CSD Heidekreis auf dem Weg zur Etablierung
Bär und Dragqueen auf dem Paradewagen: Beim CSD darf jeder sein, was er ist. Foto: ari
Mit großer Beharrlichkeit setzen sich Torsten Lampe und ein kleiner Kreis von Mitstreiterinnen und Mitstreiter seit gut drei Jahren für die Vision eines echten Christopher-Street-Day (CSD) in Walsrode ein, für mehr queere Sichtbarkeit außerhalb der großen Städte. Ein steiniger Weg war es, zur Premiere im vergangenen Jahr fanden gerade einmal 40 Menschen zur Parade ein. Sollte es dieses Jahr wieder so wenig Resonanz geben, hätten einige aus der inzwischen entstandenen festen Gruppe Queer Heidekreis das Vorhaben wohl begraben wollen. Ist Walsrode vielleicht doch einfach eine Nummer zu klein für eine Veranstaltung, die den Namen CSD verdient?
Seit Sonnabend kann diese Frage verneint werden. Rund 150 Menschen fanden sich zur zweiten Auflage eines CSD Heidekreis Mittags am Bahnhof Walsrode ein, um von dort bunt und stimmungsvoll zum Kirchplatz zu ziehen. Die Teilnehmerzahl hat sich damit im Vergleich zum Vorjahr fast vervierfacht. Es ist immer noch eine kleine Veranstaltung, aber sie machte Spaß und war so, wie man sich einen guten CSD vorstellt: Mit Showprogramm, Politik und einem breiten Spektrum verschiedener Altersgruppen und sexueller Orientierungen. Junge queerfeministische Frauen, schwule Puppys, Lederkerle und Bären, trans Personen und natürlich Veranstalter Lampe als Dragqueen Miss Ginger zeigten, dass auch in kleineren queeren Communitys im ländlichen Raum vielfältige Szenen existieren. „Danke für Toleranz und buntes Leben“, würdigte ein Plakat der Omas gegen Rechts den Beitrag der queeren Community für eine vielfältige und offene Gesellschaft. „In einer Zeit, in der Demokratie und Vielfalt immer mehr unter Druck geraten, ist es wichtig, dass wir auf die Straße gehen und zeigen: Wir sind viele und wir werden diese Demokratie verteidigen“, erklärte Lore Seidel, lokale Sprecherin der Gruppe Omas gegen Rechts, in einem Redebeitrag.
Ihren Worten lauschten neben der Bühne stehend auch zwei CSD-Teilnehmer, deren groß auf TikTok angekündigtes Erscheinen in der vergangenen Woche einen kleinen Shitstorm ausgelöst hatte. Das reichweitenstarke Paar „Jaron und Steve“ sind auf der Jugendplattform eine große Nummer mit mehr als 250.000 Follower. Unter anderem wegen angeblicher Missstände in ihrem Berliner Verein „Liebe doch wen Du willst“, der sich als Anlaufstelle für junge queere Menschen geriert, sind sie auch innerhalb der Community umstritten. Erst wurden sie offiziell zum CSD eingeladen, dann schroff wieder ausgeladen. Vorwürfe zwischen Queer Heidekreis und dem Paar gingen hin und her (BZ vom 16. September). Kurzfristig entschieden sich die Beiden, trotz allem doch zum CSD gehen. „Wir haben mit der Polizei gesprochen, die haben uns erklärt, dass das eine öffentliche Veranstaltung ist, von der man uns nicht einfach ausschließen darf“, erzählt Steve. Er und sein trans Partner Jaron leben, was in ihrer großen Fangemeinde nur wenige wissen, in Walsrode. Die im Internet zirkulierenden, zuletzt auch von der Gruppe Queer Heidekreis übernommen Vorwürfe seien falsch. Man werde sich nicht einschüchtern lassen und verstecken, gab sich das Paar im Gespräch mit der BZ selbstbewusst. Zum Programm gehörten die beiden nicht, die CSD-Ausrichter und die Queer-Influencer ignorierten sich.
Der kleine Walsroder CSD hatte nicht nur zwei netzprominente Gäste, sondern konnte auch mit einem Grußwort des Vizekanzlers und Finanzministers der Bundesrepublik Deutschland aufwarten, jedenfalls fast. Lars Klingbeil, natürlich in seiner Rolle als örtlicher Bundestagsabgeordneter, würdigte den CSD in seinem Wahlkreis als „starkes Zeichen für Vielfalt, Respekt und Zusammenhalt“.
Als Glücksfall für den sonnigen, bunten Spätsommernachmittag erwies sich Olly Schmidt. Der war Lampe als Sänger beim CSD in Celle aufgefallen, dort sprach er den am ganzen Körper tätowierten queeren Ex-Kandidat von „Deutschland sucht den Superstar“ an und konnte ihn für den CSD Walsrode einspannen. Dort performte er während des Umzugs mit ganzem Körpereinsatz Songs der Ärzte und der Toten Hosen, später auf der Bühne sang er auch eigene Songs und erzählte von seiner Jugend als queerer Junge auf dem Dorf. „Mir hätte es damals sehr geholfen, wenn es solche Veranstaltungen wie den CSD bei uns gegeben hätte.“ Er habe sich einsam gefühlt, als Sonderling.
Orranisator Lampe, der das Programm auf dem Kirchplatz zusammen mit „Cello“ moderierte, zeigte bei einem kurzen Gespräch zwischen Schminktisch und Bühne hoch erfreut und erleichtert über den Verlauf des CSD. Es sei ein Durchbruch. Natürlich soll es 2026 eine Wiederholung geben. „Dann bringt jeder noch zwei Leute mit, und schon sind wir dreimal so viele“, setzt „Oma gegen Rechts“ Seidel darauf, dass der CSD Walsrode seinen Zenit noch lange nicht erreicht hat.