„Massivster Widerstand, den die Region je gesehen hat“
Entschlossen: Die Bürgerinitiativen gegen den Trassenneubau sind auf Konfrontationskurs, das Angebot der Bahn auf Vorteile für den Regionalverkehr besänftigt sie nicht.
„Die Bahn hat ihren Planungsauftrag erfüllt“, heißt es auf den Internetseiten der Deutschen Bahn (DB), „inzwischen steht fest: Eine Neubaustrecke über Soltau und Bergen ist die beste Lösung.“ Roma locuta, causa finita? Wohl kaum. Das vermeintliche Machtwort aus dem Berliner Bahntower wird die Debatten um das Für und Wider der Trasse nicht beenden, im Gegenteil. Nichts steht fest. So jedenfalls lassen sich viele Reaktionen aus Niedersachsen deuten. Der Wunsch des Hauptgeschäftsführers der IHK Lüneburg-Wolfsburg, Michael Zeinert, nach einem Ende der Diskussionen (BZ vom 28. Juni), dürfte ein frommer bleiben.
Die lokalen Bürgerinitiativen gegen den Trassenneubau lassen keinen Zweifel daran, dass auch der lokale Haltepunkt bei Soltau, der den Menschen vor Ort quasi als Entschädigung für die Belastung durch den Bau und Betrieb der Bahnstrecke in Aussicht gestellt wird, ihre strikt ablehnende Haltung nicht aufbrechen wird. Zwar stimmt der Vorwurf nicht mehr, dass eine rein überörtliche Bahnplanung über die Interessen der Region hinweg vorliegt. Doch darauf geht etwa die BI Monster aus dem Nachbarlandkreis Harburg in ihrer Stellungnahme zur neuen Situation nicht einmal mit einer einzigen Silbe ein. Es scheint im Protestlager schlicht nicht zu interessieren, dass künftig ICE-Züge im Heidekreis halten und Pendler im schnellen Regionalexpress nach Hamburg und Hannover fahren könnten.
Kritisiert wird vor allem eine eigenmächtige DB-Planung „an einer nicht beauftragten Neubaustrecke“, „entgegen der im Dialogforum Bahnausbau beschlossenen Alpha-E-Variante“. Eingefordert wird, dass der Bund als Eigentümer der Bahn die Planungen an der langen Leine verbietet beziehungsweise das Unternehmen politisch enger führt. Die BI beklagt „fortgesetzten Bürgerbetrug“ durch ein Staatsunternehmen, das politische Vorgaben missachte. „Die Bürgerinitiativen fordern politische Konsequenzen, um das Eigenleben in den Planungsabteilungen der Bahn zu beenden“, heißt es. Andernfalls drohe eine Protestwelle ungeahnten Ausmaßes: „Sollte erneut ernsthaft eine Neubautrasse in Erwägung gezogen werden, bereiten wir den massivsten Widerstand vor, den die Region je gesehen hat.“
Digitale ICE-Fahrt durch die Heide
Derweil hat die Bahn, nahezu zeitgleich mit der Vorstellung der Vorzugsvariante für den Ausbau des Zugverkehrs zwischen Hamburg und Hannover, im Internet weitergehende Informationen zu ihren Plänen freigeschaltet, inklusive einer Visualisierung des Streckenverlaufs in 3D. Start des virtuellen ICE ist in Meckelfeld in der Gemeinde Seevetal. Bei Thieshoope rückt die neue Bahnstrecke erstmals an die A7 heran, kreuzt die Autobahn bei Toppenstedt und rückt bei Garlsdorf mehrere Hundert Meter östlich ab. Bei Lübberstedt gibt es einen Tunnel. In der Folge werden im Bereich Bispingen die Ortschaften Hörpel und Volkwardingen von der Autobahn westlich und der möglichen Bahnstrecke östlich eingehaust, bevor die Strecke entlang von Borstel in der Kuhle knapp vorbei am Gewerbegebiet Gauß’scher Bogen und auf Höhe der Autobahnabfahrt Schneverdingen wieder direkt an die A7 heranrückt.
Einen Stopp gibt es in der 3-D-Computerreise am geplanten neuen Bahnhof nahe dem Soltauer Designer-Outlet. Zu sehen ist ein modernes Bauwerk samt Parkhaus. Auf Höhe der Autobahnabfahrt Soltau-Ost schwenkt der virtuelle ICE weiter nach Osten entlang der Bundesstraße 3 in Richtung Bergen ab.
Die Bahnstrecke zwischen Hamburg und Hannover gilt als die am stärksten überlastete im gesamten deutschen Schienennetz. Zugleich sei sie als Teil der Verbindung zwischen Skandinavien und Südeuropa eine der wichtigsten Bahnkorridore, so Konzernbevollmächtigte Ute Plambeck bei der Vorstellung des Ergebnisses der Vorplanung. Man müsse „groß und nachhaltig denken“, hieß es dazu beim digitalen Pressetermin. Dabei soll es bereits im kommenden Jahr bei Uelzen eine Qualitätsoffensive auf der Bestandsstrecke geben, 2029 die Generalsanierung folgen. Das sei mit dem Land Niedersachsen abgestimmt. „Wir sind dabei, große Elemente von Alpha-E umzusetzen“, so Plambeck. Ab 2030 wolle man sich dann um die Neubaustrecke kümmern.
Allein durch den Ausbau der Bestandsstrecken würden die nötigen Kapazitäten für den Fern-, Nah- und Güterverkehr nicht erreicht. „Wir brauchen die zwei zusätzlichen Gleise.“ Der Bund wolle 400 Züge täglich auf der Verbindung fahren lassen, zurzeit seien es nur rund 200, betont Frank Limprecht, Leiter Infrastrukturprojekte Regionalbereich Nord. In vernünftiger Qualität – ohne Stau und Engpässe – sei dieses Ziel nur mit einem Neubau zu erreichen. Mit der Neubaustrecke schlage man zwar eine Schneise durch die Landschaft, erziele aber viele Vorteile im Bereich Lüneburg, Uelzen und Celle. Um dort den Nahverkehr auf der Bestandsstrecke zu verdoppeln, müsse man andere Verkehre auf die Neubaustrecke bringen. Die Bahn gibt an, 29 verschiedene Varianten untersucht und seit 2021 vier grundlegende Varianten nebeneinander bewertet zu haben – darunter zwei Neubaustrecken.
Die Kommunen, so die Bahn, würden eng in die Planungen eingebunden und könnten weitere Kernforderungen über die gesetzlichen Vorgaben hinaus geltend machen. Dafür müsse der Bundestag den Finanzierungsrahmen setzen. Die Bahn geht zurzeit davon aus, dass das Parlament „in Bälde“ – möglicherweise im Herbst – zunächst über die Finanzierung der Neubaustrecke entscheidet. Am 9. September will die DB die Bevölkerung im Heidekreis in Form eines Infomarktes über ihre Pläne informieren. ari/at