Kein Deutschland-Ticket für Syrer

Friseurmeister Bajram Beqoviqi (sitzend) und sein Lehrling Juan Arabo haben Probleme mit der Deutschen Bahn. Der Konzern kann Arabo aufgrund eines Softwareproblems derzeit kein Deutschland-Ticket verkaufen. Foto: bk

Juan Arabo hat es geschafft. Der 22-jährige Jeside hat die Flucht mit seiner Familie 2014 als 11-jähriges Kind aus Syrien über die Türkei in die Europäische Union unbeschädigt überstanden. „Vieles aus der Kindheit weiß ich nicht mehr“, sagt Arabo in einem einwandfreien Deutsch. „Doch die Enge im Gummiboot auf offener See habe ich nicht vergessen.“ Das alles hat der junge Mann mit dem schmalen Oberlippenbart hinter sich gelassen. Er will arbeiten, was schaffen – und stößt plötzlich auf eine Barriere, die auf den ersten Blick wie Diskriminierung wirkt. Was er zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß: Er wird derjenige sein, durch den ein Fehler im Softwaresystem der Deutschen Bahn aufgedeckt wird.

Die Familie sei zunächst in einer Flüchtlingsunterkunft in Trier untergekommen, erzählt Arabo seine Vorgeschichte, dann ins Saarland übergesiedelt, wo der Vater zunächst in einer Eier-Produktion, später im Baugewerbe gearbeitet habe. Schließlich strebte der Vater über Verwandtschaft erfolgreich die Übersiedlung in den Norden an und sei nach Fintel im Landkreis Rotenburg gezogen. Der junge Arabo kommt dort schließlich auch in die Schule. So fasste die Familie in Deutschland Fuß. Der Vater habe danach gestrebt, nicht für Dritte zu arbeiten, sondern sich selbstständig zu machen. Er eröffnet schließlich in Bispingen einen Döner-Imbiss.

Auch Juan will arbeiten und Geld verdienen, er bricht die Schule ohne Abschluss ab und beginnt eine Ausbildung zum Friseur. Ganz einfach war das nicht, es habe Konflikte mit den Arbeitgebern gegeben, berichtet er. Die „wilden Jahre“ habe er aber hinter sich gelassen. Schließlich landet Arabo bei Friseur Bajram Beqoviqi in Schneverdingen, der ihn im zweiten Lehrjahr übernimmt.

Arabo, das wird im Gespräch deutlich, hat klare Vorstellungen von seinem Leben. Er will Haare schneiden, will arbeiten, irgendwann seinen Meister machen und – wie sein Vater – selbstständig sein, sein eigener Chef. Doch was einfach klingt, ist es nicht.

Der Auszubildende lebt noch immer bei der Familie in Bispingen. „Bei meinem Gehalt kann ich mir keine eigene Wohnung in Schneverdingen leisten“, sagt Arabo. Daher muss er jeden Tag mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in die Heideblütenstadt fahren, um seine Ausbildung absolvieren zu können. Die Kosten sind beträchtlich. Deshalb hat er ein Deutschland-Ticket buchen wollen, um die Kosten deutlich zu senken. Eine deutsche Staatsbürgerschaft ist für das Ticket nicht erforderlich, jeder kann das Ticket erwerben – auch Arabo. Bei der DB hat er sich in die App eingearbeitet. Für das Ticket muss er seine Identität überprüfen lassen. Dazu muss man seinen Reisepass, den nationalen Personalausweis, einen Führerschein oder die Aufenthaltserlaubnis einscannen. Der junge Syrer hat einen Aufenthaltstitel. Mehr noch, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gegenüber der Böhme-Zeitung bestätigt: Arabos Aufenthaltstitel beinhaltet die Niederlassungsfreiheit. „Das ist gewissermaßen der letzte Schritt vor der Einbürgerung“, erläutert ein BAMF-Sprecher.

Arabo scannt über die App seine Aufenthaltstitel, den er über eine kleine, dem Personalausweis ähnliche, Plastikkarte nachweisen kann. Doch dann passiert, was nicht passieren dürfte: Das System lehnt den Aufenthaltstitel als Nachweis ab. In mehreren Versuchen scheitert er. „Offenbar liegt das Problem in der Nutzung des Aufenthaltstitels zur Identifikation bei der elektronischen Einrichtung des Kundenkontos“, teilt die Deutsche Bahn auf Nachfrage mit. Mit anderen Worten: Die Software kann den Aufenthaltstitel nicht erfassen und als Identitätsnachweis akzeptieren. Er könne aber auch auf anderen Wegen das Deutschland-Ticket erwerben. „In der DB-Navigator-App ist die Identifikation mithilfe von Bankkonto/Online-Banking möglich – da braucht’s dann den Aufenthaltstitel nicht. Und auch in den DB-Reisezentren wird das Deutschland-Ticket verkauft – da kann dann der Aufenthaltstitel zur Identifikation vorgezeigt werden“, so eine Sprecherin der des Konzerns. Doch was die Bahn vorschlägt, hat Arabo längst versucht. Er ist nach Bremen zu einem Schalter der Deutschen Bahn gefahren, hat dort vorgesprochen, um das Problem zu beheben und das Deutschland-Ticket zu erwerben. Die Mitarbeiter der Bahn kommen aber auch nicht weiter, können ihm nur mitteilen, dass sie da nichts machen können – das System lehne den Nachweis seiner Identität ab.

In einem zweiten Gespräch mit dem Konzern bestätigt ein DB-Mitarbeiter eine laufende Softwareumstellung. Es gebe keinen sachlichen Grund dafür, dass ein Mensch „welcher Herkunft auch immer“ das Deutschland-Ticket nicht erwerben könne. „Es gibt keine systematische Diskriminierung.“ Eine Überprüfung könne auch über das Online-Banking erfolgen, denn dort sei die Überprüfung der Identität ja bereits erfolgt, wenn es mit dem Pass oder dem Aufenthaltstitel nicht klappe.

Die Identitätsfrage ist generell etwas, was Arabo wurmt. „Ich möchte die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben“, sagt er. Er sei wie seine Familie in Deutschland integriert, spreche die Sprache, zahle Steuern und liege dem Staat nicht auf der Tasche. Doch um die Staatsbürgerschaft zu erwerben, müsse er seine syrische Staatsbürgerschaft mit einem syrischen Pass nachweisen. Die Familie habe zwar inzwischen von Verwandten aus Syrien die Pässe zugeschickt bekommen. „Die Dokumente sind aber abgelaufen und noch von der alten Regierung ausgestellt“, verweist Arabo auf den konfliktreichen Machtwechsel in seinem Herkunftsland. Wer einen neuen Pass beantragen wolle, müsse das auf Arabisch tun. Er verstehe zwar ein bisschen, aber die arabische Schriftsprache sei ihm fremd. „Und wer zur Botschaft nach Berlin will, muss viel Geld mitbringen und einen Termin vereinbaren, dessen Einhaltung durch die Botschaft nicht gewährleistet sei“, schildert er seine Erfahrung mit dem Verwaltungschaos, das nicht nur in Syrien selbst herrsche, sondern auch in den diplomatischen Vertretungen. Kein Pass, keine Staatsbürgerschaft. Dass er noch nicht einmal ein Deutschland-Ticket erwerben könne, obwohl er einen Rechtsanspruch auf eine Erwerbsmöglichkeit habe, fühle sich dann doch ein bisschen wie Diskriminierung an.

Arabos Chef Bajram Beqoviqi, dessen Salon inzwischen aus der Billungstraße in die Rotenburger Straße 2 im Stadtzentrum umgezogen ist, wo er mit einer Geschäftspartnerin im ehemaligen Salon Mialder zusammenarbeitet, würde seinem Lehrling gerne helfen. Doch gegen das Software-Problem der Bahn hat auch er kein Mittel. Beim BAMF zeigt man sich derweil verwundert, dass das Buchungsproblem nicht schon früher aufgeploppt ist und die Softwareentwickler der Bahn jetzt noch einmal an das System ran müssen, um das Problem zu beheben.