte- und Gemeindebundes in seinem offenen Brief vor dem Hintergrund geäußert, dass viele strukturelle Hürden für die politische Teilhabe von Frauen noch unsichtbar bleiben. Dazu gehöre auch die „Hinterzimmerpolitik von vorgestern“ und forderte bessere Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und politischem Haupt- oder Ehrenamt. Eine Frage, die sich zunehmend auch jungen Vätern stellt.