„Diese Form von Stress ist psychisch hochbelastend“
Ausgebrannt: Der Chefposten im Rathaus ist fordernd, manchmal auch überfordernd. Illustration: Adobe Stock
Zwei Rücktritte in kurzer Folge, erst in Soltau und dann in Wietzendorf, beide für Außenstehende völlig überraschend und unter Verweis auf das Privatleben und die Gesundheit. Zufall? Gewiss doch. Und dennoch gibt es, unabhängig vom Heidekreis, verstärkt Berichte darüber, dass Bürgermeister immer häufiger vor dem Ende ihrer regulären Amtszeiten das Handtuch werfen. Von einer bundesweiten „Rücktrittswelle der Bürgermeister“ ist im Fachmagazin „Kommunal“ die Rede, über sechs Frust-Rücktritte in schleswig-holsteinischen Gemeinden innerhalb kurzer Zeit berichteten Ende Februar die Kieler Nachrichten. „Immer mehr Rathauschefs in der Region haben keine Lust mehr auf ihr Amt“, konstatierte schon vor drei Jahren die Südwest-Presse aus Ulm und schob das auf eine generelle Entwicklung, die den kommunalen Spitzenjob unattraktiver mache: „Die Amtskette wiegt immer schwerer“. Ist das so? Was sind Gründe für die steigende Belastung? Die Böhme-Zeitung hat bei einer Expertin nachgefragt, die einen tiefen Einblick in das Seelenleben von Bürgermeistern hat.
Coaching für eine sehr spezielle Klientel
Psychologin und Therapeutin Mercedes Mende war selbst als Führungskraft tätig, bevor sie sich 2017 in der Nähe von Freiburg im Breisgau mit einer eigenen Praxis selbstständig machte. Dort bietet sie ein Bürgermeister-Coaching an. Im Internet spricht sie diese spezielle Klientel direkt an und beschreibt ein Berufsprofil, das krank machen kann: „Es sind nicht die Verwaltungsaufgaben, die Sie am meisten fordern – es ist der ständige Druck: Spannungen im Gemeinderat, Erwartungen der Bürger, Konflikte im Team, Anfeindungen, familiärer Stress und im Hintergrund: die nächste Bürgermeisterwahl.“
Frau Mende, was hat Sie dazu bewogen, sich ausgerechnet auf die Coaching-Arbeit mit Bürgermeistern zu spezialisieren?
Mercedes Mende:
Ich bin ein politisch interessierter Mensch und habe früh erkannt, unter welchem Druck Bürgermeister stehen. Sie tragen Verantwortung, vermitteln zwischen vielen Interessen, führen eine Verwaltung, stehen im direkten Kontakt mit Bürgern – und sind dabei oft auf sich allein gestellt. Ich habe selbst Führungsverantwortung getragen, kenne kommunalpolitische Strukturen, Prozesse und die Spannungen, die sich daraus ergeben. Gleichzeitig bringe ich psychologische Tiefe mit: Ich bin Psychologin mit psychotherapeutischer Ausbildung und notfallpsychologischer Erfahrung. In meiner Arbeit verbinde ich beide Perspektiven – Politik und Mensch. Ich unterstütze in Führungsthemen, in der Kommunikation, in Konfliktsituationen, aber auch in persönlichen Krisen.
Was sind die besonderen Herausforderungen im Bürgermeisteramt?
Es ist ein Amt mit hoher Verantwortung und gleichzeitig wenig Schutzraum. Bürgermeister stehen im Spannungsfeld: Erwartungen erfüllen, Interessen ausgleichen, Entscheidungen vertreten. Oft unter Druck, mit Gegenwind und knappen Ressourcen. Viele geraten dabei an ihre Grenzen. Sie funktionieren, aber die eigene Stabilität und das innere Gleichgewicht gehen dabei verloren. Ich helfe, Klarheit zu schaffen und besser mit Druck und Konflikten umzugehen.
Sind die Belastungen denn heute andere als noch vor 10 oder 20 Jahren?
Ich meine schon. Die Aufgaben sind mehr geworden und komplexer. Bürgermeister müssen heute viel mehr moderieren, kommunizieren und Konflikte auffangen. Dazu der Druck, schnell zu reagieren, ständig präsent zu sein, immer liefern zu müssen. Und gleichzeitig hat sich der Ton verschärft. Die zunehmenden Angriffe, gleich ob verbal, körperlich oder anonym im Internet, belasten zusätzlich. Das alles macht was mit einem Menschen. Laut einer Umfrage des Deutschen Städte- und Gemeindebunds aus dem Jahr 2023 mit dem Titel „Bedrohungslage im Amt“ fühlt sich rund jeder zweite Bürgermeister stark belastet. Diese Entwicklung sehe ich auch in meiner Praxis.
Wie häufig ist Burnout oder Erschöpfung ein Thema?
Sehr häufig, auch wenn es nicht immer direkt angesprochen wird. Viele wenden sich an mich, weil sie nicht mehr abschalten können, schlecht schlafen oder sich überreizt und innerlich leer fühlen. Oft wird das lange verdrängt, meist so lange, bis nichts mehr geht. Als Psychologin weiß ich: Burnout entwickelt sich schleichend. Und je pflichtbewusster ein Mensch ist, desto länger hält er durch. Oft auch zu lang.
Welche Rolle spielen soziale Medien und das Diskussionsklima?
Meiner Erfahrung nach spielt das eine immer größere Rolle. Bürgermeister stehen heute unter Dauerbeobachtung. Jede Aussage, jede Entscheidung wird öffentlich bewertet. Und zwar gerne anonym und immer öfter aggressiv. Die sozialen Medien verstärken das. Angriffe, Beschimpfungen und persönliche Anfeindungen nehmen zu, und das geht nicht spurlos an den Betroffenen vorbei. Viele ziehen sich dann zurück, oder sie bleiben, aber fühlen sich ohnmächtig. Diese Form von Stress ist psychisch hochbelastend. Im Grunde überlastend und gefährlich, wenn sie anhält.
Sind Bürgermeister offen für Unterstützung – oder ist das ein Tabuthema?
Da bewegt sich etwas. Immer mehr Bürgermeister suchen sich inzwischen gezielt Unterstützung. Sowohl in beruflichen als auch persönlichen Themen. Denn auch die Familie leidet oft unter der Situation. Aber ja: Das Thema ist sicher noch mit Zurückhaltung belegt. Auch, weil das Amt sehr öffentlichkeitswirksam ist. Manche glauben, stark zu sein heißt durchzuhalten und zu ertragen. Für mich heißt Stärke: Verantwortung übernehmen – auch für sich selbst. Ein Coaching zu machen, ist keine Schwäche. Es ist eine Entscheidung für mehr Klarheit, Souveränität und Stabilität. Genau das brauchen Menschen in diesem Amt.