„Eine Frage der Generationengerechtigkeit“
Kay Rabe von Kühlewein (22) hält eine energische Rede, die meisten seiner Zuhörerinnen und Zuhörer sind in seinem Alter. Foto: ari
Mit der Resonanz auf ihren „Heidegipfel“ im August in der kleinen Bispinger Ortschaft Borstel in der Kuhle konnten die Bürgerinitiativen gegen eine ICE-Neubautrasse zufrieden sein. Er war prominent besetzt und gut besucht, und Gleiches ließe sich auch über andere Veranstaltungen des Protestlagers sagen. Der Raumwiderstand lebt. Er hat allerdings auffallend oft graue Haare. Die profiliertesten Vertreter der Bürgerinitiativen im Heidekreis befinden sich im Rentenalter. Zufall? Oder ist es am Ende auch eine Generationenfrage, ob man für oder gegen die Trasse ist? Das Durchschnittsalter der Pro-Neubau-Demonstranten in der Landeshauptstadt liegt jedenfalls deutlich unter dem der vergangenen Anti-Neubau-Kundgebungen im Heidekreis und im Landkreis Harburg. Die BZ hat sich umgehört, was die jungen Menschen dazu treibt, die Pläne der Bahn zu unterstützen – und was sie über die zahlreichen Trassengegner im Alter ihrer Eltern oder Großeltern denken.
Die DB präsentierte die letzte ihrer Info-Veranstaltungen zur Neubautrasse, sie ist sozusagen am Endbahnhof Hannover angekommen. Nicht weit vom Bahnhof entfernt präsentierte der Staatskonzern im Alten Rathaus seine Pläne, ähnlich wie jüngst bereits in der Alten Reithalle in Soltau. Die Stimmung war gestern freilich eine andere, statt mit Kritik begegneten die meisten Besucher den Bahnplänen mit Sympathie. Das ist einerseits wenig verwunderlich, schließlich würden die Menschen in Hannover von einer Neubautrasse nur profitieren, während die Bilanz im Heidekreis auch im Falle eines Regionalbahnhofs an der Strecke durchwachsen ausfiele. Andererseits ist gerade Hannover das politische Zentrum des Widerstands gegen die Bahnpläne. Die Landesregierung hat ihre Ablehnung gerade noch einmal bekräftigt, Verkehrsminister Grant Hendrik Tonne demonstrierte auf dem Heidegipfel Solidarität mit den Bürgerinitiativen. Doch die Regierungsparteien im Leineschloss stehen nicht mehr so geschlossen hinter dem Alternativkonzept Alpha-E, wie es aus Perspektive des Heidekreises scheinen mag. Zu den Veranstaltern der Pro-Ausbau-Kundgebung zählten bemerkenswerterweise auch die Nachwuchsorganisationen von SPD und Grünen.
„Ihr könnt jetzt zeigen, dass Niedersachsen Vorreiter der Verkehrswende ist“, forderte Yola Kreitlow, die erst 19-jährige Vorsitzende der Grünen Jugend Niedersachsen, die von ihrer Partei mitgetragene Landesregierung in einer kämpferischen Rede dazu auf, ihre „Blockade“ einer Neubautrasse aufzugeben. Nicht weniger hart war zuvor auch schon Juso Ole Moszczynski mit seiner SPD ins Gericht gegangen, namentlich unter anderem mit seinem Parteivorsitzenden aus dem Heidekreis.
„Lars Klingbeil ist unser großer Gegenspieler“
„Wir Jusos stehen ganz eindeutig hinter der Neubaustrecke“, erklärt das junge Stadtratsmitglied im Gespräch mit der Böhme-Zeitung. „Lars Klingbeil ist einer unserer großen Gegenspieler.“ Moszczynski ist 23, Klingbeil gut doppelt so alt. Ein wenig sei das schon auch eine Generationenfrage, stimmt er zu, allerdings gebe es auch unter älteren und einflussreicheren Genossen durchaus Leute mit einer von der Linie der Landespartei abweichenden Position zur Neubautrasse. Moszczynski zeigt auf einen Mann zwei Reihen weiter vorne. Dort steht der SPD-Landtagsabgeordnete Phlipp Meyn, 43 Jahre alt und ebenfalls ein Befürworter der Bahnpläne.
Moszczynski studiert in Hannover Maschinenbau – das zu erwähnen ist ihm wichtig. Die Erfahrung, als junger Mensch in kontroversen Debatten von Älteren für weniger kompetent gehalten zu werden, dürfte er schon gemacht haben. Jedenfalls betont er, die Argumentation der Bahn-Ingenieure aufgrund seines technischen Studiums fachlich nachvollziehen zu können. „An der Neubautrasse führt kein Weg vorbei“, erklärt er fest.
Die Kritik von Menschen, die entlang der geplanten Bahnstrecke leben und sich Sorgen wegen der Zerschneidung der Landschaft, wegen Lärm und einer befürchteten langen Bauphase machen, könne er schon nachvollziehen, sagt Arne Dietterle. Der 25-Jährige steht zusammen mit einem ebenfalls jungen Mitstreiter am Rande der Kundgebung und hört interessiert zu, über seiner Schulter weht eine Fahne der Jugendpartei Volt. Der junge Mann entspricht nicht dem Klischee eines Großstädters, der nicht weiß, wie das Leben im ländlichen Raum ohne leistungsstarken ÖPNV aussieht. „Ich studiere in Hannover Elektrotechnik, stamme aber aus einem Dorf in der Nähe von Bad Bodenteich im Landkreis Uelzen“, erzählt er. „Ich kenne die Probleme der Mobilität im ländlichen Raum.“
„Junge Menschen wollen so mobil leben können, wie es die Älteren in ihrem Leben auch konnten“
Doch die Lösung der älteren Generationen, alles individuell mit dem Auto zu erledigen, hält er für nicht zukunftsweisend. Er habe selbst kein Auto und kenne nicht wenige junge Menschen, denen es bei den heutigen Preisen schwer fällt, ihren Führerschein zu machen. „Wie werden wir uns in 20, 30 Jahren fortbewegen?“, richtet er seinen Blick in eine fernere Zukunft, für die sich viele ältere Menschen, so seine Beobachtung, nicht sonderlich interessieren, weil sie sie nicht mehr als aktive Menschen und Berufstätige erleben werden. „Wenn wir es wirklich ernst meinen mit dem Klimaschutz, mit weniger Auto- und Flugverkehr, dann sind neue Schnellbahnstrecken unbedingt notwendig. Was soll denn die Alternative sein?“
Der junge Mann engagiert sich politisch, leitet das Team Volt Hannover. „Junge Menschen wollen in Zukunft genauso mobil leben können, wie es die älteren auch konnten“, erklärt er. Das sei auch eine Frage von Generationengerechtigkeit.
So sieht es auch Kay Rabe von Kühlewein von der Klimaschutzgruppe Fridays for Future, der die Protestkundgebung moderierte. „Wir sorgen uns um unsere Zukunft“, sagt der 22-Jährige. Auf Klingbeil angesprochen, reagiert er überraschend wohlwollend. „Er hat sich in letzter Zeit moderater positioniert“, glaubt der Aktivist, einen sich abzeichnenden Sinneswandel bei dem einflussreichen Trassengegner zu erkennen. Von Kühlewein geht davon aus, dass die Trasse kommt und noch in diesem Jahr vom Bundestag beschlossen wird – mit Zustimmung des SPD-Parteichefs.