Zwischen Gülle und Gesprächen

Um die Außenfläche ausmisten zu können, muss Marlen Mikuschka die Schweine auf dem Hof Becker in den Stall treiben.

Um die Außenfläche ausmisten zu können, muss Aktivistin Marlen Mikuschka die Schweine auf dem Hof Becker in den Stall treiben.

Die Debatten verroht, die Fronten verhärtet: Von den vielen Kulturkämpfen, die prägend für unsere Gegenwart sind, macht der zwischen Landwirten und Aktivisten keine Ausnahme. Konservative Ausbeuter auf der einen Seite, radikal-entrückte Gutmenschen und Moralisten auf der anderen – so ähnlich verunglimpfen sich die jeweiligen Lager besonders in den sozialen Medien gegenseitig.

Für Dialog statt Diffamierungen setzt sich die Agrarwende-Initiative „Wir haben es satt“ ein. Einmal im Jahr bringt sie Klima- und Nachhaltigkeitsaktivisten mit der Landwirtschaft zusammen. Wie auf einer Partnerbörse werden Menschen an drei Schnuppertagen an teilnehmende Höfe vermittelt. Das Ziel: Mehr Verständnis für den Gegenüber durch den Austausch vor Ort.

Der Wietzendorfer „Hof Becker“ ist einer von 29 Betrieben deutschlandweit, der in diesem Jahr auch deshalb einen Blick hinter die Kulissen gewährt. Eigentümer Christoph Becker empfängt dafür die Berlinerinnen Saskia Erdmann (33, Ernährungswissenschaftlerin) und Marlen Mikuschka (39, Diätassistentin). Erdmann und Mikuschka sind eigentlich bei der Verbraucherzentralen in Berlin und Brandenburg angestellt. Auf Bildungsveranstaltungen klären sie über verschiedenste Themen im Ernährungskomplex auf. In Wietzendorfs Ortsteil Reddingen, wo Becker unter anderem einen Mastbetrieb mit 1000 Schweinen führt, werden beide Frauen vom Ausmisten des Schweinestalls, über die Bewässerung von Feldern bis hin zu Kontrollgängen in den Arbeitsalltag integriert.

Hoch mit dem Fleischpreis

Per se finden die Berlinerinnen das Prinzip „Nutztierhaltung“ in Ordnung. Bis zu einem gewissen Rahmen. „Es kommt auf die Masse an“, führt Erdmann aus. Massentierhaltung und tagtäglicher Fleischkonsum sind beiden zuwider. In militantem Verzicht auf tierische Produkte üben sie sich allerdings nicht: Sowohl Erdmann als auch Mikuschka leben flexitarisch.

Von der Idee, selbstbestimmt im Supermarktregal ausnahmslos jede Produktpalette wählen zu können, nimmt die 33-Jährige indes Abstand. Stattdessen fordert sie politische Regulierungen, um den Konflikt zwischen Wirtschaftlichkeit und Moral nicht auf die Einzelpersonen abzuwälzen. „Man sollte einfach nicht die Entscheidung haben, Produkte zu kaufen, die das Klima extrem belasten, die dem Tierwohl schaden oder die negative Auswirkungen auf Mensch oder Umwelt haben.“

Fleisch müsste teurer verkauft werden, da sind sich beide Frauen mit Becker einig. „Die Diskrepanz zwischen dem, was Leute in Umfragen angeben, und dem, was sie wirklich bereit sind zu zahlen, ist leider groß“, klagt der 41-Jährige. Dementsprechend begrenzt sind die Handlungsspielräume für Landwirte im Wechselspiel aus Wirtschaftlich- und Nachhaltigkeit. Bekanntermaßen wird letztlich an der Supermarktkasse abgestimmt – dort im Regelfall für das günstigere Produkt.

Dazu gehören Beckers Schweine nicht. Sie leben, verglichen mit dem Dasein ihrer Artgenossen in anderen Betrieben, ein luxuriöses Leben. Dem zugrunde liegt die Haltungsform 4, die höchste vor dem Bio-Label. 1,5 Quadratmeter Platz stehen einem Schwein zu, davon mindestens 0,5 Quadratmeter draußen. Das Doppelte des Mindeststandards. Damit geht es seinen Schweinen besser als denen in rund 97 Prozent der anderen Betriebe.

Das kommt bei Erdmann und Mikuschka gut an. „Auch, wenn es sich im Stall trotzdem noch eng anfühlt, machen die Tiere einen glücklichen Eindruck“, attestiert Erdmann. Tatsächlich tollen die Schweine auffallend ausgelassen durch den Stall, kurz nachdem das Duo die Boxen vom Mist befreit und mit frischem Heu ausgelegt hat. Das übertrifft die Erwartungen, die die Berlinerinnen aus dem Großstadtdschungel mitgebracht haben.

Becker selbst kennt es noch anders: 2010 übernahm er den Betrieb, der zu diesem Zeitpunkt noch konventionell geführt wurde. Seitdem hat er den Umbau der Schweinemast selbst initiiert. Prämiert wurde er dafür unter anderem zweimal mit dem Tierschutzpreis der Initiative Tierwohl.

Ärger mit den Radikalen

Glückliche, zufriedene Schweine? Das färbt auch auf den Landwirt und seine Mitarbeiter ab. Gleichwohl verschweigt Becker nicht, dass es auch in seinem Betrieb zu unschönen Situationen kommen kann. „Wenn ich beispielsweise humpelnde, kranke Tiere irgendwann nottöten muss, könnte ich nicht garantieren, dass ich nach entsprechenden Aufnahmen davon in den Augen mancher als Tierquäler gelte.“

Ohnehin könnten radikale Tierschützer in vielen Stallungen ein Skandalfoto schießen, wenn sie es nur forcierten. Das trage verstärkt dazu bei, dass der Ruf des Berufsstands Schaden nehme und viele Schweinehalter infolgedessen aufhörten. „Gesellschaftlich wird der Beruf einfach überhaupt nicht anerkannt“, konstatiert Becker. „Das nervt besonders, wenn die Frikadellen bei Aldi gekauft werden, aber nachmittags dann auf der Demo mitgemacht wird.“

Doch was lässt sich nun mit der positiven Erfahrung von Landwirt und Aktivisten anfangen? So einträchtig die „Wir haben es satt“-Aktion auch wirkt: Unklar ist ihr tatsächlicher Mehrwert. Der Hof Becker ist beileibe nicht der Standard der Schweinemast in Deutschland. Rückschlüsse lassen sich kaum schließen, generalisierende Ableitungen noch weniger. Gleichzeitig ist anzunehmen, dass sich bevorzugt vorbildliche Betriebe für den Austausch zur Verfügung stellen. Jene schwarzen Schafe ohne nachhaltige Belange werden wohl nicht mit einer Teilnahme am Programm liebäugeln.

Dennoch wissen die Frauen, ob ihrer Erfahrung jetzt, wie mehr Tierwohl und Landwirtschaft Hand in Hand gehen können. „Ich bin froh“, schildert Mikuschka auf Nachfrage um ihr Fazit, „dass es engagierte Landwirte gibt, die sich solche Standards setzen. Das ist auf jeden Fall toll zu sehen.“ Wenn schon nicht zurück zur künstlichen Verknappung in Form des einmaligen Sonntagsbratens, so ihr Wunsch sollte „zumindest die Haltungsform 4 Minimalanforderung sein“.