„Mindestens so wichtig wie in der Großstadt“

Rotenburg zeigt, wie es geht: Zur CSD-Premiere im Nachbarlandkreis zogen rund 450 Menschen durch die Kleinstadt. Foto: uh

Der Christopher Street Day (CSD) ist ein Metropolenkind, geboren in New York, groß geworden in Städten mit schwul-lesbischer Subkultur rund um die Welt. In Deutschland haben sich vor allem Berlin und Köln zu CSD-Hotspots entwickelt, dort kommen jedes Jahr Hunderttausende im Zeichen der Regenbogenfahne zusammen, um Vielfalt zu feiern und gegen Ausgrenzung zu demonstrieren. Wobei in jüngster Zeit der zwischendurch etwas in den Hintergrund getretene Protest wieder stärker im Fokus der Veranstaltungen steht. Das bloße Feiern des Erreichten reicht vielen angesichts der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft, der steigenden Zahl polizeilich registrierter Fälle queerfeindlicher Gewalt und des allgemeinen Rechtsrucks nicht mehr aus. „Ich habe das Gefühl, dass der CSD ist in diesem Jahr besonders politisch ist“, sagt Travestiekünstler Thorsten Lampe, der in dieser sich dem Ende neigenden CSD-Saison verschiedene Veranstaltungen besuchte und zuletzt beim CSD in Burgdorf selbst als Miss Ginger auf der Bühne stand.

Die stärkere Politisierung des CSD, befeuert auch durch den Streit um das Hissen der Regenbogenfahne auf dem Berliner Reichstagsgebäude, drückt sich unter anderem darin aus, dass in vielen kleineren Orten in diesem Jahr zum ersten Mal überhaupt Veranstaltungen stattfanden. In der Region betraf das Buchholz in der Nordheide und Rotenburg/Wümme. Die beiden CSD-Premieren in den Nachbarlandkreisen Harburg und Rotenburg waren gut besucht. In Buchholz sprach Mitorganisatorin Pia Lucienne von der Grünen Jugend davon, dass „alle Erwartungen übertroffen“ worden seien. Mehr als 700 Personen zogen fröhlich durch das Städtchen, eine im Internet angedrohte Störung der Veranstaltung blieb aus (BZ vom 19. August). In Rotenburg freuten sich die Ausrichter, ein buntes Bündnis aus politischen Akteuren und queeren Aktivisten, am 30. August über rund 450 Teilnehmer am ersten CSD der Stadtgeschichte. Auch diese Veranstaltung wurde im Vorfeld im Internet verbal angegriffen, Rotenburgs Bürgermeister Torsten Oestmann zeigte sich auf der Bühne schockiert über die digitalen Hasskommentare.

Mehr Vernetzung und Unterstützung im Vorfeld

Vom Hass im Netz kann auch Lampe viel berichten, er schlägt ihm und seinen Mitstreitern der Gruppe Queer Heidekreis regelmäßig entgegen. Einschüchtern lässt sich der gebürtige Walsroder davon nicht. „Gerade deshalb ist der CSD wichtig“, sagt er trotzig. Über die erfolgreichen Veranstaltungen in Rotenburg und Buchholz freut er sich sehr. „Ich finde, dass der CSD auf dem Land mindestens genauso wichtig ist wie in der Großstadt.“ Lampe bemüht sich seit 2019 intensiv darum, in Walsrode einen Heidekreis-CSD zu etablieren – bislang mit überschaubaren Erfolg. Die ersten beiden Veranstaltungen, eine kleine Vielfaltsdemo und vergangenes Jahr das erste Mal ein „richtiger“ CSD, stießen auf wenig Resonanz.

„Manche in unserer Gruppe haben angekündigt, sich 2026 nicht mehr an der Organisation der Veranstaltung beteiligen zu wollen, wenn in diesem Jahr wieder nur so wenige Leute kommen“, sagt Lampe. Er selbst zeigt sich überzeugt, dass der zweite Anlauf in Walsrode am 20. September, offiziell die letzte CSD-Veranstaltung in Niedersachsen in diesem Jahr, ein Erfolg wird. Nach dem Aus für den „Rosa Tag“ im Heide-Park steht es einerseits nicht gut um die Sichtbarkeit queeren Lebens im Heidekreis. Auf der anderen Seite böte sich der Community jetzt die Chance, ein eigenes Zeichen zu setzen, unabhängig von der Veranstaltung eines kommerziell betriebenen Freizeitparks.

Die Vorzeichen jedenfalls stehen gut. Es existiert mehr Unterstützung und Vernetzung als vor einem Jahr, es wird mehr Werbung gemacht, alles steht auf einer breiteren Basis. Der Kreisverband der Linken ist engagiert und hat 700 Euro für den CSD gesammelt, der in seiner Fraktion für den Heidekreis zuständige Landtagsabgeordnete Detlev Schulz-Hendel (Grüne) hat sein Kommen und eine Rede zugesagt, verschiedene Organisationen werden sich mit Ständen präsentieren, auch die im Landkreis ziemlich rege Jugend- und Europapartei Volt unterstützt den CSD. Der Demontrationszug startet aufgrund einer Fahrraddemo am gleichen Tag eine Stunde später als ursprünglich vorgesehen, nämlich erst um 14 Uhr, am Bahnhof Walsrode.

Der Umzug endet auf dem Kirchplatz, wo die Stände und eine fahrbare Bühne aufgestellt sind. Dort beginnt gegen 16 Uhr das Bühnenprogramm, bei dem natürlich – wie beim CSD üblich – neben politischen Inhalten die Show nicht zu kurz kommen darf. Natürlich tritt Miss Ginger auf, außerdem gibt Live-Musik von der feministischen Girlgroup Brandy, Merret and Ray sowie den Musikern und Sängern Vylayn aus Hannover und Olly Schmidt.

Andre RicciKommentieren