Mit Biostimulanzien gegen Ernteverluste

EU-Mittel für ein Forschungsprojekt im Heidekreis: Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte überreicht in Hannover den Förderbescheid der Europäischen Innovationspartnerschaft an (von links) Maximilian Hüster (wissenschaftlicher Mitarbeiter Agraforum Bomlitz), Martin Rave und Lennart Bellmann (beide Europlant Freiburg/Elbe), Dr. Heiko Stöckmann (Geschäftsführer A. C. T. Foods Bad Fallingbostel) und Agraforum-Geschäftsführer Dr. Thomas Hüster.

Trotz ihrer südamerikanischen Herkunft sind Kartoffeln zum Sinnbild Deutschlands geworden, etwa so wie die Spaghetti für Italien. Das liegt auch daran, dass die klimatischen Bedingungen für den Kartoffelanbau hierzulande besonders günstig sind. Deutschland zählt zu den wasserreichsten Ländern der Erde, das gefällt der Nutzpflanze mit dem wissenschaftlichen Artnamen Solanum tuberosum. Bekommt sie viel Wasser, bildet sie besonders große Knollen aus, bedeutsam etwa für die Produktion von Pommes Frites.

Auf dem Gebiet des heutigen Heidekreises hat der Kartoffelanbau eine lange Tradition, die Wertschöpfung ist hoch. Auch große Pommes-Knollen gedeihen im Kreisgebiet, zum Beispiel auf reichlich bewässerten Kartoffelfeldern in Buchholz/Aller. Pläne für eine große Pommes-Fabrik des Herstellers McCain im Landkreis Peine, die bis zu eine Milliarde Euro kosten und mehrere Hundert direkte und indirekte Arbeitsplätze schaffen soll, verdeutlicht die Bedeutung des Marktsegments für das Agrarland Niedersachsen (BZ vom 28. Juli).

Doch trockene Böden und die knapper werdende Ressource Grundwasser bereiten Kartoffelbauern Sorgen. Nicht nur in Niedersachsen und Deutschland, und auch nicht nur denjenigen, die besonders große Knollen anbauen. Im Grunde geht es um eine Herausforderung für die gesamte Landwirtschaft, um die Sicherstellung der Welternährung unter den Bedingungen des Klimawandels. Erträge müssen stabil bleiben, Nutzpflanzen dafür resilienter werden – und zwar auf möglichst natürliche und umweltschonende Weise. Ein auf drei Jahre angelegtes Forschungsprojekt in Walsrode verfolgt genau diesen Ansatz und erhält dafür nun eine Anschubfinanzierung aus Mitteln der Europäischen Innovationspartnerschaft (EIP).

„Kluge Ideen für eine nachhaltige Landwirtschaft“

„Mit EIP wollen wir kluge Ideen für Wasser- und Artenschutz und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern“, erklärte Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (Grüne) anlässlich der Übergabe der Förderbescheide in Hannover. Sieben Projektträger erhalten Zuwendungen, insgesamt werden rund drei Millionen Euro verteilt. Im Heidekreis darf sich das Projekt „KAstab“ über eine Förderung im Volumen von knapp 381.000 Euro freuen. Getragen und mifinaniziert wird das Projekt von einem kleinen Netzwerk, dessen Akteure die ganze Kette vom Züchter auf dem Acker bis zum Chemiker im Labor abbilden. Es handelt sich um praxisorientierte Anwendungsforschung, betont Projektkoordinator Dr. Thomas Hüster, Geschäftsführer der in Walsrode/Bomlitz ansässigen Agrarforum GmbH: „Aus der Landwirtschaft in die Landwirtschaft.“

Ziel ist es, Kartoffelpflanzen durch Zugabe von Biostimulanzien insbesondere in der wichtigen frühen Knollenwachstumsphase resilienter gegenüber abiotischen Stressfaktoren und Klimaveränderungen zu machen. Biostimulanzien unterscheiden sich von Düngemitteln, da sie keine Pflanzennährstoffe liefern, und von Pflanzenschutzmitteln, da sie keine spezifischen Schädlinge bekämpfen. Stattdessen stimulieren sie natürliche Prozesse der Pflanze und im Boden und verbessern die Nährstoffaufnahme und -effizienz.

Zum ungewöhnlichen Forschungsnetzwerk mit Zentrum im Heidekreis zählen die Unternehmen Agrarforum aus Bomlitz und A. C. T. Foods aus Bad Fallingbostel, Kartoffelbauer Klaus-Peter von der Wroge aus Bad Fallingbostel sowie die BNA Freiburg GmbH & Co. KG aus Freiburg an der Elbe. Wissenschaftlich begleitet von einem DoktorandenProjekt der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg haben sie ein auf drei Jahre angelegtes Projekt initiiert, das am 1. August offiziell angelaufen ist und rund zur Hälfte durch eine EU-Förderung in Höhe von knapp 381.000 Euro kofinanziert wird. Zum Ende des Versuchszeitraums steht im Idealfall ein marktreifes landwirtschaftliches Verfahren zur Steigerung der Resilienz von Kartoffelpflanzen zur Verfügung, skizziert Projektkoordinator Dr. Thomas Hüster, Geschäftsführer der Agrarforum GmbH, das sehr konkrete Ziel des Vorhabens. Entstehen soll ein Produkt, das nicht nur nachweislich wirkt, sondern sich für Kartoffelbauern auch finanziell rechnet und am Markt bestehen kann.

Drei Erntezyklen unter der Lupe

Versuchsanbauten im Heidekreis und in Freiburg an der Elbe, jeweils 1,5 Hektar pro Fläche plus einiger Kleinparzellen, sollen Antworten auf verschiedene Fragen liefern. Wie nehmen Kartoffelpflanzen vom Menschen angebotene Biostimulanzien am besten an, direkt über die Blätter oder über in den Boden eingebrachte Pflanzenkohle als Träger? Welcher Zeitraum innerhalb der Entwicklungsphase der Knollen ist für die Beigabe am günstigsten? Und vor allem: Wie stark machen sich die zugeführten Biostimulanzien bei der Ernte bemerkbar? Lassen sich signifikante Effekte nachweisen? Lohnt sich der Einsatz, weil die Kosten des Verfahrens niedriger liegen als die, die entstehen würden, ließe man den Dingen ihren Lauf und nähme Ernteeinbußen etwa durch Trockenheit oder zu viel Nässe stoisch in Kauf?

Drei Ernten hintereinander, eingefahren nicht im geschützten Gewächshaus, sondern unter den realen klimatischen Bedingungen der Kartoffeläcker, sollen verwertbare empirische Erkenntnisse liefern. Niemand kann schließlich vorhersehen, ob die nächsten drei Ernteperioden durch große Hitze und Trockenheit, übermäßigen Regen oder andere Wetterkapriolen geprägt sein werden. Voraussehbar ist lediglich, dass die Versuchspflanzen mit verschiedenen Formen von abiotischem Stress konfrontiert sein werden. Biostimulanzien sollen ihnen dabei helfen, damit besser umzugehen und sich bei der Ausbildung von Kartoffelknollen nicht stören zu lassen. Es funktioniere ungefähr so wie beim Menschen die Zugabe von Nahrungsergänzungsmitteln, erklären die Fachleute von Agrarforum: Bei der Aufnahme von Nährstoffen, die aufgrund eigener Essgewohnheiten oder anderer Umstände nicht ohne Weiteres im optimalen Umfang erfolgt, wird gezielt nachgeholfen.

In der Versuchsauswertung gehen die praktischen Erfahrungen der aberntenden Landwirte Hand in Hand mit Ergebnissen von Laboruntersuchungen bezüglich des Gesundheitszustandes der Pflanzen durch A. C. T. Foods in Bad Fallingbostel unter der Leitung von Geschäftsführer und Lebensmittelchemiker Dr. Heiko Stöckmann. Die Kartoffelpflanzen werden während des gesamten Projektzeitraums regelmäßig beprobt. Einige überwachte Knollen werden bereits in Kürze aus der Erde geholt und sollen erste Hinweise liefern. Die Spannung ist groß beim Forschungsteam, denn bei sich unter der Erde entwickelnden Kartoffeln lässt sich eben nicht wie bei anderen Kulturen in Echtzeit beobachten, wie die Früchte sich entwickeln und heranwachsen. Richtig Fahrt aufnehmen wird das Forschungsprojekt dann im kommenden Frühling, mit der intensiven Ausbringung auf die Versuchsfelder.

Es gehe um Qualitätssicherung, nicht darum, erwartbare Ernteerträge weiter zu steigern. Das breit aufgestellte Projektteam erhofft sich im Erfolgsfall die Bio-Zertifizierung des Verfahrens, das schließlich auf die Stimulanz der natürlichen Abwehrkräfte der Kartoffelpflanzen setzt. Sollte sich die Idee der Erntesicherung durch Biostimulanzien im Kartoffelanbau bewähren, könnte die Methode auf andere Kulturen übertragen werden, wagt Projektkoordinator Hüster einen Blick in die weitere Zukunft. Das Verfahren „Made in Heidekreis“ könnte eines Tages den Weltmarkt erobern, aber bis dahin dürften noch einige Erntezyklen vergehen.